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Lesbisch und rechts

Queere Fronten

Lesbisch und rechts: Queere Fronten
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Dass die queerfeindliche AfD eine lesbische Frau zur Vorsitzenden hat und als Kanzlerkandidatin aufstellt, wirkt wie ein Paradoxon. Alice Weidel selbst löst es, indem sie zwischen homosexuell und queer unterscheidet. Auch in der queeren Community tun sich Gräben auf.

Knapp drei Jahre ist es her, dass Alice Weidel beim Parteitag im sächsischen Riesa zur Co-Vorsitzenden der AfD gewählt wurde. Anfang dieses Jahres ging sie wiederum in Riesa als erste Kanzlerkandidat:in der rechtsextremen Partei hervor. Dass sie selbst in einer lesbischen Beziehung lebt, scheint ihrem parteiinternen Erfolg bisher nicht zu schaden. Obwohl nicht alle Parteimitglieder geschlossen hinter ihr stehen. Auf dem letzten AfD-Parteitag, auf dem Weidel Kanzlerkandidatin und das Wort Remigration ins Wahlprogramm geschrieben wurde, hat die AfD auch ihr Familienbild ins Programm niedergeschrieben: Vater, Mutter und Kinder.

Damit ist Weidels eigene Kleinfamilie nicht auf Parteilinie. Alice Weidel umgeht jeglichen Konflikt, indem sie eine klare Trennungslinie zieht. Wie so oft bei rechtem Gedankengut geht es um einen vereinfachten Dualismus von Gut und Böse, Richtig und Falsch. Alice Weidel betont immer wieder, sie sei verheiratet mit Kind, so etwa im ARD-Sommerinterview 2023: "Ich bin nicht queer, sondern ich bin mit einer Frau verheiratet, die ich seit 20 Jahren kenne." Ihre Frau ist gläubig und sie hält an einer überholten zweigeschlechtlichen Ordnung von Mann und Frau fest. Abgesehen von ihrer lesbischen Partnerinnenschaft lebt Weidel ein rechtskonservatives Leben nach dem gängigen heterosexuellen Familienmodell und sie setzt sich gegen das Recht auf Abtreibung ein.

Nicht zu Weidels Feindbild gehören demnach verheiratete Schwule oder Lesben, sondern Menschen, die sich als queer begreifen. Menschen, die von vielfältigen Geschlechtern ausgehen. Die AfD spricht gerne von einer "Trans-Gender-Lobby". Dahinter steckt ein strukturell antisemitisches Erzählmuster: Es gäbe eine kleine Elite, die versuche, die Weltherrschaft an sich zu reißen und im Verborgenen Strippen zieht. Trans Personen wird vorgeworfen, die Kleinfamilie und damit schlussendlich die Nationalstaaten zu zerstören. Zum Feindbild zählen außerdem Menschen, die in Familien mit Mehreltern-Modell leben, oder Beziehungen mit mehreren Partner:innen führen, beispielsweise offene Ehen oder polyamouröse Beziehungen.

Nicht die erste rechte Homosexuelle

Alice Weidel ist nicht die erste extrem rechte Spitzenpolitiker:in, die homosexuell ist. Pim Fortuyn, bekennend homosexuell, war Anfang der 2000er Jahre erfolgreich in der niederländischen Politik als Politiker der rechtspopulistischen Lijst Pim Fortuyn. Er war nicht bieder wie Alice Weidel, sondern feierte durchaus eine schillernde queere Seite. Doch er instrumentalisierte seine Homosexualität für antimuslimischen Rassismus, indem er allein muslimische Menschen für Homofeindlichkeit verantwortlich machte.

In der Geschichte finden sich verschiedene Beispiele für die "bad gays": Menschen, die anders lebten und liebten, sich von der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft unterschieden und von den Errungenschaften emanzipatorischer und progressiver Bewegungen profitiert haben – aber in ihrem Weltbild menschenfeindlich und rechtskonservativ bis -extrem blieben.

Die Pädagogin Guida Diehl (1868 bis 1961) gehörte ebenfalls zu dieser Kategorie. Sie verfasste frauenpolitische Schriften, setzte sich für das Frauenwahlrecht ein und entwickelte gleichzeitig ein immer stärkeres völkisches, rassistisches und antisemitisches Denken, schließlich wurde sie zu einer glühenden Verehrerin Hitlers. Historikerin Silvia Lange geht davon aus, dass die zum Christentum konvertierte Jüdin Lina Lejeune, mit der Guida Diehl zusammenlebte, ihre Lebensgefährtin war.

Trotz der systematischen Verfolgung von Homosexuellen in der NS-Zeit gehörte mit Ernst Röhm ein homosexueller Mann zur Führungsspitze der Nationalsozialist:innen. Allerdings war die NS-Ideologie durch ein überhöhtes Männlichkeitsbild geprägt – bei gleichzeitiger Abwertung alles Weiblichen. Röhms Homosexualität wurde so lange toleriert, bis Adolf Hitler dann am 30. Juni 1934 die gesamte SA-Führung durch SS-Einheiten liquidieren ließ. Röhms Ermordung zeigt, dass seine Homosexualität instrumentalisiert wurde, um ihn in parteiinternen Machtkämpfen des NS-Staates loszuwerden. Aber auch ausländische Medien und antifaschistische Organisationen nutzten Röhms Homosexualität, um ihn zu diskreditieren.

Über 120 Jahre rechtliche Verfolgung

Gleich nach der Machtübernahme der NSDAP 1933, machten sich die Nationalsozialist:innen daran, politische Gegner:innen und deren Strukturen zu zerstören. Dazu gehörte auch die lebendige queere Szene der Weimarer Republik, die auch queere Menschen aus Nachbarstaaten wie Polen anlockte. Ein Beispiel ist das 1919 von Magnus Hirschfeld in Berlin gegründete "Institut für Sexualwissenschaft", das bereits 1933 von den Nazis gestürmt und dauerhaft geschlossen wurde. Mit dem Institut wollte Hirschfeld nicht nur die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Homosexualität und geschlechtlicher Vielfalt, sondern auch die homosexuelle Emanzipationsbewegung jener Zeit voranbringen und gegen den Paragrafen 175 mobilisieren. Dieser wurde eingeführt zur Kaiserzeit 1871 und erst 1994 abgeschafft, stellte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe und war Grundlage für die Verfolgung Homosexueller in der NS-Zeit und darüber hinaus.

Nachdem sich das nationalsozialistische Regime bis ins intimste in die Leben eingemischt hatte, war in der BRD der Nachkriegszeit Zurückhaltung angesagt. Über Sexualität und Begehren wurde wenig gesprochen. Das ändert sich erst mit der Jugendbewegung der 68er, in deren Folge die Frauen-, aber auch die Schwulen- und Lesbenbewegung entstand.

Lesbische Frauen waren einerseits in queeren Gruppen mit Männern aktiv, beispielsweise bei Kampagnen zur Aufklärung gegen Aids. Andererseits waren viele Lesben auch in der Frauenbewegung engagiert, haben sich für Gleichstellung eingesetzt und zahlreiche Strukturen mit gegründet wie Frauenhäuser und -notrufe, Frauenbuchläden und Archive.

Oft haben diese gemeinsamen Kämpfe gut funktioniert, manchmal aber auch nicht. Ein Beispiel dafür ist der langjährige Streit um ein Mahnmal zur Erinnerung an die Ermordung lesbischer Frauen im ehemaligen Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Teile der schwulen Community verwehrten der Verfolgung lesbischer Frauen die Anerkennung. Diese sah zwar anders aus als bei schwulen Männern, ist aber trotzdem nicht zu leugnen. Zu diesem Schluss kam ein Gutachten und deshalb steht in der Gedenkstätte Ravensbrück nun eine Kugel, auf der zu lesen ist: "In Gedenken aller lesbischer Frauen und Mädchen im Frauen-KZ Ravensbrück und Uckermark. Sie wurden verfolgt, inhaftiert, auch ermordet. Ihr seid nicht vergessen."

Ursprünglich mit radikalen Forderungen nach einer gesellschaftlichen Transformation angetreten, wandelte sich das Ziel der lesbischen Bewegung weg von Befreiung hin zur Integration. Die Ehe für alle, zahlreiche offen lesbische Spielerinnen in der Fußballnationalmannschaft, aber auch so etwas wie ein Babyboom von lesbischen Paaren ab den 90er Jahren und das vermehrte Gründen von Kleinfamilien bezeugen diese Entwicklung. Eine Entwicklung, an die Alice Weidel mit ihrer Familie anknüpft.

Trans Personen als Feindbild

Statt schwer erkämpfte Privilegien zu teilen, wird nach unten getreten – nicht nur von rechts. Trans Personen eignen sich gut als Feindbild der Rechten, da es sich um eine kleine Gruppe handelt, die auf Solidarität angewiesen ist.

Doch es gibt auch Feministinnen, sogenannte TERFs (Trans-Exclusionary Radical Feminists), die transfeindlich auftreten und trans Frauen unterstellen, sie seien Männer. Prominenteste Stimme ist die britische Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling. Diese Haltung wird von einigen lesbischen Frauen geteilt. 

Béla M. Schreck arbeitet in Stuttgart für die Menschenrechtsorganisation "100% Mensch". Schreck plädiert für solidarische und inkludierende Räume, damit insbesondere mehrfach marginalisierte queere Gruppen, zum Beispiel trans Personen oder queere Schwarze Menschen, empowernde und diskriminierungsarme safer spaces haben. Das erfordere allerdings auch, die eigenen Privilegien reflektieren und Machtstrukturen auch innerhalb der queeren Communities kritisch zu hinterfragen. Ein Beispiel für einen solchen Ort sei der Utopia-Kiosk im Züblinparkhaus. Ein queerfeministischer Veranstaltungsraum, in dem laut Schreck Menschen aufeinandertreffen, "die sich in den anderen queeren Räumlichkeiten und Bars nicht wohlfühlen". Das liege daran, dass diese immer noch sehr schwul, weiß und männlich dominiert seien.

Weltweit Angriffe auf LGBTQ+

Dieses Phänomen lässt sich auch in anderen Ländern wie Polen beobachten. 2021 gründete die Aktivistin Ania Matras in Kattowitz (Oberschlesien) "Lesbikon". Die Initiative soll ein safe-space und trans-inklusiver Raum für queere Frauen sein, die sich einerseits in schwulen Räumen nicht wohlfühlen und sich gleichzeitig gegenüber anderen lesbischen Initiativen abgrenzen möchten, die nicht trans-inklusiv sind.

Schreck aus Stuttgart betrachtet die transfeindliche Strömung als problematisch, da diese "bereits enorm viel Einfluss auch bis in die Politik erlangen konnte". Transfeindlichkeit, Antifeminismus und der Kampf gegen geschlechterinklusive Sprache fungieren als Brückenideologie zu rechtskonservativen Akteur:innen. In Deutschland lässt sich das an der Ratifizierung des Gewalthilfegesetzes nachvollziehen. Dadurch bekommen Frauenhäuser und Beratungsstellen mehr Gelder, jedoch wurden in dem Gesetz trans, inter und nicht binäre Personen explizit ausgeschlossen.

Weltweit sieht es ähnlich aus: US-Präsident Donald Trump möchte per Dekret die dritte Option und den Geschlechtseintrag "x" streichen und nur noch "männlich" und "weiblich" anerkennen. In Russland wurde die LGBTQ+ Community Ende 2023 von der Justiz als extremistisch eingestuft. Und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán möchte den Pride-March in der Hauptstadt verbieten lassen und Teilnehmende per Gesichtserkennung identifizieren.


Dieser Artikel wurde mit Unterstützung vom Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung n-ost veröffentlicht und in der Bildungsagenda NS-Unrecht von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) gefördert.

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