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Vonovia in Stuttgart

Dem freien Markt bekommt's

Vonovia in Stuttgart: Dem freien Markt bekommt's
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Gut 1.000 Sozialwohnungen in Stuttgart, die sich im Besitz der Vonovia befinden, fallen demnächst aus der Preisbindung und werden damit dem freien Markt zugänglich, also viel teurer. Wieder einmal wirkt die Stadtverwaltung bei diesem Vorgang rat- und hilflos.

Dass es nicht mehr so leicht ist, in der Stadt eine Wohnung zu finden, weiß auch Rolf Buch aus eigener Erfahrung. Der Vonovia-Chef klagte im Juni der FAZ sein Leid, wie mühsam die Suche für seine Tochter verlief, nachdem diese ihr Studium abgeschlossen hatte. "Es gab mal das Versprechen: Wenn du eine ordentliche Ausbildung machst, kannst du selbstbestimmt leben. Das gilt nicht mehr", führte er aus. Trotz gutem Einkommen wollte eine Frankfurter Vermieterin keine Berufsanfängerin. "Also musste ich meinen Gehaltsnachweis bringen und die Wohnung für meine Tochter mieten. Eine Wohnung in der Stadt bekommt man also oft nur noch, wenn man einen Elternteil mit guter Bonität hat. Das spaltet die Gesellschaft."

Etwas sonderbar sind Buchs Krokodilstränen, weil der Konzern, dem er vorsitzt, viel zu dieser Spaltung beiträgt. Bundesweit bietet Vonovia nach eigenen Angaben 482.000 Wohnungen an und das angeblich "zu fairen Preisen". Altbekannt sind allerdings die Vorwürfe einer rücksichtslosen Profitgier, dreister Entmietungsstrategien, überhöhter Nebenkostenabrechnungen und enormer Modernisierungskosten, die dann auf die Mieter:innen umgelegt werden (Kontext berichtete).

Neuer ist die Kritik an sogenannten smarten Rauchmeldern, deren Einbau die Vonovia im Zweifel mit Duldungsklagen erzwingen will. Weil die clevere Technik angeblich den Gebrauchswert einer Wohnung erhöhe, wäre die Folge eines juristischen Erfolgs nicht nur eine höhere Miete, sondern auch ein Gerät, das Daten zu Rauch, Hitze, zu viel Luftfeuchtigkeit und Kohlenmonoxid an externe Rechenzentren der Vonovia übermittelt. "Die Geräte sammeln Daten, die eine Totalüberwachung ermöglichen, und so etwas möchte man in seiner Wohnung nicht haben", kommentiert Regina Kamm, Rechtsanwältin beim Darmstädter Mieterbund, in der "Hessenschau".

Auch in Stuttgart hat der Immobilienkonzern ein unschönes Weihnachtsgeschenk für dutzende Mieter:innen parat: An die Mieter:innen von 70 Wohnungen im Bohnenviertel wurden Briefe zugestellt, in denen sie erfahren, dass ihr zu Hause ab dem nächsten Jahr zu einem "frei finanzierten" wird. Im Klartext: Die bisherigen Sozialwohnungen entfallen aus der Preisbindung, die günstige Mieten garantiert hat, und können nun an das ortsübliche Niveau angepasst werden. Bis dieses erreicht ist, sind alle drei Jahre 15 Prozent Aufschlag auf die Kaltmiete möglich.

Vonovia wiegelt ab

"Niemand muss Angst haben, seine Wohnung bei uns zu verlieren", schreibt Vonovia-Sprecher Olaf Frei auf Anfrage, da der Konzern bei seinen Mietanpassungen sehr verantwortungsvoll vorgehen werde. Laut Frei sei es "keine einsame Entscheidung von uns" gewesen, die Sozialbindungen nicht zu verlängern, "sondern die Gespräche mit der Stadt haben keine Einigung hervorgebracht". Im Stuttgarter Gemeinderat zeichnete sich die Bereitschaft ab, dem Konzern einen Zuschuss zu zahlen, damit die Wohnungen weiterhin günstig bleiben und die Stadt ein Mitspracherecht hat, wer dort einziehen darf. Die Verhandlungen mit der Vonovia, die schon seit 2021 liefen, scheiterten jedoch.

Nicht besonders überrascht von diesem Ausgang zeigt sich Rolf Gaßmann, Sozialdemokrat und seit 1985 Vorsitzender des Stuttgart Mietervereins. "Vonovia will raus aus den Bindungen und rein in den Markt", sagt Gaßmann. Auf dem freien Markt erhoffe sich der Konzern eben größere Profite.

Die 70 Wohnungen im Bohnenviertel sind dabei nur der Auftakt. Von den etwa 4.500 Wohnungen, die Vonovia in Stuttgart besitzt, sind gut 1.000 gebunden. Der größte Teil davon (800) stammt aus einem Geschäft mit der damals grün-roten Landesregierung: Vorangetrieben von Finanzminister Nils Schmid (SPD) hatte die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) 21.000 Wohnungen an die Patrizia AG verkauft, die diese nur drei Jahre später mit über einer halben Milliarde Gewinn an die Vonovia (damals noch unter dem Namen Deutsche Annington) abtrat.

Teil des Deals waren eben auch knapp 800 Sozialwohnungen in Stuttgart, bei denen vereinbart wurde, dass die Bindung der Mietpreise bis Ende 2025 und das Belegungsrecht der Stadt bis 2028 verlängert werden. Der "große Batzen" folgt also erst noch, konstatiert Linke-Stadträtin Johanna Tiarks im Gespräch mit Kontext. Sie fände es am besten, wenn die Bindungen erhalten werden. Und das wäre eigentlich "gar kein Problem", meint Tiarks: Vonovia müsste "nur wollen", und immerhin würde die Stadt dafür zahlen.

Aus dem städtischen Wohnungsbericht 2023 geht hervor, dass die Zahl von Sozialwohnungen seit 1992 drastisch gesunken ist: Damals waren es noch 21.889, Ende 2023 nur noch 14.498. Allerdings ist es zumindest gelungen, den Negativtrend zu stoppen, denn seit 2020 ist wieder eine ganz leichte Zunahme zu verzeichnen. Dennoch sind die Zukunftsprognosen ernüchternd: "Bei einer Betrachtung eines Achtjahreszeitraums bedarf es großer Anstrengungen, um die heutige Anzahl an Sozialmietwohnungen zu erhalten", heißt es im Bericht. Da dies allein mit Neubau nicht zu erreichen sei, müssten "auslaufende Bindungen zusätzlich verlängert werden, um eine Reduzierung der gebundenen Wohnungen zu vermeiden".

1-Personen-Haushalte warten im Schnitt 26 Monate

In diesem Sinne hat der Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen im Oktober einstimmig beschlossen, der Siedlungswerk GmbH Wohnungs- und Städtebau 917.000 Euro zu zahlen – verbunden mit der Maßgabe, dass 50 Wohnungen in Zuffenhausen "während der Bindungszeit von 20 Jahren vom 1.12.2024 bis 31.12.2044 nur Personen überlassen werden, die durch einen Wohnberechtigungsschein nach §15 LWoFG die Einhaltung der Einkommensgrenze und der für sie angemessenen Wohnungsgröße nachweisen". Außerdem darf die Kaltmiete höchstens 75 Prozent des ortsüblichen Niveaus erreichen.

Die allermeisten Sozialwohnungen in der Landeshauptstadt werden allerdings nicht von privaten Immobilienkonzernen angeboten, sondern von der stadteigenen Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG), nämlich 13.754 von 14.498. Wie Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) betont, plane die SWSG ihren Bestand mittelfristig um ein gutes Drittel zu vergrößern. In der Praxis ist das jedoch mit Tücken verbunden: "Sollten Aufkäufe möglich sein, kommt dafür grundsätzlich die SWSG als städtisches Tochterunternehmen für den Bereich Wohnungsbau in Betracht", heißt es zwar in einer Stellungnahme aus dem Rathaus. Als aber zum Beispiel die Vonovia vor etwa zwei Jahren überlegte, einen Großteil ihrer Stuttgarter Wohnungen abzutreten, klappte es nicht mit einer Übernahme durch die öffentliche Hand.

Hinzu kommt, dass die Stuttgarter Verwaltung allgemein einen überforderten Eindruck macht und beim Wohnen im Besonderen. So startete die Fraktionsgemeinschaft SÖS-Linke im Gemeinderat jüngst einen neuen Anlauf, herauszufinden, was die Verwaltungsspitze alles unternommen hat, "um die auslaufenden Sozialbindungen von Wohnungen, die sich im Besitz des börsennotierten Immobilienkonzerns Vonovia befinden, zu verlängern". In dem Antrag aus diesem Dezember lautet allerdings eine weitere Frage: "Wann antwortet die Verwaltungsspitze auf den Antrag 'Wohnungspolitik tatsächlich zur Chefsache machen: Mieter:innen schützen! Vonovia-Wohnungen kaufen!'?" Dieser wurde schon im September 2022 eingereicht.

Wie groß derweil die Dringlichkeit ist, lässt sich ebenfalls aus dem städtischen Wohnungsbericht 2023 ablesen: So gab es in der Vermerkdatei zum Jahresende 3.105 akute "Not- und Dringlichkeitsfälle" von Suchenden mit Wohnberechtigtenschein. Vermittelt wurden über das ganze Jahr aber insgesamt nur "unterdurchschnittliche 628 Wohnungen". Wer an eine städtische Wohnung will, sollte sich frühzeitig Gedanken machen, wie und wo man in der Überbrückungszeit unterkommt. Denn im Bericht heißt es: "Besonders lange sind die Wartezeiten für 1-Personen-Haushalte (durchschnittlich 26 Monate) und für 5-Personen-Haushalte (durchschnittlich 39 Monate) oder größere Haushalte (durchschnittlich 51 Monate)."

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2 Kommentare verfügbar

  • Peter Nowak
    vor 3 Wochen
    Antworten
    In Berlin haben sich in einigen Stadtteilen Mieter*innen organisiert, deren Wohnungen aus der Sozialbindung fallen. Besonders die Mieter*inneninitiative Pankow gegen Verdrängung (https://pankow-gegen-verdraengung.de) hat in den letzten beiden Jahren mit zahlreichen Aktionen auch anderen Betroffenen…
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