Wenn man in diesen Tagen die Katalonien-Berichterstattung deutscher Medien verfolgt, könnte man meinen, in Spanien sei die Normalität wiederhergestellt. Zwar merken Korrespondenten an, der Zentralstaat habe zuletzt ein wenig über die Stränge geschlagen, doch meist wird das damit entschuldigt, dass der Rechtsstaat gegen Gesetzesbrecher verteidigt werden musste. Und in dieser Hinsicht sei Madrid ja durchaus erfolgreich gewesen. Die Autonomieregierung, die die illegale Abspaltung Kataloniens von Spanien betrieb, ist abgesetzt, Regierungschef Puigdemont wird nach seiner Flucht nach Belgien für politisch isoliert erklärt, und am 21. Dezember wird ein neues Parlament gewählt, bei dem – so der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy – die "schweigende Mehrheit" den Unabhängigkeitsbefürwortern eine Absage erteilen wird. Hinterher geschoben wird dann meistens noch die Erklärung, der ganze Konflikt komme daher, dass reiche Katalanen nicht bereit seien, ihren Wohlstand mit ärmeren Regionen zu teilen.
Widersprüche in dieser Darstellung werden mit leichter Hand beiseitegeschoben. So präsentierte der Brüsseler "Zeit"-Korrespondent Ulrich Ladurner – den bürgerlichen und stets versöhnlich auftretenden Puigdemont vergangene Woche allen Ernstes als "gefährlichen Populisten". Puigdemonts Vorwurf, Spanien gehe autoritär gegen jede Opposition vor und habe "keine Scham, sich des Faschismus zu bedienen", tat Ladurner als europafeindliche Propaganda ab. Dass jemand in Spanien, wo bis heute kein einziges Verbrechen der Franco-Diktatur vor Gericht gebracht wurde und der 1940 hingerichtete katalanische Ministerpräsident Lluis Companys nach wie vor nicht rehabilitiert ist, tatsächlich vor der Rückkehr des Autoritarismus Angst haben könnte, scheint dem "Zeit"-Korrespondenten nicht in den Sinn zu kommen.
"New York Times" und "Guardian" zeigen, wie es geht
Allgemein irritiert, wie oberflächlich die deutsche Öffentlichkeit über die Geschichte und die Konflikte in den EU-Mitgliedsstaaten informiert wird. Das wird umso deutlicher, wenn man englischsprachige Medien in diesen Wochen zum Vergleich heranzieht. Die "New York Times" ließ den – damals bereits von Madrid abgesetzten – stellvertretenden Regierungschef Oriol Junqueras Anfang November in einem Gastkommentar ausführlich zu Wort kommen und löschte die Bezeichnung "katalanischer Wirtschaftsminister" erst nach einem scharfen Protest des spanischen Botschafters in den USA. Noch profilierter ist die Haltung der britischen Medien: Im Londoner "Guardian" wird seit Wochen eine Meinungsdebatte über die Motive der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung geführt. Und immer wieder gefragt, warum Spanien nicht einfach wie Großbritannien einem demokratischen Referendum zustimmt, mit dem auch politische Garantien für die jeweiligen Abstimmungsverlierer verknüpft werden könnten. Und in der BBC wurde der Kolumnnist Owen Jones in einer Fernsehdebatte sogar ganz offen gefragt, ob sich Spanien nicht mittlerweile "wie ein faschistischer Staat verhält".
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Sigrid Horschitz
am 06.12.2017