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Solidarisch, rebellisch, krisenfest

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Wenn Reiche immer reicher und Arme immer ärmer werden, braucht Arbeit eine neue Definition. Die Mondragón Corporación Cooperativa im baskischen Hügelland versucht seit sechzig Jahren, soziale Gerechtigkeit zu schaffen und sich gleichzeitig auf dem kapitalistischen Weltmarkt zu behaupten.

Ein bisschen Stolz steht ihm schon ins Gesicht geschrieben, als er durch die weite Montagehalle führt. "Dort drüben fertigen meine Kollegen gerade Teile einer automatischen Stanzmaschine, die ein großes europäisches Autounternehmen in Auftrag gegeben hat", sagt Baltasar Pérez Sanz und zeigt auf ein blau lackiertes, sieben Meter hohes Ungetüm. Was neu ist an diesem Apparat und wer ihn bestellt hat, will der Ingenieur nicht erläutern. Betriebsgeheimnis. Konkurrenzfähig seien sie hier jedenfalls, signalisiert er und erläutert das anhand des international umkämpften Maschinen- und Anlagebau-Marktes: Sie entwerfen und produzieren hydraulische Pressen, Walz- und Lackierwerke, Stanzautomaten, Montagebänder, halbe Fabrikanlagen. Und das Besondere? "Fagor Arrasate ist ein Unternehmen, das uns Beschäftigten gehört. Wir entscheiden, wer was zu welchen Bedingungen produziert."

Das Werk von Fagor Arrasate, derzeit 500 Beschäftigte, liegt am südlichen Rand von Mondragón, einer kleinen, unscheinbaren Stadt im baskischen Hügelland im Nordosten Spaniens. Rund 22 000 Menschen leben in dem Ort, der auf Baskisch Arrasate heißt. Hier, vierzig Kilometer südöstlich von Bilbao, hat der weltweit größte Ver­bund von Industriekooperativen seinen Sitz: die Mondragón Corporación Cooperativa mit ihren 101 Genossenschaften und einem Jahresumsatz von 12,1 Milliarden Euro.

Vor sechzig Jahren wurde in diesem Tal die erste Genossenschaft gegründet. Eine wesentliche Rolle spielte Pater José María Arizmendiarrieta. Unter seiner Anleitung gründeten 1956 fünf Arbeiter die Kooperative Ulgor, die Jahre danach in Fagor Electro­do­mésticos (Haushaltsgeräte) umbenannt wurde. Nur wenn das Wissen allen verfügbar, wenn es sozialisiert sei, könne die Macht demokratisch sein, hatte Arizmendiarrieta gepredigt. Und: Nur kooperatives Wirtschaften könne den Wohlstand der Gesellschaft mehren. Dass sein Credo aufging, lag jedoch nicht nur an ihm. Andere Faktoren kamen hinzu: die handwerkliche und technische Fertigkeit der Menschen in der am stärksten industrialisierten Region Spaniens; der im Baskenland tief verwurzelte Unabhängigkeits­geist; das beharrliche Streben nach mehr Selbst­ständig­keit und nicht zuletzt die seit Jahrzehnten praktizierte Solidarität der Bevölkerung.

Der fast unheimlich schnelle Aufstieg

Was als Experiment begann, entwickelte sich mit atemraubender Geschwindigkeit. Bereits Anfang der 1960er-Jahre waren rund um Mondragón mehr als zwanzig Kooperativen entstanden. Ein Prozess, der teilweise von dem Protektionismus des Franco-Regimes begünstigt wurde.

Immer weiter aufwärts ging es – bis zur Wirt­schafts­krise Mitte der 1970er-Jahre. Sie gab der bereits angeschlagenen baskischen Schwerindustrie, Stahlwerken und Werften, den Rest. Auch aus dem Mondragón-Verbund überlebte eine Genossenschaft diesen Prozess der Deindustrialisierung nicht. Die Kooperativenmitglieder, die davon betroffen waren, hatten jedoch trotzdem weiter Arbeit. Der Grund: Sie wurden mit Maßnahmen gerettet, die heute noch in Krisen­zeiten angewandt werden. GenossenschafterInnen eines angeschlagenen Mondragón-Unterneh­mens können vorübergehend oder dauerhaft in eine der anderen Kooperativen wechseln. Sie erhalten zudem finanzielle Unter­stützung aus dem Sozialfonds Lagun Aro; er sichert die Beschäftigten sozialversicherungsrechtlich ab. Und die genossenschaftseigene Bank investiert gezielt in neue Pro­dukte und Unter­nehmen, um wieder neue Arbeits­plätze zu schaffen.

Am Ende der großen Krise 1974 stand der Mondragón-Verbund besser da als zuvor: Er hatte die Produktpalette verbreitert, seine Firmen expandierten – auch dank des Zugangs zum europäischen Binnen­markt nach Spaniens EU-Beitritt 1986. Heute stellen die mehr als hundert Kooperativen alle möglichen Produkte her: Automatisie­rungsanlagen, medizinische Apparate, Omnibusse oder Wind­kraft­räder. Sie sind im Bausektor aktiv, in der Landwirtschaft, im Dienst­leistungssektor und im Handel, in der Supermarktkette Eroski mit ihren Megamärkten, Parfümerien, Sportgeschäften und Reisebüros. Zudem gilt Laboral Kutxa mit ihrem landesweiten Netz von beinahe 340 Filialen als eine der solventesten Banken Spaniens. Die fünfzehn Techno­lo­gie­zentren des Mondragón-Verbundes haben international einen guten Ruf. Und in den vier Fakultäten des Mondragón-Bildungssystems werden 4750 Studierende unterrichtet.

"Unser oberstes Ziel ist es, mit der Schaffung und dem Erhalt von Arbeitsplätzen den Wohlstand der Bevölkerung zu mehren", sagt Mikel Lezamiz, der sein Büro am Olandixo-Hügel oberhalb der Stadt hat; dort ist die Zentrale des Kooperativenverbunds. Und das sei bisher ganz gut gelungen, versichert der Mondragón-Sprecher. Denn: "In renditeorientierten Firmen ist die Kapitalvermehrung der alleinige Zweck. Und die Arbeitskraft wird als Mittel eingesetzt, um dieses Ziel zu erreichen. Bei uns hingegen steht der Mensch im Mittelpunkt, das Kapital ist nur ein Instrument." In den Tälern der Region liegt die Arbeitslosigkeit mit sechs Prozent deutlich unter dem spanischen Durch­schnitt von rund zwanzig Prozent.

Selbst das Sagen haben – Teil des Erfolges

Was ist das Erfolgsgeheimnis? Die Unternehmen des Verbundes kooperieren sehr eng, sie beraten sich gegenseitig, sie investieren viel in die Weiterbildung der Beschäftigten, sie achten darauf, dass ihre Banken und Versicherungen solide und stark sind. Und nicht zuletzt macht das Prinzip der Selbstverwaltung einen Teil des Erfolges aus: In jeder Kooperative geben die Mitglieder, derzeit im Durchschnitt 81 Prozent der Beschäftigten, den Ton an. Sie entscheiden auf den regelmäßigen Vollversammlungen über Investitionen, die Verwendung der Profite – ein Teil geht an die Zentrale und ein weiterer an die Bildungseinrichtungen –, die Besetzung des Managements, und sie wählen die Delegierten für die Generalversammlung des Mondragón-Verbunds.

Natürlich gibt es Probleme. Denn die Koopera­tiven haben innerhalb des privatkapitalistischen Markts zu funktionieren, sind damit auch den Zwän­gen unterworfen, die dieser schafft. Fagor Arrasate zum Beispiel hängt zu fast hundert Prozent vom Export und der Automobilindustrie ab: "Wir folgen notgedrungenermaßen den Global Players", erläutert Baltasar Pérez Sanz, der leitender Ingenieur in der Genossenschaft ist. "Wenn Toyota oder General Motors ein Werk in Brasilien oder Mexiko aufbauen, verlangen die dortigen Behörden oft, dass sich auch große Zulieferer wie wir dort niederlassen." Das erklärt, warum der Mondragón-Verbund in zahlreichen Ländern Tochterfirmen hat (auch in Deutsch­land), und warum er auch ständig Unternehmen dazukauft: ein Zwang des Marktes zur ständigen Expan­sion, um mithalten zu können.

Allerdings werden diese Tochterfirmen meist nicht als Genossenschaften betrieben: "Wir sind zwar bemüht, die dort Beschäf­tigten ebenfalls zu Eigentümern zu machen, aber das gelingt selten", sagt Sanz. Warum? Weil sich der Genossenschaftsgedanke nicht einfach in andere Kulturen übertragen lässt. Weil in manchen Staaten (wie China) Produktions­genossen­schaften nicht zugelassen sind. Weil viele Arbeiter und Angestellte die Eigenverantwortung erst einmal scheuen, die ihnen das Genossenschafts­konzept abverlangt. Oder weil die Belegschaften die Beteiligungskosten nicht tragen wollen oder können. Denn: Alle Genossen­schafts­mitglieder müssen als einmaligen Beitrag 15 000 Euro in das Genossen­schafts­unternehmen einzahlen, ein Jahresgehalt der untersten Lohngruppe. Geringverdiener müssen diese Summe nicht auf einmal einzahlen, sie haben die Möglichkeit, sich mit einem zinsgünstigen Kredit unterstützen zu lassen. Schlechter gestellt sind die Beschäftigten in den Auslandstöchtern aber deswegen nicht. Selbst in China, wo Fagor Arrasate auch ein Werk unterhält, verdienen IngenieurInnen so viel wie bei Mondragón selbst, sagt Sanz: rund 2000 Euro netto im Monat.

Wie gefährlich sind Expansion und Wachstumsstreben?

2000 Euro sind in Spanien, wo der Mindestlohn bei unter 700 Euro netto im Monat liegt, viel Geld. Und die Chefs? Die bekommen in den meisten Kooperativen maximal das 4,5-Fache der am schlechtesten bezahlten GenossenschafterInnen, so Sanz. Nur bei den zehn umsatzstärksten Mondragón-Unternehmen verdient der CEO höchstens sechs Mal so viel wie die Reinigungskraft.

Ist also doch alles gut? Nicht ganz. Die mitunter allzu optimistisch vorangetriebene Expansion, das Vertrauen auf kontinuierlich stürmisches Wachstum mit Umsatzsteigerungen zwischen 20 und 50 Prozent im Jahr und nicht zuletzt die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise ab 2008 haben etliche der bis dahin stabilen Kooperativen ins Schlingern gebracht. Vor allem in Spanien, wo der Immobilienmarkt kollabierte, die Arbeitslosigkeit massiv anstieg und deshalb die Konsumkraft der Bevölkerung dramatisch einbrach, verschlechterten sich die wirtschaftlichen Bedingungen erheblich. In den letzten Jahren wurden allein Zehntausende von Hypothekengeschädigten aus ihren Wohnungen vertrieben. Wer kauft da noch Kühlschränke und Waschmaschinen? Bei Fagor Electrodomésticos gingen die Umsätze massiv zurück. 2013 beschlossen der Verbund, das Management und auch die Genossenschaftsmitglieder des Haushaltsgeräte­herstellers das Aus für die Kooperative, mit der 1956 alles begonnen hatte.

"Wir haben alles versucht", sagt Mikel Lezamiz, Sprecher des Verbunds und Mitglied des Direkto­riums. "Der Investitionsfonds half mit 300 Millionen Euro aus, um die 2000 Arbeitsplätze zu retten. Doch vergebens." Immerhin, entlassen wurde fast niemand. Die allermeisten Beschäftigten kamen bei anderen Kooperativen unter – obwohl auch diese unter Druck standen und manche sich selber die Löhne kürzen mussten. Andere akzeptierten großzügige Vor­ruhe­standsregelungen. Zwei Dutzend schlecht qualifizierten Mitgliedern hingegen blieb nach langen Auseinandersetzungen nur eine vergleichsweise geringe Abfindung.

Noch ein Krisenfall: Auch Eroski stolperte. Nur wenige Jahre zuvor, 2007, hatte die Großgenossen­schaft die spanische Handelskette Caprabo übernommen und deren 17 000 Lohnabhängige zu GenossenschafterInnen gemacht – eine beachtliche Leistung. Doch die Lage wurde immer schwieriger, je länger sich die 2008er-Krise hinzog. Im Baskenland konnten die Geschäftsumsätze zwar gehalten werden. Im übrigen Spanien aber brachen sie ein, wie bei anderen Lebensmittelketten auch. "Gegen makroökonomische Entwicklungen sind wir machtlos", sagt Lezamiz, "das wissen auch die Mitglieder." Und treffen notgedrungen harte Entscheidungen, auch wenn sich diese gegen sie selbst richten. Bei Eroski votierte die Basis mit großer Mehrheit dafür, Supermärkte zu verkaufen. In der Region Madrid, wo sich kein Käufer fand, mussten Beschäftigte entlassen werden.

Verantwortung tragen, Krisen vermeiden

"Solche Einbrüche machen uns zu schaffen", sagt auch Ingenieur Baltasar Pérez Sanz beim Rundgang in der Werkshalle von Fagor Arrasate. "In gewisser Weise sind Krisen für uns Genossenschafter unangenehmer als für normale Lohnabhängige. Du hast neben der ohnehin anspruchsvollen Arbeit zusätzlichen Stress. Du denkst die ganze Zeit mit. Du überlegst dir auch, was aus den Belegschaften der Subunternehmen wird. Du trägst Verantwortung." Schließlich müsse man ja auch für jene handeln, die nicht mitentscheiden können. Seit einiger Zeit, so Sanz, finden in seinem Werk alle zwei Wochen Abteilungsversammlungen statt. Alle müssen informiert sein, auf dem Laufenden bleiben, Entscheidun­gen treffen. Eine Entscheidung: Es wurden Arbeits­zeitkonten neu eingeführt, mit denen Schwan­kun­gen in der Auftragslage besser ausgeglichen werden können. Zudem wurden Maßnahmen ergriffen, damit Beschäftigte leichter zwischen Abteilungen und Kooperativen wechseln können - also auch dorthin gehen, wo gerade am meisten Bedarf ist. Natürlich, mühsam sind die vielen Treffen und Diskussionen schon. "Andernorts geht das rascher, da trifft einer oben die Entscheidung. Bei uns dauert das länger. Aber dafür setzen wir das Beschlossene viel schneller um, weil alle dahinterstehen", erläutert Sanz.

Wohl auch deswegen verlassen nur sehr wenige GenossInnen die Kooperativen, die Fluktuation ist gering. "Manche von uns bekämen in Privatfirmen deutlich höhere Löhne bezahlt, hoch qualifizierte Leute sind gefragt", sagt Sanz. Warum bleiben sie? "Weil die Arbeitsplätze sicher sind. Und weil es unglaublich viele Möglichkeiten zur Weiterqualifizierung gibt." Und wohl auch deswegen, weil kaum irgendwo sonst die Beschäftigten von ihrer Arbeit so wenig entfremdet sind und sich so sehr mit ihr identifizieren können wie in diesem Teil des Baskenlands. 

 

Der Text erschien zuerst in <link https: oxiblog.de _blank external-link-new-window>Oxi. Wirtschaft für Gesellschaft.


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4 Kommentare verfügbar

  • Schwabe
    am 04.03.2017
    Antworten
    Erstens lieber Ernst Hallmackeneder (02.03.2017 14:52) schreibe ich in meinem Kommentar über "soziales Wirtschaften" (in Bezug auf den Artikel bzw. im Rahmen einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung) und zweitens, wenn ich über Sozialismus schreibe, spreche, nachdenke, meine ich - im Gegensatz zu…
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