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Teure Transparenz

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Im bundesweiten Vergleich aller Transparenzgesetze landet das baden-württembergische auf dem letzten Platz. Wer wissen will, mit welchen VertreterInnen von Daimler, BMW, VW und Bosch sich der Winfried Kretschmann getroffen hat, muss für die Auskunft 200 Euro blechen. Mindestens.

Wir schreiben das Jahr 2011, Wechselstimmung im Ländle und die grün-rote Regierung verspricht sie endlich, die Politik des Gehörtwerdens. Als einen "ganz wichtigen Baustein" dabei bezeichnete Ministerpräsident Winfried Kretschmann das Informationsfreiheitsgesetz (IFG), das trotz des abschreckend sperrigen Namens einigermaßen selbsterklärend sagt, was es tun soll: Informationen freigeben, in diesem Fall staatliche.

Sehr wichtig in einer Demokratie, sagte der MP, schließlich sind "nur gut informierte Bürgerinnen und Bürger auch in der Lage, engagiert und kompetent mitzugestalten", und so ein Gesetz sei ja auch ein "Zeichen einer bürgernahen Verwaltung und offenen Gesellschaft".

Doch die Jahre, sie ziehen ins Land, und Neues gibt es nix zu hören, bis – endlich! – im Frühjahr 2015 ... zwar immer noch kein Gesetzentwurf vorliegt, aber wenigstens ein paar Eckpunkte. Prompt werden ein paar Experten frech, das vorgelegte Papier sei "aus fachlicher Sicht eine Provokation", meinte etwa der Freiburger Verwaltungsjurist Friedrich Schoch und Manfred Redelfs vom Netzwerk Recherche urteilte: "Teilweise grenzt das an Realsatire." Insbesondere dass für Auskünfte Gebühren anfallen sollten, und das ohne Kostendeckel, bemängelten die beiden als wenig tauglich, Bürgerinnen und Bürgern freien Zugang zu amtlichen Informationen zu verschaffen.

"Ehrlicherweise erstaunt über die getätigten Aussagen" zeigte sich Alexander Salomon, damals wie heute medienpolitischer Sprecher der grünen Fraktion, denn die Kritik lasse "außer Betracht, dass der Wesenskern solcher Eckpunkte nicht darin besteht, dass es nur so und nicht anders kommen kann und muss."

Das IFG kam so und nicht anders, und der Wesenskern der Kritikpunkte wurde überhört. Weiterhin gibt es etliche Ausnahmen, bei denen eine Auskunft ohne Angabe von Gründen verweigert werden kann. Und weiterhin fallen Gebühren an, mit offener Grenze nach oben. Was den MP nicht daran hinderte, nach der Verabschiedung des IFGs erneut zu betonen: "Mehr Transparenz beim Verwaltungshandeln, nur das schafft Vertrauen."

Letzter Platz für Baden-Württemberg

Doch dann – Schockschwerenot: Im <link https: transparenzranking.de external-link-new-window>bundesweiten Vergleich aller Transparenzgesetze, durchgeführt von "Mehr Demokratie" und der "Open Knowledge Foundation", landet das baden-württembergische auf dem letzten Platz. Unterboten wird das nur von Bayern, Sachsen, Hessen und Niedersachsen. Dort gibt es noch heute überhaupt kein vergleichbares Gesetz, einen Anspruch auf staatliche Informationen hat der Normalbürger dort demnach keinen.

Aber genug Theorie! Wie erprobt sich die baden-württembergische Informationsoffensive in der Praxis? Aufschluss, wie ernst es das Ländle mit transparentem Regierungshandeln meint, liefert aktuell eine Anfrage von Jörg Rupp. Der war früher selbst mal Grüner, dort ist er nach einer Reihe von Enttäuschungen – Spenden aus der Rüstungsindustrie, verfehlte Sozialpolitik, Erweiterung der "sicheren Herkunftsländer", Boris Palmer – nach fast drei Jahrzehnten ausgetreten und heute bei <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik kampfansage-an-den-lobbyismus-4369.html external-link-new-window>Demokratie in Bewegung gelandet. Rupp wollte nun wissen, mit welchen VertreterInnen von Daimler, VW, Bosch und BMW sich Kretschmann oder Stellvertreter seit dem 3. September 2015 getroffen beziehungsweise wann verabredete Telefonate stattgefunden haben.

In einem Kalender nachzuschlagen, stellt in der Tat einen gewissen Arbeitsaufwand dar. Und so antwortet das Staatsministerium, dass die zu erhebenden Kosten der Bearbeitung "den Betrag von 200 Euro übersteigen werden". Immerhin: Nicht mehr als 500 Euro soll die Informationsfreiheit kosten. Nach diesem Kostenvoranschlag wird Rupp "um Mitteilung gebeten, ob Sie Ihren Antrag vor diesem Hintergrund weiterverfolgen möchten".

Das möchte Rupp. Ebenso wie er gerne wissen würde, wer die Reise- und Sicherheitskosten des MPs bei Wahlkampfveranstaltungen der Grünen und bei den anschließenden Sondierungsgesprächen zahlt. Wieder eine ausgesprochen knifflige Angelegenheit. Eine Bearbeitung innerhalb von vier Wochen – schlichtweg unmöglich. Denn für die Beantwortung, schreibt das Staatsministerium, brauche es "die Einbeziehung verschiedener Stellen innerhalb des Hauses (Büro des Ministerpräsidenten, Fahrdienst, Organisationsreferat, Haushaltsreferat, Sicherheitspersonal)". Somit würden die Bearbeitungskosten auch hier "voraussichtlich den Betrag von 200 Euro übersteigen". Auch diesmal die erleichternde Zusage: "Die Gebühren werden aber 500 Euro nicht übersteigen."

Rupp sagt dazu etwas verwundert, dass er nicht den Eindruck habe, seine Anfragen seien sonderlich komplex. "Wie teuer soll es denn werden, wenn jemand tatsächlich eine umfangreiche Anfrage hat?", fragt er und findet, es sei eine "Frechheit, dass das Anrecht auf Informationen vom Geldbeutel abhängt". Er bemüht sich nun um eine Schlichtung mit dem Landesdatenschutzbeauftragten, will womöglich klagen und gegebenenfalls Geld per Crowdfundig sammeln, um sich die Auskunft zu erkaufen.

Letztlich schlägt nun also genau die Kostenkeule zu, vor der Experten seit Bekanntwerden der Eckpunkte gewarnt haben – was von den Predigern der Politik des Gehörtwerdens jedoch offenbar nicht so recht gehört wurde. Wie war das noch gleich? "Mehr Transparenz beim Verwaltungshandeln, nur das schafft Vertrauen." Yo.


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5 Kommentare verfügbar

  • Schwa be
    am 16.11.2017
    Antworten
    Hier bewerfen sich öffentlich zwei Menschen mit Sand und Schäufelchen die jahrelang den jetzigen Zustand national sowie international politisch aktiv mit verbrochen/mit getragen haben bzw. noch immer tun.
    Der eine m.W. nach wie vor noch immer Mitglied einer Täterpartei, der andere mittlerweile bei…
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