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Heizkosten

Die Lunte brennt

Heizkosten: Die Lunte brennt
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Mitten in der Klimakrise erwirtschaften fossile Unternehmen Milliardengewinne, während Zusatzkosten für verteuerte Gasimporte auf eine angeschlagene Bevölkerung abgewälzt werden. Die Republik befindet sich auf direktem Weg in die soziale Katastrophe.

Es gibt noch gute Nachrichten, aber eigentlich nur für Leute mit Aktien. Wo sich Hungerkrisen ausweiten und immer größere Teile der Weltbevölkerung in die extreme Armut abrutschen, wo Staaten kollabieren, Kriege und Krisen wüten und der Klimawandel Erdregionen unbewohnbar macht, da scheinen die Größen der deutschen Industrie zu den letzten Ankern der Stabilität zu gehören. Trotz beeinträchtigter Lieferketten hat der Autobauer Daimler den Profit im Vergleich zum Vorjahr versechsfacht, das Immobilienunternehmen Vonovia beglückt Anteilseigner:innen noch üppiger als 2021, der Chemiekonzern BASF schickt sich an, das Vorjahresergebnis deutlich zu übertreffen, und auch der Energieversorger RWE "schraubt die Gewinnerwartung kräftig nach oben", wie die Deutsche Presseagentur Ende Juli meldete. 5 bis 5,5 Milliarden Euro ist nun die Größenordnung, mit der gerechnet wird, und als Gründe nennt das Unternehmen "ein außerordentlich gutes Ergebnis" im Segment Wasser/Biomasse/Gas und "eine starke operative Performance" im Energiehandel.

RWE, der größte CO2-Emittent Europas, reiht sich damit ein in die Riege der Energiegiganten, die den Mangel an Öl und Gas in einen Überschuss verwandeln: Während die Heiz- und Stromkosten für viele Menschen nicht nur in Deutschland zunehmend unbezahlbar werden und kleinere Konkurrenten auf dem Energiemarkt durchaus ins Straucheln geraten, konnte die britische BP ihren Reingewinn ebenso verdreifachen wie die US-amerikanischen Konzerne Chevron und Exxon. Wer fleißig die Erderwärmung anheizt, gehört in der gegenwärtigen Weltlage zu den größten Krisenprofiteuren.

"Wenn es offensichtlich ist, dass einige Konzerne wissentlich und vor allem übergebührlich am Horror dieses Krieges verdienen, dann sollten wir doch eine Übergewinnsteuer einführen, die genau dem aktiv entgegenwirkt", fordert die Grünenvorsitzende Ricarda Lang. Doch auch wenn es sozialdemokratische Mitstreiter:innen für die Idee gibt, ist es den Regierungsparteien bislang nicht gelungen, sich gegen den kleinsten Koalitionär durchzusetzen – obwohl es laut dem aktuellen Deutschlandtrend von infratest dimap sogar 58 Prozent der FDP-Anhänger:innen richtig fänden, Unternehmen mit sehr hohen Gewinnen zusätzlich zu besteuern. "Ich habe Bedenken, dass uns allen diese Maßnahme mehr schadet als hilft", verrät allerdings Finanzminister Christian Lindner (FDP), der es wichtiger findet, das Vertrauen in unser Steuersystem nicht zu ruinieren. "Denn hohe Gewinne entstehen oft bei Pionieren, die zuvor über Jahre mit hohen Risiken investieren. Es wäre schade, wenn sie sich in Zukunft aus Angst vor Bestrafung der eigenen Leistung gegen Deutschland entscheiden."

Ein Pionier, der sich nicht vor Bestrafung der eigenen Leistung zu fürchten braucht, ist der angeschlagene Gasimporteur Uniper, aktuell in Bedrängnis, weil Lieferungen aus Russland ausbleiben. Wo das hohe Risiko einer Investition in der Energiewirtschaft drohte, zum Bankrott für ein "Unternehmen mit zentraler Bedeutung" (Lindner) zu führen, "stehen wir in der Verantwortung, die Gasversorgung in Deutschland sicherzustellen". Daher greift der Staat dem strauchelnden Konzern mit 15 Milliarden Euro unter die Arme. Ein Konzept, das der Ökonom Nouriel Roubini schon 2008, damals im Zuge der Bankenrettungen, als "Sozialismus für Reiche" bezeichnet hatte: Wo es Gewinne gibt, kommen sie Eigentümern und Anteilseignerinnen zugute. Steht ein systemrelevantes Unternehmen auf der Kippe, springt der Staat in die Bresche und die Verluste werden auf das Allgemeinwohl abgewälzt.

Multimillionär empfiehlt Wolldecke

Während die krisenbedingten Zusatzgewinne vorerst nicht angetastet werden, braucht es eine "faire Verteilung der Lasten auf viele Schultern", wie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) betont. Und damit meint er die Hälfte der Haushalte in der Republik, die mit Gas heizen und ab Oktober eine neue Umlage zahlen. "Insgesamt könnten so die Mehrbelastungen für eine Familie bis zu 4000 Euro im Jahr ausmachen", rechnet ein Experte im "Tagesspiegel" vor, "also mehr als die Kosten eines mehrwöchigen Urlaubs." Glücklich, wer überhaupt verreisen kann: "Mehr als jeder fünfte Mensch in Deutschland (22,4 Prozent) hat zu wenig Geld, um sich einmal im Jahr einen einwöchigen Urlaub leisten zu können", war Ende Juli in der FAZ zu lesen.

Die Krisenlasten, die nun von vielen Schultern gestemmt werden müssen, treffen auf eine anfällige Gesellschaftsstruktur. Ein gutes Drittel der Haushalte in der Republik verfügt über keinerlei Rücklagen. Schon lange vor Krieg und Corona hat das untere Ende der Einkommensskala aufgehört, vom Wachstum zu profitieren: Für die weniger gut bezahlten 40 Prozent der Bevölkerung sind die Reallöhne im Vergleich zu 1991 gesunken. Das hat das Institut für Wirtschaftsforschung im April 2017 ermittelt – bevor eskalierende Inflationsraten das effektiv verfügbare Einkommen noch weiter zusammenschrumpfen ließen.
 

Besser lief die Entwicklung für die gehobenen Einkommensklassen: Die obersten zehn Prozent verdienen heute ein Drittel mehr als vor der deutschen Wiedervereinigung. Seit Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) gab es nicht eine Steuerreform zu Lasten der Reichen. Weil SPD und Grüne aktuell lieber zielgerichtet Geld an untere und mittlere Einkommensgruppen verteilen wollen, als seine Pläne zur Abschaffung der kalten Progression mitzutragen, klagte Finanzminister Lindner jüngst über den "bisweilen klassenkämpferischen Ton" in der Debatte.

Neben einem auf Niedriglöhne getrimmten Arbeitsmarkt, der dafür sorgt, dass ein Viertel der Bevölkerung prekär beschäftigt ist, bleibt der vielleicht erbarmungsloseste Hebel eines Klassenkampfs von oben das profitorientierte Vermieten: Menschen, die sich kein Eigentum leisten können, zahlen eine monatliche Gebühr, damit solche, die welches haben, noch mehr davon bekommen. Zu den großen Profiteuren zählt nicht nur die Vonovia mit ihren knapp 500.000 Wohnungen in der Republik. Auch LEG, das zweitgrößte Immobilienunternehmen, konnte sich 2021 über einen Rekordgewinn von 423 Millionen Euro freuen. CEO Lars von Lackum forderte vor Kurzem eine gesetzliche Möglichkeit, die Temperaturen in Wohnungen als Vermieter stärker als bislang absenken zu dürfen. "Ich glaube, dass in der derzeitigen Kriegssituation der Bevölkerung in Deutschland klargemacht werden muss, dass jetzt Verzicht angesagt ist", sagt der Mann mit einem Jahreseinkommen von 1,9 Millionen Euro dem "Handelsblatt". Und weil ein Pullover im Winter vielleicht nicht mehr ausreicht, "wird wohl noch eine warme Wolldecke vonnöten sein".

Applaus für das Vorbild Militärdiktatur

Die im quasi-religiösen Glauben an eine alles regelnde Kraft des Marktes vorangetriebene Privatisierung von Daseinsvorsorge und kritischer Infrastruktur zeigt immer deutlicher ihre Kehrseite. Wobei es die vielleicht törichtste unter zahlreichen Fehlentscheidungen war, die Energieversorgung der Republik von einem autoritären Regime abhängig zu machen. "Vor allem im Winter ist die Drohung, den Gashahn zuzudrehen, ein machtpolitisches Instrument", schrieb der "Spiegel" 2012 in einer Rezension zu dem Buch "Gazprom – das unheimliche Imperium", in dem der Publizist Jürgen Roth die Expansionsstrategien des russischen Staatskonzerns darstellt.

Wie üblich: Das Geld entscheidet

Dass Einsparungen beim Gasverbrauch nötig sind, wenn die Lieferungen ausbleiben, ist das eine. Das andere wäre die Frage, wer zuerst verzichten muss. Die Bundesregierung entscheidet das über den einfachsten und womöglich ungerechtesten Mechanismus: die Kaufkraft. Wer sich den ein oder anderen Luxus leisten kann, wird von höheren Preisen wahrscheinlich weniger abgeschreckt als Menschen, die ohnehin schon in finanzieller Not leben. Kontingente pro Person sind aktuell nicht geplant. Wenn der Kontostand es erlaubt, sind womöglich gar keine Einschränkungen nötig.

Die europäische Notfallverordnung Gas sieht vor, im Fall einer akuten Knappheit Privathaushalte zu priorisieren. Doch auch daran wird gerüttelt. Robert Habeck wolle "die Industrie bei dauerhaft fehlenden Gasmengen nicht automatisch benachteiligen", berichtet die "Tagesschau". Dabei gäbe es nicht nur bei Bürgerinnen und Bürgern Potenziale zum Energiesparen. "Eigenen Angaben zufolge könnte BASF im Notfall seinen Gasverbrauch um die Hälfte reduzieren, ohne seinen Hauptstandort abschalten zu müssen", meldet die "jungle world". Indessen gehört auch der Chemiekonzern zu den großen Krisengewinnern. Die Tochterfirma Wintershall hat den Gewinn im zweiten Quartal 2022 auf 608 Millionen Euro gesteigert – gegenüber 168 Millionen im Vorjahr. Zu verdanken ist das einerseits den steigenden Energiepreisen. Und andererseits der bewährten Kooperation mit Gazprom. (min) 

Erschwerend kommt hinzu, dass Präsident Wladimir Putin nie bemüht war, die Strategie zu verschleiern, Russland zum Energie-Imperium auszubauen und andere Staaten von der Versorgung abhängig zu machen. Auch seine Gesinnung war keine Geheimsache: 1993 berichtete das "Neue Deutschland" wie Putin, damals als 2. Bürgermeister von Petersburg, Vertreter von BASF, Dresdner Bank, Alcatel und anderer deutscher Unternehmen in das ehemalige Generalkonsulat der DDR eingeladen hatte. Dabei habe er viel Wert darauf gelegt, zwischen notwendiger und krimineller Gewalt zu unterscheiden: "Kriminell sei politische Gewalt, wenn sie auf die Beseitigung marktwirtschaftlicher Verhältnisse abziele, 'notwendig', wenn sie private Kapitalinvestitionen befördere oder schütze. Er, Putin, billige angesichts des schwierigen privatwirtschaftlichen Weges eventuelle Vorbereitungen Jelzins und des Militärs zur Herbeiführung einer Diktatur nach Pinochet-Vorbild ausdrücklich." Die Reaktionen darauf? "Putins Ausführungen wurden sowohl von den deutschen Firmenvertretern als auch von dem anwesenden stellvertretenden deutschen Generalkonsul mit freundlichem Beifall aufgenommen."

Insbesondere mit der BASF hat der russische Staat ein paar vorteilhafte Geschäfte gemacht, unter anderem über Wingas, eine gemeinsame Tochterfirma des Chemiekonzerns mit Gazprom. Das Unternehmen unterhält nicht nur Gastransportnetze in Deutschland, sondern betreibt auch die wichtigsten Gasspeicher, darunter Rehden. Bis 2008 lag der russische Anteil an Wingas bei 35 Prozent, dann wurde auf 50 Prozent aufgestockt. Seit 2015 – wohlgemerkt nach der Annexion der Krim – übernahm Gazprom als alleiniger Eigentümer; im Gegenzug wurde die BASF-Tochter Wintershall an einem Gasfeld in Sibirien beteiligt. "Die notwendigen Genehmigungen wurden vom Bundesministerium für Wirtschaft unter dem Minister Sigmar Gabriel (SPD) erteilt", berichtet "Correctiv". Alle Mahnungen seien in den Wind geschlagen worden, räumte sein Nachfolger Robert Habeck kürzlich ein: "Natürlich gab es Stimmen, eine einseitige Abhängigkeit von einem zwielichtigen Staatenlenker, das kann nicht richtig sein."

"Querdenken" als Kindergeburtstag

Angeschlagen durch die physischen und psychischen Belastungen einer Pandemie, die noch nicht überwunden ist, geraten immer größere Bevölkerungsanteile schlicht durch die Kosten ihres Lebensunterhalts in Existenznot, wobei die gegenwärtig wütenden Mehrfachkrisen massiv durch haarsträubende politische Fehlentscheidungen befördert wurden – diese Gemengelage ist ein Pulverfass und die Lunte brennt.

Der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes hält es für realistisch, dass die "Querdenken"-Proteste der vergangenen Jahre ein "Kindergeburtstag waren im Vergleich zum kommenden Herbst und Winter". Dabei will er nicht im 24-Stunden-Takt Horrorszenarien verbreiten. "Gleichwohl ist es gerade die Aufgabe der Sicherheitsbehörden, zunächst die politisch Verantwortlichen und dann schließlich auch die Öffentlichkeit angemessen über ihre Einschätzungen zu informieren und dabei auch Worst-Case-Szenarien nicht zu verheimlichen, selbst wenn diese die Bevölkerung beunruhigen könnten." So sei die Solidarität mit Geflüchteten aus der Ukraine in einigen Landstrichen bereits spürbar gesunken.

In der Tat scheint die Prognose nicht allzu gewagt, dass sich Extremist:innen bemühen werden, den Protest zu instrumentalisieren. Dass Leidende sich neue Sündenböcke suchen werden. Dass dabei durchaus ein Gewaltpotenzial vorliegen könnte. Und wenn die "Querdenken"-Demos als Maßstab dienen, welchen Massenwahn Belastungen im Alltag und Abstriche bei der Lebensführung provozieren können, ist es gruselig sich auszumalen, wer nach Bill Gates der nächste George Soros wird.

Umso wichtiger ist es für linke Kräfte, neue Strategien zu entwickeln. Auch in der Corona-Politik gab und gibt es Raum für berechtigte Kritik. Doch bei Aktionen von Gewerkschaften und Co., die beispielsweise Patentschutzfreigaben forderten und eine solidarische Verteilung der Krisenlasten anstrebten, war der Zulauf sehr überschaubar. Ob das Mobilisierungspotenzial für die Besteuerung von Krisengewinnen und für Umverteilung größer sein wird? Gründe für einen radikalen Protest, der nicht auf Verschwörungstheorien angewiesen ist, gibt es jedenfalls zur Genüge.


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16 Kommentare verfügbar

  • Hans
    am 14.08.2022
    Antworten
    Jetzt zeigen sich die Folgen der Energiewende: Ein knappes Energieangebot, verursacht hauptsächlich durch vorzeitiges Stilllegen von Kern- und Kohlekraftwerken, läßt natürlich die Preise steigen, was alle freut, die Energie anbieten können, ob Kohle-, Wind- oder Solarstrom.
    Es zeigt sich, daß die…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 5 Stunden
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