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Hilfe für Mieter:innen

Treppen steigen, reden, kümmern

Hilfe für Mieter:innen: Treppen steigen, reden, kümmern
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Wohnungsnot ist überall. In Graz hat sich die Kommunistische Partei Österreichs diesem Thema verschrieben, hat Mieter:innen geholfen und stellt dort inzwischen die Bürgermeisterin. Nun hat die Linke in Stuttgart einen Mietnotruf gestartet.

Es ist Donnerstagabend, drei Männer und eine Frau von der Stuttgarter Linken treffen sich vor einem Haus in der Rosenstraße. Sie wollen mit den Mieter:innen ins Gespräch kommen. "Eine Studentin hat sich bei uns gemeldet, weil sie ihre Kaution nicht zurückbekommt", erzählt Katharina Lenhardt. "Jetzt wollen wir fragen, ob die anderen Mieterinnen und Mieter auch Probleme mit den Vermietern haben." Ein paar Tage vorher haben sie Flyer in die Briefkästen gesteckt: "Mietnotruf – Unterstützung bei Fragen zu Miete und Nebenkosten" steht darauf, plus einer Telefonnummer und ein paar weiteren Infos wie Mieten-Sprechstunde, Absender, und dass die Beratung kostenfrei ist.

Mit diesem Mietnotruf orientieren sich die Stuttgarter explizit an der Kommunistischen Partei Österreichs, der KPÖ. "Die hat damit ja ziemlich Erfolg", konstatiert Katharina Lenhardt, die ihr Geld als Agrarwissenschaftlerin verdient und seit vier Jahren bei der Linken mitmacht. Jahrzehntelang dümpelte die KPÖ im Nachbarland bei wenigen Prozent, 2021 machte sie dann Schlagzeilen, weil in Graz mit Elke Kahr zum ersten Mal eine Kommunistin Bürgermeisterin wurde. Auch deshalb, weil sie und ihre Partei sich seit Jahren konkret und ernsthaft um Mieter:innen kümmert. Und bei den Landtagswahlen Ende April in Salzburg holte die Partei knapp 12 Prozent. "Wir machen Kaltenegger 2.0", sagt Lenhardt lachend und spielt damit auf einen der Erfinder der KPÖ-Strategie an. Wann also stellt die Linke die Bürgermeisterin in Stuttgart? "Oh je. Da rechnen wir wohl mal lieber in 30-Jahre-Schritten", sagt Lenhardt.

In der Rosenstraße teilen sich die vier Aktiven nun auf. Lenhardt geht mit Alexander Botschek, 24, Student und im Bezirksbeirat Stuttgart-West, vom obersten fünften Stock nach unten, Filippo Capezzone vom Kreisvorstand mit Dorian Rieger, 23, ebenfalls Student und im Kreisvorstand der Linken Stuttgart, von unten nach oben. An allen 18 Wohnungstüren in dem etwa aus der Jahrhundertwende stammenden Haus wollen sie klingeln.

Müll, illegale Gebühren und Ratten

Dorian Rieger hat schon einige derartiger Aktionen mitgemacht. Es sei spannend, an fremden Türen zu klingeln, sagt der Student. Meistens seien die Leute freundlich. "Wohl, weil sie mal jemand fragt, was denn ihre konkreten Probleme sind, zuhört und tatsächlich Hilfe anbietet. Es passiert ja nicht so oft, dass Politik so direkt ist." Und dass Politiker:innen auch außerhalb von Wahlkämpfen an Türen klingeln. Dann allerdings meist eher, um sich selbst vorzustellen und nicht, um die Menschen kennenzulernen.

Vor dem besagten Haus in der Rosenstraße stapelt sich Müll. Kaputte Stühle, Haufen von Dosen, verdreckte Holzbretter, alte Trinkflaschen liegen dort offensichtlich schon länger herum. Die Haustür ist kaputt, lässt sich einfach aufdrücken. Drinnen grüner versiffter Linoleumboden, vor vielen Jahren wurde das Treppenhaus mal dunkel- und hellgrün gestrichen, hier steht eine leere Bierflasche auf der Treppe, dort zwei Waschmaschinen im Flur, die Kehrwoche wurde in diesem Haus mit Sicherheit seit Monaten nicht gemacht.

Lenhardt klingelt oben links. "Wer ist da?", wird von drinnen gefragt. "Hier ist Katharina vom Mietnotruf. Hast du Zeit?" Ein junger Mann öffnet die Tür. Lenhardt fragt, ob er Probleme mit den Vermietern hätte. Er zuckt mit den Schultern. "Naja." Das seien halt "harte Typen, Business und so". Aber irgendwie auch "sympathische Brüder". Ob er auch eine Gebühr für den abgeschlossenen Mietvertrag gezahlt habe, fragt Lenhardt. Er nickt. 200 Euro seien das wohl gewesen. "In bar?" "Ja, in bar." Ob er wisse, dass das verboten sei? "Ja." Er zuckt mit den Schultern. "Aber sonst lassen die mich in Ruhe." Dass die Vermieter die Mietkaution selten zurückzahlen, wisse er auch. "Aber bei mir hat ja das Jobcenter bezahlt." Den Flyer mit der Telefonnummer, an die er sich wenden kann, falls er Hilfe bei der Abrechnung der Neben- und Heizkosten braucht, nimmt er gerne entgegen. "Toll. Danke."

Das mit der sogenannten Gebühr nach Unterzeichnung des Mietvertrages, erzählt Lenhardt, habe die Studentin berichtet, die sich an den Mietnotruf gewendet hat. "Das machen die Vermieter hier wohl immer und immer in bar. Das ist verboten. Aber die Leute sind halt froh, überhaupt eine Wohnung zu finden."

Nächste Tür: Ein mittelalter Mann macht auf, hört sich die Erklärung an, Lenhardt und Rieger werden hineingebeten. Die Wohnung ist gestrichen, neues Laminat verlegt. "Hab ich alles selbst gemacht", sagt der Mieter stolz. Ja, auch er hat Ärger mit den Vermietern. Seine Frau erzählt, dass das Treppenhaus nie geputzt würde, sie aber eine Gebühr für Hausmeisterdienste zahlten. Auch sie nehmen den Flyer gern entgegen. Dann eine ältere Dame. Probleme mit dem Vermieter? "Ja und wie", ruft sie. Müll vor der Tür, kaputte Tür, Kakerlaken, Ratten im Keller. Aber sie habe gerade keine Zeit, müsse los. "Geben Sie mir Ihre Nummer. Ich melde mich auf jeden Fall."

Bevor es nach knapp zwei Stunden ehrenamtlicher Arbeit heim gehen soll, wird noch ein Blick in den Keller geworfen, wegen der Rattengeschichte. Neugierig öffnet einer der vier die unabgeschlossene Kellertür – ein entsetzlicher Gestank nach verrottendem Fleisch und Müll dringt herauf. Schnell Tür zu.

15 Prozent zurück von der Vonovia

Den Mietnotruf gibt es seit etwa einem Jahr. "Er wird gut angenommen", sagt Lenhardt. Es gebe Mietexpert:innen, sie helfen beim Schreiben von Briefen, beraten, vermitteln Anwält:innen. Ein häufiges Thema seien die Nebenkostenabrechnungen. Capezzone: "Da werden Stellplatzgebühren abgerechnet ohne Stellplatz oder Kosten umgelegt, die nicht umgelegt werden dürfen." Sind sie jetzt alle zu Mietrechtsexpert:innen geworden? Der Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung lächelt zurückhaltend. "Das nicht. Aber wir haben viel gelernt."

Das zeigt sich zwei Wochen später am Infostand vor dem Hochhaus in der Rotenwaldstraße. 40 Partien zählt das Haus, das heute im Besitz des Immobilienkonzerns Vonovia ist, aber einst der Eisenbahn-Siedlungsgesellschaft gehörte. Eine Zeit, die ein älterer Mieter noch kennt. "Seit 55 Jahren wohne ich hier", erzählt er, war selbst bei der Eisenbahn, ist nun Rentner. Früher sei mehr auf die Umgebung geachtet, die Hecken geschnitten, der Müll beseitigt worden. "Als das noch eine Sozialeinrichtung der Bahn war, war alles in Ordnung. Aber dann war politisch ja gewollt, dass das ein Wirtschaftsunternehmen wird. Und was will so ein Unternehmen? Gewinn machen." Das Angebot der Linken beäugt er zunächst distanziert. "Ich bin nicht in eurer Partei." Darum gehe es hier nicht, erwidert Dorian Rieger freundlich. "Haben Sie denn auch so eine hohe Nachzahlungsaufforderung fürs Heizen bekommen?" Man könne sich das gemeinsam anschauen. 15 Prozent zurückfordern ginge allemal. Aha. Warum?

Lenhardt erklärt, dass große Wohneinheiten oft eine Zentralheizung hätten für heißes Wasser fürs Bad und für heißes Wasser für die Heizung. "Gesetzlich muss der Vermieter wohnungsgenau abrechnen, wieviel verbraucht wurde." Dafür müsse an der Zentralheizung ein Wärmemengenzähler installiert sein. "Wenn der nicht da ist, so wie hier, rechnet der Vermieter das mit einer Formel aus, die nicht exakt ist, sondern eher eine Schätzung." Gerichtlich mehrfach bestätigt sei, dass die Mieter:innen dann 15 Prozent zurückfordern können. Die Linken haben Vordrucke dabei, in die die Mieter:innen ihre Daten eintragen und den Brief dann gleich an Vonovia in Bochum abschicken können.

Überraschend hohe Nachzahlungen

Das Angebot wird rege wahrgenommen. Denn die Neben- und Heizkostenabrechnungen haben viele erschreckt. "Wir sollen 1.400 Euro nachzahlen, sonst waren es immer so 300", erzählt Simone Blanek, die seit 22 Jahren hier mit ihrer Familie wohnt. "Da frage ich schon, wie die Preise zustande kommen." Zumal sie durch das Rohrsystem im Haus wenig heizen müssten. Vonovia hat sie per E-Mail geschrieben, dass sie die 1.400 Euro nicht einfach so zahlt, erstmal wolle sie Genaueres wissen. Die Beratung von den Mietnotruf-Leuten findet sie "super". Und die 15 Prozent holt sie sich auf jeden Fall, sagt die Erzieherin.

Auch Alexus und seine Mutter Viktoria Hagin zahlen nicht einfach, was die Vonovia von ihnen will. Sie haben den Eindruck, dass ihre Abrechnung vorne und hinten nicht stimmt. Capezzone studiert die Unterlagen, markiert die wichtigen Stellen mit gelbem Leuchtstift. "Hier habe ich den Verdacht, dass dieser Zähler kaputt ist", sagt er. "Wir lassen uns nicht abzocken", sagt der 35 Jahre alte Alexus Hagin. Den 15-Prozent-Brief habe er der Vonovia schon geschickt. Aber dass die Vonovia beim künftigen Heizkostenabschlag auch noch deutlich aufgeschlagen habe, das sei unverschämt.

Capezzone berichtet, dass gerade in größeren Mehrfamilienhäuern der Eigentümer die Heizungsanlage von Externen bauen und verwalten lasse. Dieser Externe mache dann auch die Abrechnungen, "und verdienen will er auch noch was". Er zeigt Formeln in der Abrechnung der Hagins. "Da werden Gaspreisindex, Erzeugerpreisindex herangezogen – für die meisten ist das nicht nachvollziehbar." Für ihn mittlerweile schon.

Dorian Riegel hat mittlerweile mit dem alten Herrn dessen Nebenkostenabrechnung durchgesehen und geholfen, den 15-Prozent-Brief auszufüllen. Der Mieter ist zufrieden. "Jetzt bin ich gespannt, ob das klappt", sagt er. Wählt er dann die Linke? Er lacht laut.

Katharina Lenhardt erzählt, dass sie eine ähnliche Aktion schon bei den SWSG-Wohnungen in Möhringen gemacht haben. "Da wurde anstandslos gezahlt." Für die einzelnen Mieter gehe es immer um ein paar hundert Euro, was auch viel sei. Für die großen Vermieter gehe es um Zehntausende, "die eigentlich den Mieter:innen gehören."

Ob die Stuttgarter Linken auf diese Art Wähler:innen gewinnen, wird sich zeigen. Neben ihrer Themenkonzentration war ein wichtiger Grund für den Erfolg der KPÖ, dass die dortigen Grünen 2017 ihre Parteijugend rausgeworfen haben. Und von denen sind eine ganze Reihe junger Engagierter zur KPÖ gegangen.


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1 Kommentar verfügbar

  • Peter Bähr
    am 04.08.2023
    Antworten
    "Nichts ist gleichgültig. Nichts geht verloren. Alles, was wir tun oder nicht tun, kann unendliche Perspektiven haben. Keine Flucht kann auf die Dauer gelingen. Es kommt alles noch einmal zur Sprache."
    Zitat von Gustav W. Heinemann, Köln, 08.03.1970, entnommen aus "Anstoß und Ermutigung", Seite…
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