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Abgründige Romanze

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Ein deutscher Film über einen Holocaustforscher und seine jüdische Assistentin, die sich in ihn verliebt – klingt nach Schnarch. Doch „Die Blumen von gestern“ von Chris Kraus ist eine Romanze überm Abgrund, die mit vielen Tabus der offiziellen Erinnerungskultur bricht.

Totila Blumen ist ein vierzigjähriger deutscher Holocaustforscher. Sehr ernst, sehr schuldbewusst geht er seiner Arbeit nach und macht die eigene Hochempfindlichkeit zum Maßstab für alle anderen. Wie könne man nur vor einem KZ-Foto einen Imbiss einnehmen, herrscht er bei der Vorbereitung eines Auschwitz-Kongresses seine Kollegen an. Immer wirkt dieser Totila (Lars Eidinger) gereizt, wittert politische Unkorrektheiten, schwingt das, was Martin Walser als Moralkeule bezeichnet hat. Wehe, jemand gerät in den Verdacht, die Vergangenheit zu verdrängen! Zum Beispiel die neunzigjährige Frau Rubinstein (Sigrid Marquardt), die Totila zum Kongress einladen soll. Die jüdische Schauspielerin und KZ-Überlebende entspricht nämlich nicht seinen Vorstellungen vom Nazi-Opfer, sie hat keine Lust, so ein "Gejammer abzusondern", will lieber über ihr Nasen- und Gesichtslifting sprechen. So, dass der Holocaust-Experte wütend mit dem Satz herausplatzt, sie habe ja "keine Ahnung", was Menschen in Auschwitz angetan wurde.

Bei seinem Forschungs-Konkurrenten Balthasar (Jan Josef Liefers), einem geschmeidigen Karrieristen, wird Totila sogar physisch ausfällig. Nachdem er dessen Sponsorenpolitik als Kommerzialisierung des Holocaust angeprangert hat, haut er auch noch kräftig zu, so dass er seinen Kommissionsleiterposten an Balthasar verliert, dieser dafür recht lange eine dicke Halskrause und eine groteske Kieferschiene tragen muss. Den Gandhi geheißenen Mops des unmittelbar nach seiner letzten Personalentscheidung verstorbenen Institutsleiters Manfred (Rolf Hoppe) übernimmt aber Totila. Und ein bisschen später wird Gandhi von der sich mit Totila kabbelnden Holocaustforschungs-Praktikantin Zazie (Adèle Haenel) aus dem Fenster eines fahrenden Autos geworfen.

Eine Holocaust-Komödie? Dazu noch eine mit komischen Namen und klamottigen Teilen? Ja, darf man in diesem Land so etwas drehen? Nun, vielleicht muss man vor der Beantwortung dieser Frage noch ein bisschen weitererzählen. Beziehungsweise: mit dem Film noch weitergehen. Denn der aus einer Täterfamilie stammende Totila und die französische Jüdin Zazie verlieben sich ineinander. Nicht sofort, nein, obwohl Zazie gleich frische Töne mitbringt und von einem verführerisch leicht wirkenden Carla-Bruni-Chanson ("Quelqu'un m'a dit") begleitet wird. Zuerst aber müssen der verbissene Forscher, der seine impulsive Praktikantin für "banal und doof" hält, durch eine spritzige Screwball-Komödie, also durch jenes frivole Genre, in dem ein steifer Fachidiot von einer quirligen Chaotenfrau durch Wort und Tat aus der Fassung gebracht wird. "Ich verdiene mein Geld damit, negativ zu sein!", so erklärt der von so viel quirliger Frau genervte Totila seine immerwährende Vergangenheitsbewältigung. Er verbiete sich viel zu viel, sagt die immerfort vor Emotion überlaufende Zazie, und fügt hinzu: "Auch Holocaustforscher können über Sex sprechen."

Auch Holocaustforscher können über Sex sprechen

Totila jedoch ist impotent. Seiner Frau (Hannah Herzsprung) gestattet er deshalb Seitensprünge, allerdings nur in zeitlich genau begrenztem Rahmen. Seine Tochter kommt übrigens aus Afrika und wurde adoptiert. Die Impotenz ist natürlich auch metaphorisch zu verstehen, sie hängt mit Totilas Schuld-Trauma zusammen und könnte vielleicht durch einen Akt der versöhnenden Aufarbeitung, direkter gesagt: durch Sex mit Zazie, geheilt werden. Nachdem die beiden sich, unter anderem in einer romantischen Wiener Kaffeehausszene, nähergekommen sind, führt die Reise schließlich nach Riga, in ein altes Klassenzimmer und auf ein Gräberfeld. Und es folgt in diesem mit dem Schrecken und mit der Komik spielenden Film, der seine Stimmungsschwankungen nicht kaschiert, sondern geradezu hervorhebt, nun ein so großer Bruch, dass schließlich doch alles in die Tragödie kippen könnte.

"Die Blumen von gestern" von Chris Kraus ("Vier Minuten") ist eben doch kein Film, der bedenkenlos ein Thema okkupiert und dabei alles missachtet, was dazu an Diskussionen vorausgegangen ist. Selbst den zeitgenössischen Nazi-Komödien "Der große Diktator" von Chaplin und "Sein oder Nichtsein" von Lubitsch wurde schon Verharmlosung vorgeworfen; Jerry Lewis ist 1972 mit seinem sentimentalen Holocaust-Film "Der Clown" gescheitert; Roberto Benignis Tragikomödie "Das Leben ist schön" von 1998 bleibt umstritten; und der "Shoah"-Regisseur Claude Lanzmann wollte fiktive Auschwitz-Bilder - und nicht nur solche in Komödien! - gleich ganz verbieten. Chris Kraus weiß das alles, er setzt sich auch nicht über diese Bedenken hinweg, sondern führt seinen Film durch diese hindurch.

Der Göttinger Regisseur und Autor kommt selber aus einer Täterfamilie, er hat lange Jahre seinem SS-Großvater nachrecherchiert und Akten gelesen, vor allem in der Zentralstelle Ludwigsburg, die NS-Verbrecher verfolgt. Doch er will nicht noch einmal zeigen, was damals passiert ist, er setzt das als nicht diskutierbar voraus. In seinem Film inszeniert er also nicht die Vergangenheit nach, sondern zeigt, warum sie die Nachgeborenen der Opfer und der Täter immer noch prägt und traumatisiert. Die offizielle deutsche Erinnerungskultur, sagt Kraus, sei inzwischen "eine Gedenkmythologie, die echten Schmerz, oder besser, gefühlte Gefühle eigentlich kaum noch zulässt." Er bricht in "Die Blumen von gestern" deshalb mit den oft nur noch mechanisch vollzogenen Ritualen, geht direkt und über Tabus hinweg an das Thema ran, will zurück in den Schmerz und gibt sich dabei manchmal rotzig und brutal. Rücksichtlos jedoch, im Wortsinn genommen, ist sein Film keineswegs.

Rotzig und brutal aber nie rücksichtslos

Ein deutscher Holocaustforscher und eine französische Jüdin können zwar versuchen, eine "normale" Romanze zu leben, aber sie spüren dabei, dass unter ihnen ein Abgrund klafft. Auf Totilas Frage nach ihrem Alter antwortet Zazie zum Beispiel so: "Ich bin so alt wie meine Oma, als sie vergast wurde." Auch im Mercedes will sie nicht mitfahren, das sei ein Täterauto. Und selbst die Zitate aus dem Roman "Kalumina", die sie Totila mal zärtlich ins Ohr träufelt, sie führen, wenn man ihnen nachforscht, aus der romantischen Stimmung heraus. Geschrieben wurden sie nämlich 1933 von Kadidja Wedekind, die danach ins Exil ging. Ach, diese vielen Fallen! Diese Verkrampfungen, die sich auch und vor allem in Totilas krummer Körpersprache zeigen! Seine Sehnsucht nach Erlösung, die sich selber Zügel anlegt! Da scheint Zazie doch freier und unbefangener zu sein. Sie sucht Totilas Nähe, sie will ihn spüren, sie will ihn haben. Und wie exzellent Lars Eidinger und Adèle Haenel diese Szenen spielen, wie es da sprüht und funkt!

Bei seinen Recherchen in Ludwigsburg habe er erlebt, wie Nachfahren der Täter und der Opfer sich etwa in der Cafeteria begegnen, sagt Chris Kraus. Und da komme es manchmal zu einem "Einbruch der banalsten Leichtigkeit", die ihn zu den "Blumen von gestern" inspiriert habe. In seinem Film kommt es am Ende zur Begegnung von Frau Rubinstein und einem jovialen Vertreter der Firma Daimler-Benz, die als Sponsor für den Auschwitz-Kongress auftritt. Wenn sie auf der Bühne den Mercedes-Stern tragen würde, wären noch mehr als die vereinbarten 5000 Euro drin, verspricht er Frau Rubinstein. Und wieviel mehr gäbe es, wenn sie den Judenstern trage, fragt sie. Schrecksekunde! Und dann sagt der Daimler-Benz-Mann: "Der war gut!" und lacht die Vergangenheit dröhnend weg. Es ist nicht die beste Szene des Films, sie ist ein bisschen zu nah dran am Kabarett. Aber auch sie zeigt, wieviel Chris Kraus bei seiner Geschichte riskiert.

 

Info:

Chris Kraus "Die Blumen von gestern" kommt am Donnerstag, 12. Januar in die deutschen Kinos. Welches Kino in Ihrer Nähe den Film zeigt, finden Sie <link http: kinofinder.kino-zeit.de programmsuche>hier.

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