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Tabula Rasa auf den Fildern

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Nichts tut sich beim Stuttgart-21-Bauabschnitt auf den Fildern. Was auch an den miserablen Planungen liegt. Ein Teil davon scheint wegen Zeit- und Kostendruck nun zur Disposition zu stehen. Es wären Korrekturen, die die Schutzgemeinschaft Filder schon lange fordert.

Latent genervt wirkt Winfried Hermann ja meist, wenn es um Stuttgart 21 geht. Aber bei der letzten Sitzung des Lenkungskreises am 27. Oktober schien der Landesverkehrsminister noch ein wenig genervter. Was auch mit dem S-21-Abschnitt auf den Fildern zu tun hatte. Dort tut sich nämlich nichts. Gar nichts. "Bedauerlich" sei es, so Hermann, "dass wir auch nach sieben Jahren Spatenstich bei Stuttgart 21 oben auf den Fildern noch nicht mal ein 'Spatenstichle' haben." Immerhin, S-21-Projektleiter Manfred Leger habe alle Projektpartner noch im November zu einem Gespräch geladen, um über die Probleme und Risiken in dem Bauabschnitt zu informieren. Davon gibt es eine Menge.

Über was im einzelnen gesprochen werden soll, ist noch nicht bekannt. Allerdings sickerten schon vergangene Woche Überlegungen der Bahn durch, die eine komplette Neuplanung des Filderbahnhofs nahelegten: mit einem oberirdischen Halt nördlich der Autobahn statt aktuell zweier unterirdischer Haltepunkte. Bestätigt wurde von der Bahn nichts, aber schon bei der Lenkungskreis-Pressekonferenz mühten sich Hermann ebenso wie Bahn-Infrastruktur-Vorstand Pofalla zu betonen, dass alle Arten von Änderungen nur von allen Projektpartnern einvernehmlich beschlossen werden können.

Es wäre wohl nicht das Dümmste, hier umzuplanen. Denn der Filderbereich ist einer der kritischsten Punkte des Tiefbahnhofprojekts. Und ein Musterbeispiel dafür, dass bei S 21 nicht etwa eine Protestbewegung das Projekt verzögert hat, sondern planerisches Unvermögen.

Antragstrasse wird für S-Bahn-Chaos sorgen

Der neue Halt bei Flughafen und Messe soll in der bisherigen Planung zwei Stationen umfassen: Einen neu zu bauenden unterirdischen "Filderbahnhof", in dem die Züge von der Neubaustrecke (NBS) Stuttgart-Ulm halten. Und den bestehenden Flughafen- oder Terminalbahnhof, an den nun auch die von Zürich kommende Gäubahn angeschlossen werden soll. Vor allem Letzteres ist ein wahrer Alptraum für Bahnfahrer, ein programmierter Engpass. Denn auf dieser sogenannten "Antragstrasse" sollen zwischen Stuttgart-Rohr und Flughafen sowohl Fern- und Regionalzüge als auch S-Bahnen auf den gleichen Gleisen der bestehenden S-Bahn-Strecke im "Mischverkehr" fahren.

Das Problem dabei: Weil schon kleine Verspätungen dazu führen können, dass zum Beispiel der IC hinter der S-Bahn herzockelt, und sich so Verspätungen über das regionale Bahnnetz hinaus aufstauen, wäre es nötig, das schmale Zeitfenster peinlich genau einzuhalten. Wer häufig im Stuttgarter S-Bahn-Netz oder generell mit der Bahn unterwegs ist, wird ahnen, wie wahrscheinlich dies ist. Steffen Siegel, Vorsitzender der Schutzgemeinschaft Filder, plädiert deswegen seit Jahren dafür, die Gäubahn weiterhin auf der alten Trasse nach Stuttgart zu führen. Auch S-21-Befürworter wie Leinfelden-Echterdingens Bürgermeister Roland Klenk sind gegen die von der Bahn geplante Lösung.

Die hat eine lange, absurde Geschichte. Schon 2002 beantragte die Bahn die Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens für den Planfeststellungsabschnitt (PFA) 1.3 "Filderbereich mit Flughafenanbindung". Das Eisenbahnbundesamt (EBA) gab die Planungen bald darauf als "in der vorgelegten Form nicht genehmigungsfähig" zurück. Das Prozedere von Bahn-Antrag und EBA-Ablehnung wiederholte sich mehrmals. Bis im Sommer 2010 der damalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) eine Ausnahmegenehmigung bis ins Jahr 2035 aussprach, dass S-Bahnen, Regional- und Fernzüge die engen S-Bahn-Tunnel gemeinsam nutzen dürfen.

2012 sollte dann im sogenannten "Filderdialog" unter vermeintlicher Bürgerbeteiligung eine allgemein akzeptierte Lösung gefunden werden, was nicht gelang. Im Herbst 2014 schließlich enthüllte ein Erörterungsverfahren zum Planfeststellungsabschnitt 1.3 vor allem die Mängel der Planungen derart drastisch und blamabel für die Bahn, dass selbst notorische Projektbefürworter skeptisch wurden. (Kontext berichtete <link https: www.kontextwochenzeitung.de wirtschaft aufschrei-aus-le-2454.html internal-link-new-window>hier, <link https: www.kontextwochenzeitung.de wirtschaft heimlich-mehr-puffer-2470.html internal-link-new-window>hier und <link https: www.kontextwochenzeitung.de wirtschaft wiedergeburt-des-wutbuergers-2478.html internal-link-new-window>hier)

Trickreich: Abschnitt aufteilen, Problem verschieben

Im März 2015 sorgte die Bahn dann für zwei Überraschungen: Sie zauberte eine Variante mit einem dritten Gleis am Flughafenbahnhof für eine bessere Anbindung der Gäubahnzüge aus dem Hut, auf die sich die Projektpartner schnell einigten – laut Kontext-Autor Jürgen Lessat damals nur <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik mit-dem-dritten-faehrt-man-besser-2777.html internal-link-new-window>"die Sparversion unter allen Optimierungsvarianten" und von Steffen Siegel von der Schutzgemeinschaft Filder <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik ihr-unterstuetzt-diese-faule-option-2828.html internal-link-new-window>als "fauler Kompromiss" kritisiert. Zudem teilte sie den Planfeststellungsabschnitt in zwei Abschnitte, die nun 1.3a und 1.3b heißen. Abschnitt a umfasst den Bahnhof unterhalb der Messe für den Anschluss an die Strecke von und nach Ulm, Abschnitt b den Flughafenbahnhof inklusive neuem dritten Gleis.

Für Steffen Siegel ist die Aufteilung vor allem ein "Trick", um die Lösung der größten Planungsprobleme noch aufschieben zu können. Denn Abschnitt a ist wegen der NBS-Anbindung für den Betrieb von S 21 zwingend notwendig und könnte so früher in Betrieb genommen werden. Für den kritischeren Abschnitt b dagegen könnte man sich dann noch etwas länger Zeit lassen. Die aus Richtung Zürich kommenden Gäubahn-Reisenden müssten dann halt in Vaihingen in die S-Bahn umsteigen, um zum Hauptbahnhof zu gelangen.

Für Abschnitt 1.3a gibt es bereits seit Juli 2016 einen Planfeststellungsbeschluss. Bei 1.3b ist dagegen erst vor zwei Monaten die Einspruchsfrist zu Ende gegangen. 3200 Einwendungen kamen zusammen, allein rund 1100 aus Oberaichen gegen das dort am Ortsrand geplante Erdlager. Auch dies eine planerische Preziose: Das Lager, an dem der Aushub der Bauarbeiten an der Rohrer Kurve abgeladen werden soll, befindet sich an der höchsten Stelle des Leinfeldener Stadtteils, weswegen Anwohner bei Starkregen Schlammlawinen ins Ortsinnere fürchten – abgesehen von den mitten durch den Ort donnernden Lastwagen.

Auf Grundlage der Einwendungen wird das Regierungspräsidium für Abschnitt 1.3b noch einen Erörterungstermin ansetzen. Wann, ist noch unklar, aber voraussichtlich 2018. Läuft es zeitlich ähnlich wie bei Abschnitt a, wäre also frühestens 2019 mit einem Planfeststellungsbeschluss zu rechnen.

Dass sich trotz vor über einem Jahr erfolgter Planfeststellung – und damit bestehendem Baurecht für die Bahn – auch bei Abschnitt a noch nichts tut, könnte an der Klage liegen, die die Schutzgemeinschaft Filder im vergangenen Jahr <link http: www.schutzgemeinschaft-filder.de presse presse-anzeige article schutzgemeinschaft-filder-klagt-gegen-filderabschnitt-von-stuttgart-21 external-link-new-window>beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim gegen den Beschluss eingereicht hat, wie Steffen Siegel vermutet. Wie lange dieses Verfahren noch läuft, ist unklar. Zumindest für dieses Jahr hat der VGH noch keinen Verhandlungstermin angesetzt.

Die Bahn argumentiert mit einer Simulation, die es noch nicht gibt

Auch der nun angefochtene Planfeststellungsbeschluss enthält, obwohl er einen anderen Abschnitt behandelt, Aussagen zum Mischverkehr auf der Antragstrasse, allerdings höchst widersprüchliche. So ist erst zu lesen, dass "die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der S-Bahn im Filderbereich (...) nicht in Frage gestellt werden", nur um gleich darauf zu erfahren, dass "eine Betriebssimulation gerade zur Hauptverkehrszeit eine Wahrscheinlichkeit für einen Verspätungsaufbau bei der S-Bahn ergab". Pünktlich oder verspätungsanfällig, was denn nun? Und von einer noch nicht veröffentlichten Betriebssimulation der Bahn, die einen problemlosen Mischverkehr und eine sogar noch mögliche Verdichtung des S-Bahn-Takts beweise, hatten Bahnmitarbeiter wiederum bei einer Informationsveranstaltung zum Abschnitt 1.3b im Mai in Leinfelden gesprochen.

Was denn das für eine Simulation ist, mit der die Bahn argumentiert, das wollte auch die Schutzgemeinschaft Filder wissen. Weswegen ihr Rechtsanwalt den Verwaltungsgerichtshof Ende Juni bat, die Simulation von der Bahn einzufordern. Die Reaktion der Bahn-Anwälte: "Die Beigeladene (d.h. die Bahn, der Verf.) hat zwar eine neue Betriebssimulation in Auftrag gegeben, welche die im eingereichten Planfeststellungsantrag zum PFA 1.3b zugrunde gelegte Anlagenkonfiguration abbildet. Diese Betriebssimulation ist derzeit allerdings noch nicht fertiggestellt. Sie kann daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht übermittelt werden." Die Bahn hatte also mit einer Simulation argumentiert, die es noch gar nicht gab.

Ende August trudelte dann doch noch eine Simulation der Bahn bei der Schutzgemeinschaft ein – laut Siegel aber wenig ergiebig, da sie vor allem Behauptungen enthalte und die zu ihrer Beurteilung nötigen Prämissen und Vorgaben fehlten.

Wird am Flughafen nun neu geplant?

Aber vielleicht kommt ja sowieso alles ganz anders. Bei der erwähnten neu ins Spiel gebrachten Filderbahnhofs-Variante gäbe es statt zweier nur noch eine Station sowohl für NBS- als auch Gäubahnzüge. Sie läge nördlich der Autobahn, oberirdisch statt in 27 Metern Tiefe und direkt an der Neubaustrecke. Die Fluggäste kämen von dort dann auf Rollbändern oder mit Shuttles zum Flughafen, ein alter Vorschlag der Schutzgemeinschaft Filder. Und die jetzige Flughafenhaltestelle bliebe der S-Bahn überlassen.

Vermutlich wäre diese Variante kostengünstiger und schneller zu bauen, auf jeden Fall aber würde sie neue Planungszeit kosten. Und vor allem wegen möglicher Verzögerungen reagieren die Projektpartner von Stadt, Land und Region bislang zurückhaltend. Aus dem Verkehrsministerium jedenfalls heißt es: "Das Land wird keinen Plänen zustimmen, die das Projekt Flughafenbahnhof verzögern, verschlechtern oder verteuern."

Würden dann möglicherweise eingesparten Kosten reichen, um die zu erwartende Kostenexplosion bei S 21 abzufangen? Auf jeden Fall wäre es aus Sicht des Aktionsbündnisses der S-21-Gegner eher weitere Flickschusterei. "Wäre es dann nicht besser, gleich auf den Fildertunnel zu verzichten und die NBS über die Wendlinger Kurve ins Neckartal zu leiten?", fragt denn auch Werner Sauerborn vom Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21.

Karikatur Fluhäfle ja!

Karikatur: Schutzgemeinschaft Filder

50 Jahre Schutzgemeinschaft Filder

1967 gründete sich die Schutzgemeinschaft Filder (SG) im Widerstand gegen Pläne, den Stuttgarter Flughafen zu einem Großflughafen mit drei Landebahnen auszubauen. Nach vielen Demos, Podiumsdiskussionen und Vorträgen wurde das Vorhaben 1969 begraben. Seitdem kämpft die SG immer wieder gegen Verkehrs- und Bauprojekte, die ohne Gegenwehr wohl kaum etwas von dem Lössboden auf den Fildern übrig gelassen hätten, einem der fruchtbarsten Ackerböden überhaupt. Nicht immer erfolgreich. Gegen den Bau der Filder-Messe ab 2004 und eine Verlängerung der Flughafen-Startbahn ab 1991 konnte die Initiative nichts ausrichten. Aber die Pläne für eine zweite Startbahn wurden 2008 vor allem durch massive Proteste der SG beerdigt. Mittlerweile gehört der Widerstand gegen S 21 zu den wichtigsten – aber längst nicht einzigen – Betätigungsfeldern. (oli)

Wie die Gäubahn an den neu lancierten Flughafenhalt angeschlossen werden könnte, ist noch unklar. Aber hier ergeben sich möglicherweise neue Optionen. Ob die Panoramastrecke der Gäubahn, auf der momentan die Fern- und Regionalzüge zwischen Vaihingen und dem Stuttgarter Hauptbahnhof fahren, an den geplanten Tiefbahnhof angeschlossen werden kann, das soll nun eine von Stadt, Land und Verband Region Stuttgart in Auftrag gegebene Studie untersuchen, wie am 13. September bekannt wurde. Eine Lösung, die schon Heiner Geißler 2010 in seinem Schlichterspruch gefordert hatte, und die auch zu den langjährigen Forderungen der Schutzgemeinschaft Filder gehört. Deren stellvertretender Vorsitzender Frank Distel hatte schon 2013 die Machbarkeit zweier Anschlussvarianten dargelegt.

Wie Hermann es in der Lenkungskreis-Pressekonferenz darstellte, klang die Gäubahn-Studie aber auch wie eine Reaktion auf das <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft das-rastatt-desaster-4619.html _blank external-link>Rastatter Tunnel-Desaster. Das habe gezeigt, so Hermann, wie wichtig es sei, ausreichend "Redundanzen" im Bahnnetz zu haben, sprich: Ausweichstrecken. Etwa im Falle einer Havarie im Fildertunnel.

Die Schutzgemeinschaft Filder will indes weiter dafür kämpfen, dass Stuttgart 21 überhaupt nicht zustande kommt. Sie hat in ihrer Geschichte schon viel gekämpft, mit wechselndem Erfolg (siehe Kasten), aber stets großem Engagement. Am Freitag feiert sie nun ihr 50-jähriges Jubiläum. Minister Hermann, der in den Neunzigern gemeinsam mit ihr gegen die Fildermesse protestierte, wird auch dabei sein, als einer der Laudatoren.

 

Info:

<link http: www.schutzgemeinschaft-filder.de veranstaltungen news-detailanzeige article external-link-new-window>50 Jahre Schutzgemeinschaft, 17.11., 19 Uhr, Filderhalle, Leinfelden.

Steffen Siegels Rede zu 50 Jahren Schutzgemeinschaft Filder auf der Montagsdemo in Stuttgart am 13. November finden Sie <link https: www.bei-abriss-aufstand.de wp-content uploads rede-von-steffen-siegel-3.pdf _blank external-link-new-window>hier.


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2 Kommentare verfügbar

  • Wolfgang Zaininger
    am 15.11.2017
    Antworten
    Bei so viel Murks und bei diesen bisher und zukünftig verschleuderten Steuermitteln wäre ja eigentlich Rückgrat angesagt - statt den grün-schwarzen Grußonkel zu machen.
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