Sinkende Kindersterblichkeit und steigende Lebenserwartungen, eine Impfstoff-Entwicklung in Rekordgeschwindigkeit, tanzende Roboter und Flachbildfernseher zu Spottpreisen: Es wäre töricht, der Gegenwart ihre Erfolge abzusprechen. Doch mit Blick auf die jüngere Geschichte fallen einige Themenkomplexe auf, bei denen sich gravierende Krisensymptome häufen, und bei denen politische Absichtserklärungen, die Probleme an der Wurzel angehen zu wollen, konsequent scheitern: Der Heimatverlust für Millionen von Menschen, die strukturelle Massenarbeitslosigkeit in immer größeren Teilen der Welt, die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten sogar in den Wohlstandszentren, die globale Verschuldungsdynamik und, am dramatischsten: die eskalierende Klimakatastrophe, die bereits vor über drei Jahrzehnten in den Fokus internationaler Abkommen gerückt ist. Eine Bilanz der Bemühungen: Die weltweiten Emissionen von Treibhausgasen haben sich seitdem verdoppelt und auch die eindringlichsten Warnungen der vereinten Wissenschaft konnten bislang kein grundlegendes Umsteuern herbeiführen.
"Das, was politisch akzeptabel scheint, ist eine ökologische Katastrophe, während das ökologisch Notwendige politisch unmöglich ist." So formulierten es Mathis Wackernagel und William Rees, die Erfinder des ökologischen Fußabdrucks – und es zeugt vom Ausmaß der Misere, dass das Zitat von 1998 stammt. Nicht nur wird immer mehr CO2 freigesetzt. Es wird auch immer schneller freigesetzt.
Wo unzählige Alarmsignale auf einen Wettlauf mit der Zeit hindeuten, die existenzielle Bedrohung für die menschliche Zivilisation im politisch-medialen Diskurs durchaus wahrgenommen und reflektiert wird, aber (überlebens-)notwendige Handlungen über Dekaden hinweg ausbleiben – da liegt der Schluss einer systemischen Dysfunktionalität nahe. Doch im deutschen Parteienspektrum führt diese Analyse in die Einsamkeit: Im Bundestag setzt derzeit eine ganz große Koalition auf die hoffnungslosen Hoffnungen namens grünes Wachstum und ökologische Marktwirtschaft.
Wollen wir wetten?
Dass auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen kein unendliches Wachstum möglich ist, erscheint als so triviale und logisch naheliegende Folgerung, dass es schon eine Menge Volkswirtschaftslehre braucht, um zur gegenteiligen Überzeugung zu gelangen. Tatsächlich aber vertreten prominente Stimmen, darunter der renommierte Ökonom und Neukeynesianer Joseph Stiglitz, die Auffassung, dass es möglich sei, wirtschaftliches Wachstum dauerhaft von einer stofflichen Grundlage zu entkoppeln. Das Problem an dieser These, von der zahlreiche zentrale Zukunftsfragen abhängen: Sie bleibt den empirischen Beleg schuldig, dass eine Umsetzung in der Praxis möglich ist.
So hat ein Team um die Wissenschaftler Dominik Wiedenhofer und Helmut Haberl im vergangenen Jahr 835 Studien zum Zusammenhang zwischen Wachstum, Emissionen und Ressourcenverbrauch ausgewertet. Und dabei fanden sie "keine überzeugenden Beweise für eine absolute Entkopplung im erforderlichen Umfang".
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Hartwig Schulz
am 11.11.2021