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Stuttgarter Wohnungsgesellschaft

Sprechstunde zur Mieterhöhung

Stuttgarter Wohnungsgesellschaft: Sprechstunde zur Mieterhöhung
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Vergangenen Monat flatterten den Bewohner:innen der Stuttgarter Wohnungsgesellschaft Briefe ins Haus: Die Mieterhöhung steht an. Aber es gibt Möglichkeiten, sie abzuwehren. Die Linkspartei will Mieter:innen aufklären – und kritisiert das städtische Wohnunternehmen.

Ende April hängen graue Wolken über Stuttgart. Das Wetter dürfte dieser Tage zur Stimmungslage vieler Mieter:innen der Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) passen: Sie sollen ab Juli mehr für ihre Wohnung zahlen. Ende vergangenen Jahres haben die Stadträt:innen im Aufsichtsrat der SWSG für eine Erhöhung gestimmt. Um sechs Prozent steigt die Miete, wenn bislang 7,51 Euro oder mehr pro Quadratmeter fällig waren. Und um acht Prozent für diejenigen, die bislang weniger zahlten. Gedeckelt ist die Erhöhung bei höchstens 45 Euro. Auch wenn die Mieten der SWSG deutlich unter dem Stuttgarter Durchschnitt liegen, die zusätzliche finanzielle Belastung kann nicht jede:r einfach wegstecken. Vor allem die nicht, die ein geringes Einkommen haben und auf niedrige Mietpreise angewiesen sind.

Ende der Kappungsgrenze

Gemäß ihrem sozialen Auftrag begrenzt die SWSG ihre Durchschnittsmiete auf mindestens 20 Prozent unter dem Mittelwert des Stuttgarter Mietspiegels. Dieser liegt derzeit bei 11,15 Euro pro Quadratmeter. Mieterhöhungen wären rechtlich bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete zulässig. Allerdings dürfen die Mieten innerhalb von drei Jahren nicht mehr als 20 Prozent steigen. Die Landesregierung hat zudem die Möglichkeit, per Verordnung diese Kappungsgrenze für fünf Jahre auf 15 Prozent für Gemeinden abzusenken, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist. Eine entsprechende Verordnung gilt in Baden-Württemberg seit Juli 2020 und umfasst unter anderem die Landeshauptstadt Stuttgart sowie Heidelberg, Heilbronn, Karlsruhe, Tübingen, Freiburg, Mannheim und Ulm. Eine vollständige Übersicht hier. Ende Juni dieses Jahres läuft diese Verordnung allerdings aus.  (ks)

Im April herrschte derweil Heiterkeit im Rathaus der Landeshauptstadt und bei ihrer Wohngesellschaft. Die verkündete, dass ihr Bestand auf über 20.000 Wohnungen angewachsen ist – eigentlich war das Ziel schon bis Ende 2024 anvisiert gewesen. Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) nennt die nun erreichte Marke einen "großen Schritt nach vorne" und verspricht, dass bis Ende 2027 weitere 1.400 Wohnungen fertig werden sollen. Vor zehn Jahren nannte die SWSG noch etwas weniger als 18.000 Wohnungen ihr Eigen. Geht es in diesem Tempo weiter, verfehlt die kommunale Gesellschaft ihr selbst gestecktes Ziel, bis 2040 den Bestand auf 30.000 Wohnungen zu erweitern. Auch das wird als Argument für die Mieterhöhungen genannt: Um zu investieren und Wohnungen zu bauen, braucht die Wohngesellschaft mehr Ertrag.

Die SWSG, die sich auf ihre Webseite schreibt fair, sozial und transparent zu vermieten, gibt sich in ihrem Mieterhöhungsschreiben gnädig: "Die SWSG hat sich für eine sozial ausgewogenen Mietanpassung entschieden", heißt es darin. Und: "Nach gesetzlichen Vorgaben wäre eine Anhebung der Miete um bis zu 20% möglich, ohne Einhaltung einer absoluten Höchstgrenze." Das liest sich ein bisschen wie: Schau mal, wir könnten viel mehr verlangen, wenn wir wollten.

Linkspartei prüft Mieterhöhung

Es ist der letzte Freitag im April, eben ein solcher Tag mit trübem Wetter, an dem zwei Vorstandsmitglieder der Stuttgarter Linken im Süden der Stadt einen Infostand aufschlagen. Filippo Capezzone, Mitglied im Kreisvorstand, hat mit einem Genossen einen weißen Klapptisch im Innenhof einer SWSG-Wohnanlage am Erwin-Schoettle-Platz aufgestellt. Davor ein Plakat: "Erst überprüfen, dann erst zustimmen!" Ihr Ziel: Die Mieter:innen aufklären und beraten – vielleicht lässt sich ja etwas für sie rausholen oder die Mieterhöhung abwenden.

Eine Frau kommt mit dem Mieterhöhungsschreiben vorbei, Capezzone beugt sich über den Tisch, rechnet nach, ob die angekündigte Erhöhung korrekt ist. Dann blättert er durch den Mietspiegel-Rechner: Wurde die Wohnung dem richtigen Ortsteil zugeordnet? Wann wurde die Wohnung zuletzt modernisiert? Welcher Fußboden ist in der Küche, im Wohn- und Schlafzimmer verbaut? All das muss berücksichtigt werden, wenn die ortsübliche Vergleichsmiete berechnet wird. Wenn sich hier Fehler eingeschlichen haben, kann die Mieterhöhung angefochten werden. Kürzlich hat beispielsweise der Wohnungskonzern Vonovia wieder Aufsehen erregt: Für die drei Conradi-Hochhäuser am Stuttgarter Hauptbahnhof hat sie Zuschläge auf Rollläden erhoben, die gar nicht existieren. So bunt wie Vonovia treibt es die SWSG nicht, doch auch hier käme es zuweilen zu Ungenauigkeiten und Fehlern bei der Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete, sagt Capezzone.

Doch wer unbequem ist, kann unter Umständen einer Mieterhöhung entgehen. Beispielsweise wenn die Wohnung als "neubaugleich modernisiert" angegeben wird – dadurch wird sie in eine jüngere Baualterskategorie eingestuft. Wer Zweifel hat, dass die Bedingungen für die eigene Wohnungen zutreffen, kann bei der SWSG nach Belegen für die Einstufung als "neubaugleich" anfragen. Capezzone weiß von einem Fall, bei dem die SWSG sich daraufhin nicht mehr gemeldet und auch keine Mieterhöhung mehr eingefordert hat.

An diesem Freitagabend kommt außer der Frau nur ein weiterer Mieter in den Innenhof zur "Mieterhöhungsprechstunde", inzwischen fallen Regentropfen vom Himmel und weichen das Infomaterial am Tisch auf. Die Frau will ihren Namen nicht nennen und fotografiert werden, aus Angst die SWSG könnte ihr die Wohnung kündigen, wenn bekannt wird, dass sie sich beschwert. Und der Mann ärgert sich: Keine Partei in Deutschland schaffe es, etwas gegen die steigenden Mieten zu machen. "Die Leute müssen sich mehr aufregen und gemeinsam gegen die Mieterhöhung protestieren", sagt Capezzone.

Mietbelastungsprüfung: Link im "Beipackzettel"

Was den Linken ein besonderes Anliegen ist: Aufklären über die "Mietbelastungsprüfung". Die SWSG bezuschusst nämlich teilweise oder vollständig die Mieterhöhung bei Haushalten, die mindestens 30 Prozent des Nettoeinkommens für die Kaltmiete und die Betriebskosten aufbringen müssen. Das Problem: die Mieter:innen müssen die Prüfung selbst beantragen, davon erfahren sie aber nur in einem "Beipackzettel", wie Capezzone das Schreiben nennt, das mit dem Mieterhöhungsschreiben verschickt wird. Die notwenigen Formulare müssen online heruntergeladen, der Link vom Brief abgetippt werden (die Formulare online herunterladen können Sie hier). Das sei umständlich, besonders für "ältere Menschen, die nicht in der digitalen Welt beheimatet sind", meint Capezzone. Man könnte ja zusätzlich die Formulare ausgedruckt beim Hausmeister hinterlegen, aber das mache die SWSG nicht. Stattdessen hat Die Linke 2.000 Formulare ausgedruckt und in Briefkästen einiger SWSG-Wohnblöcke am Fasanenhof und in Stuttgart-Süd verteilt.

Nachfrage bei der SWSG: Werden die Schreiben zur Mieterhöhung und vor allem die Antragsformulare zur Prüfung der Mietbelastung eigentlich nur auf Deutsch oder auch in anderen Sprachen zur Verfügung gestellt? Die schlichte Antwort: "Die Schreiben an die Mieterinnen und Mieter zur Mietanpassung wurden in deutscher Sprache versandt. Ebenso sind die Unterlagen zur Mietbelastungsprüfung auf Deutsch verfügbar."

Und noch etwas stört die Linken an der Mietbelastungsprüfung: die Abgabefrist. Innerhalb eines Monats, bis Ende Mai, müssen die Anträge bei der SWSG eingereicht werden. Die Formulare gleichen im Wesentlichen jenen zur Beantragung des Wohngeldes: Sieben Seiten will die SWSG mit Informationen zu den Bewohner:innen, zusätzlich drei Seiten zur Verdienstbescheinigung. Für Letzteres braucht es Stempel und Unterschriften von Krankenkasse und Arbeitgeber:in. Das alles kostet Zeit. "Ich würde das schon hinkriegen", sagt Capezzone zum Prozedere, doch für viele sei die Hemmschwelle sich mit dem Papierkram innerhalb weniger Wochen auseinanderzusetzen einfach zu hoch. Dadurch würden viele die Mietbelastungsprüfung gar nicht erst beantragen, obwohl sie dazu berechtigt wären. Übrigens: Wer nach Ablauf der Frist ein geringeres Einkommen hat oder arbeitslos wird, kann die Mietbelastungsprüfung nicht rückwirkend beantragen.

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