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Ins Herz geboxt

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Der finnische Regisseur Juho Kuosmanen hat einen Boxerfilm gedreht. Keine Haudrauf-Rocky-Saga, sondern einen kleinen, subtilen und auch zärtlichen Streifen. Eine Geschichte, die mehr ins Herz geht als voll auf die Zwölf.

"Das Herz eines Boxers kennt nur eine Liebe: den Kampf um den Sieg ganz allein." (aus dem ,Boxerlied', gesungen von Max Schmeling im 1930 entstandenen Film "Liebe im Ring")

Ein drahtiger junge Mann wird bald um die Weltmeisterschaft boxen, aber jetzt ist er erstmal Gast auf einer Hochzeit in der finnischen Provinz, spielt mit Kindern und zeigt ihnen, wie man eine auf der Fensterscheibe herumirrende Fliege einfängt und draußen freilässt. Nämlich ganz sanft und behutsam. Dann muss er wieder zurück nach Helsinki, um sich auf seinen Kampf vorzubereiten. "Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki" ist ein Boxerfilm. Also einer, der vom Sich-Schinden-und-Quälen erzählt, von der Fokussierung auf die große Chance, von der Schlacht im Ring, vom Aufstieg und vom Ruhm – so wie die Rocky-Saga und deren Kopien? Oder von den düsteren Seiten des Geschäfts, von miesen Wetten und Manipulationen, von beschädigten Psychen und Matschbirnen, von Fanatismus und Abstürzen, so wie Martin Scorseses "Wie ein wilder Stier" oder John Hustons "Fat City"?

Hmmm. So richtig passt Juho Kuosmanens Film, auch wenn er manch einschlägige Motive durchspielt, doch nicht ins Genre, weder in dessen euphorietrunkene noch in dessen düster-depressive Sparte. Denn so wie die Geschichte von Olli Mäki erzählt wird, der tatsächlich im Jahr 1962 gegen den US-Amerikaner Davey Moore um die Weltmeisterschaft geboxt hat, schält sich hinter all den genau erfassten Szenen um das Gewerbe immer mehr ein Liebesfilm heraus. Dabei werden um den Bäcker Olli (Jarkko Lahti) und seine Freundin Raija (Ooona Airola) gar keine großen Worte gemacht. Wenn der gutmütige Boxer von seinem ehrgeizigen Manager Elis (Eero Milonoff) wieder mal zu einem PR-Termin verpflichtet wird ("Wir gegen die Amerikaner!"), bei dem ihn der Anzug zwickt und ihn das viele Besteck auf dem Tisch verwirrt, dann muss er nur Blickkontakt mit Raija aufnehmen. Wie innig sie ihn anstrahlt! Und wie klar ihm jedes Mal wird, was er wirklich will!

Gefühlvoll rein hauen

Juho Kuosmanen hat seine in Schwarzweiß und auf körnigem 16-Millimeter-Material gedrehte Geschichte ganz in ihre Zeit hinein inszeniert. Die Kleidung, die Möbel, die Autos wirken so, als wären sie nicht nur mal kurz aus dem Fundus geholt worden, sondern wie echt und in Gebrauch. Vor allem aber agieren die exzellenten Darsteller nicht wie in einem nur nach Sechzigerjahren aussehenden Ausstattungsstück, nein, sie lassen die Vergangenheit quicklebendig werden. So ist die Olli-Mäki-Story impressionistisch erzählt, es geht um das spontane Einfangen von Stimmung und Atmosphäre, in manche Szenen platzt die Kamera geradezu hinein und ist dann ganz nah dran an den Personen.

Er habe sich, sagt der Regisseur, vom Cinema Verité der sechziger Jahre inspirieren lassen, einer fast parallel zur Nouvelle Vague entstandenen Richtung im Dokumentarfilm. Die leichte, lockere und frische Geschichte lässt sich freilich auch an wie eine Hommage an die Ästhetik einiger skandinavischer Spielfilme jener Jahre, an moderne und aus den Studiozwängen ins Freie führende Klassiker wie Jan Troells "Hier hast du dein Leben" (1966), Bo Widerbergs "Elvira Madigan" (1967) oder Roy Anderssons "Eine schwedische Liebegeschichte" (1970).

Was die Vorbereitung auf den Boxkampf angeht, sieht das oft rührend nostalgisch aus: Wie sich Journalisten zum Pressetermin im Hinterzimmer einer Kneipe an einen Tisch quetschen; wie Olli in einem Freibad und noch bei einsetzendem Regen Sparringskämpfe führt; wie er mit einem arroganten Model für ein Foto posiert und deshalb, um auf Augenhöhe zu kommen, auf einen Hocker stehen muss. Wenn Ollis Manager und Kontrolleur Elis aber ein Treffen mit reichen Sponsoren arrangiert oder eine Home-Story über den Kämpfer drehen lässt, der in einer kommunistischen Familie groß geworden ist, nun aber als strammer Nationalheld firmieren soll, sind schon mehr als nur Ansätze jener Geld-und-Medien-Mechanismen zu erkennen, die das Boxgeschäft bestimmen.

Ollis Freundin hat bei diesem Aufbau eines Idols keinen Platz, jedenfalls versucht Elis immer wieder, Raija aus dem Raum und aus dem Bild zu drängen. Der Federgewichtler Olli aber, der sonst so vieles geduldig mit sich machen lässt, widersetzt sich. Wobei dieser Akt der Emanzipation nicht pathetisch inszeniert ist. In diesem ungeheuer sympathischen Film bleibt alles klein und bescheiden, wird alles eher unterspielt und indirekt vermittelt. Und der große Kampf? Den schildert der Regisseur auch mal aus weit entfernter Position, so als gäbe es wirklich Wichtigeres zu tun. Gibt es ja auch. In der zweiten Runde ist es für Olli auch schon vorbei, und man darf das hier verraten, weil es Sporthistorie ist und man diese kurz in der englischen und etwas länger auch in der finnischen Wikipedia nachlesen kann. Und weil "Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki" sowieso nicht vom Gewinnen eines WM-Kampfs abhängt.

Sieg für die Liebe

Der Tag des verlorenen Kampfs ist ja auch der, an dem Olli seiner Ranija einen Verlobungsring kauft. Sie laufen am Hafen entlang, ein altes Paar kommt ihnen entgegen, Olli und Ranja schauen ihm hinterher. "Ob wir auch so werden?" will Ranija von Olli wissen. Er fragt zurück: "So alt?" Sie sagt: "Und so glücklich!" Dieses alte Paar ist übrigens der echte Olli Mäki und seine echte Ranja. Das eingangs zitierte Boxerlied geht dann so weiter: "Das Herz eines Boxers kennt nur eine Sorge: Im Ring stets der erste zu sein. Und schlägt einmal sein Herz für eine Frau, stürmisch und laut: Das Herz eines Boxers muss alles vergessen, sonst schlägt ihn der Nächste knock out!!" Jawohl, genauso das ist passiert mit Olli Mäki. Und wenn man diesen Film gesehen hat, weiß man: Das war auch gut so! 

 

Info:

Juho Kuosmanens "Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki" kommt am Donnerstag, 5. Januar in die deutschen Kinos. Welches Kino in Ihrer Nähe den Film zeigt, <link http: kinofinder.kino-zeit.de programmsuche _blank external-link>finden Sie hier.

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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 7 Stunden
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