Die Nacht war lang, der junge Marx hat sie mit seinem Freund Engels trinkend und diskutierend in Kneipen verbracht, jetzt steht er draußen auf der Gasse und plötzlich leuchtet sein Gesicht auf. Er hat eine zündende Idee und er lässt einen Satz los, der global aufflammen wird und auch heute, gut eineinhalb Jahrhunderte später, wieder gefährlich lodert: "Alle Philosophen haben bis jetzt die Welt immer nur interpretiert. Aber man muss sie verändern – jetzt!"
Lange Zeit schien dieser Satz nur noch historisches Zitat und damit entschärft zu sein. Und auch derjenige, der ihn in Raoul Pecks Film so frisch in die Welt setzt, galt bloß noch als ein Mann von gestern, als ein zum Klassiker erstarrter Aufrührer. Die spießige DDR stellte ihn in Karl-Marx-Stadt als klotzigen Riesenkopf ruhig, der siegende Kapitalismus, der die Stadt sofort wieder in Chemnitz rückbenannte, war sich sicher, den Denker nicht mehr ernst nehmen zu müssen. Während Che Guevara zur folklorisierenden Forever-Young-Pop-Ikone wurde, war Marx als Forever-Old-Rauschebart abgeschrieben. Aber weil die Verhältnisse immer mehr so sind und werden, wie Marx sie beschrieben oder vorausgesagt hat, ist er wieder da, wird weltweit diskutiert und ist nun auch Held eines Biopics.
Wie? Nein, der Bart ist nicht ab, doch der Schauspieler August Diehl trägt ihn hier nicht wie einen altväterlichen Staubfänger, sondern wie das trotzige Lass-es-wuchern-Statement eines jungen Revolutionärs. Im Jahr 1843 ist Marx Mitte zwanzig und ein selbstbewusster Radikaler. Den Polizisten, die angesetzt sind auf seinen linken Zirkel und auf die Zeitung, für die er schreibt, öffnet er mit hochmütiger Geste die Tür, bevor sie diese einbrechen können. In deutschen Landen ist seines Bleibens nun nicht mehr, er geht mit seiner Frau Jenny (Vicky Krieps) ins Exil, zuerst nach Paris, später nach Brüssel. Das Paar lebt in ärmlicher Bürgerlichkeit, Marx sucht Arbeit, schreibt nächtelang bei Kerzenlicht, in der Stube kräht ein Kind und bald wird ein weiteres erwartet. "Schon wieder!"
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