Lindner und die Seinen und vor allem eine wieder massiv angewachsene Zahl gerade junger AnhängerInnen glauben an Mechanismen, die schon unter Guido Westerwelle nicht funktioniert haben. Nicht unter Wolfgang Gerhardt, Klaus Kinkel oder Otto Graf Lambsdorff. Ausgerechnet mit dem Abschied von der sozialliberalen Koalition in der ersten Hälfte der Achtzigerjahre beginnt jene Entwicklung, die bis heute anhält und nur durch Umverteilung abgemildert wird: Die Einkommensverteilung verändert sich stetig zu Gunsten Besserverdienender, ohne ernsthaft die Leistung von Krankenschwestern, Busfahrern oder ErzieherInnen in den Blick zu nehmen.
"Insgesamt sank der Anteil der Mittelklasse an den verfügbaren Haushaltseinkommen zwischen 1982 und 2014 von 81 auf 73 Prozent", schreiben die Autoren der Studie. Und vor allem treibt die Spaltung in Nimmersatte und Habenichtse kaum zu glaubende Blüten: Nach den ZEW-Zahlen verfügen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung über 52 Prozent des deutschen Gesamtvermögens (1993 waren es knapp 45 Prozent), während die ärmere Hälfte samt Otto Normalverbraucher mit einem einzigen Prozent (1993 waren es vier) zufrieden sein muss. Der Rest verteilt sich – in rasant steigender Kurve – auf die gehobene Mittelschicht, wohlhabende, noch wohlhabendere und reiche Menschen.
Einst wollte die CDU viele "besitzende Eigentümer"
Die Mannheimer Ökonomen haben die wirtschaftliche Entfaltung der Bundesrepublik seit 1949 untersucht. In ihren Düsseldorfer Leitsätzen sofort nach Ende des Zweiten Weltkriegs hatte die CDU noch als erstrebenswert erachtet, dass in der sozialen Marktwirtschaft durch eine "soziale Verteilung der wirtschaftlichen Erträge und eine soziale Gesetzgebung (…) aus den vermögenslosen Schichten unseres Volkes in großem Umfang besitzende Eigentümer" gemacht werden sollten. Als Ziel wurde die "breite Streuung" des vorhandenen Volksvermögens genannt.
In den Erfolgsjahren zwischen 1950 und 1966, mit dem nie wieder erreichten Wirtschaftswachstum von durchschnittlich fast sieben Prozent per anno, geriet diese vergleichsweise radikale Forderung nach Umverteilung allerdings völlig aus dem Blick. Neben der marktwirtschaftlichen Ordnungspolitik sei eine auf sozialen Ausgleich ausgerichtete Sozialpolitik kennzeichnend gewesen, urteilt die Studie. Ein großer Schritt ist dabei die Rentenreform 1957 gewesen, die die kapitalgedeckte Rentenversicherung ablöste durch das bis heute bestehende umlagefinanzierte und dynamische Modell, nicht als Zuschuss zum Leben im Alter, sondern als Lohnersatz.
In drei Phasen wird die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft in der Republik eingeteilt. Nach den Wirtschaftswunderjahren folgt die sozialliberale nachfrageorientierte Ära mit dem Ziel der ausgeglichenen Handelsbilanz – von wegen Exportweltmeister – und der Einführung von Sozial- und Arbeitslosenversicherung: "Grundsätzlich sollte den Empfängern durch die verschiedenen Systeme der sozialen Sicherung eine menschenwürdige Lebensführung auf dem sozialkulturellen Mindestniveau der Gesellschaft ermöglicht werden". Der "Paradigmenwechsel" durch Union und FDP hin zur Angebotsorientierung schließt sich an. In allen drei Phasen erreichte der Wohlfahrtsstaat laut Studie "das gleiche Maß an Umverteilung". Trotzdem habe er ab Mitte der 1980er Jahre "dem Anstieg der Ungleichheit" bei den verfügbaren Haushaltseinkommen keinen Einhalt gebieten können. Das war die Zeit, in der der Neoliberalismus sich zu seinem Siegeszug rund um den Globus aufmachte, mit seinem unerfüllt gebliebenen Versprechen, je besser es denen oben gehe, umso mehr hätten die unten davon.
Mit dem Neoliberalismus beginnt das Ungleichgewicht
Viele internationale Vergleiche zeigen Gegenstrategien vor allem im Kleingedruckten. So werden etwa in den alljährlich von der OECD veröffentlichten "Taxing Wages" Einkommenssteuer und Sozialabgaben getrennt in Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil dargestellt. Per Saldo ist die Bundesrepublik bei der Steuer- und Abgabenquote regelmäßig Spitzenreiter mit Werten knapp unter 50 Prozent, bedingt durch hohe Steuersätze und viele Beschäftigte mit Löhnen deutlich oberhalb des Durchschnitts. "Steigen die Einkommen darüber, geht die relative Belastung allerdings wieder zurück", heißt es im aktuellen Zahlenvergleich, weil ein Berechnungsdeckel eingezogen sei. Und weiter: "Deutschland ist im internationalen Vergleich kein Hochsteuerland, allerdings sind die Sozialabgaben hierzulande weit höher als in anderen wohlhabenden Volkswirtschaften."
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Rolf Steiner
am 09.09.2017