Nicht nur die Superreichen, auch die Mittellosen scheuen die Öffentlichkeit, sagt Manfred Blocher, der bei der Caritas in Stuttgart den Bereich Armut, Wohnungsnot und Schulden (AWS) leitet. Sie verstecken sich: aus Scham und Schuldgefühlen, aus Angst vor Diskriminierung. Gerade für Kinder, mahnt Blocher, ist es ganz schlimm, wenn sie von ihren Klassenkameraden als "Hartzer" ausgegrenzt werden oder an Ausflügen nicht teilnehmen können, weil ihre Eltern die Kosten dafür einfach nicht aufbringen können.
Blocher hat rund 160 hauptberufliche und 50 bis 80 ehrenamtliche Mitarbeiter, die in verschiedenen Häusern in der Stadt tätig sind. In der Olgastraße 46 zum Beispiel. Dorthin kann jeder kommen. Es ist ein offenes Angebot, "eine Art Wärmestube", sagt Blocher, es gibt Frühstück und Mittagessen, Duschmöglichkeiten, Waschmaschinen, eine Beratungsstelle. Und abschließbare Boxen, um das eigene Hab und Gut sicher zu verwahren: für jeden, der keine eigene Wohnung hat, ein essentielles Anliegen.
3800 Wohnungslose in Stuttgart sind derzeit auf die Angebote der AG freie Träger Wohnungsnotfallhilfe angewiesen – einem Zusammenschluss von neun Organisationen, von denen die Caritas und die Evangelische Gesellschaft die größten sind. Vor zwei Jahren waren es noch 500 Wohnungslose weniger, das bedeutet unterm Strich eine Steigerung um 15 Prozent. Deutschlandweit haben nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe rund 355 000 Menschen keine eigene Wohnung. Die Zahl könnte, so fürchtet die BAG, bis 2018 um weitere 200 000 anwachsen: eine dramatische Entwicklung.
Nirgends gibt es mehr Wohnungslose als in Stuttgart
Als wohnungslos gilt, wer keinen eigenen Mietvertrag hat. "Grundsätzlich gilt", so Blocher: "Allen Menschen, die einen Anspruch haben, können wir ein Dach über dem Kopf bieten." Das kann allerdings auch eine Notunterkunft mit mehreren Betten im Zimmer sein. Und einen Anspruch hat nur, wer auch als wohnungslos gemeldet ist. Davon zu unterscheiden sind Obdachlose, die gar kein Dach über dem Kopf haben: derzeit etwa 150, die Zahl hat sich in den letzten zwei bis drei Jahren verdoppelt, nicht zuletzt aufgrund der Armutsmigration aus Osteuropa.
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CharlotteRath
am 19.01.2017