KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Radikal versagt

Radikal versagt
|

Datum:

Landtagsabgeordnete kommen schnell an ihre Grenzen, wenn sich Hardcore-Zeugen aus der rechten Musik-Szene als ahnungslose Mitläufer darstellen. Trotzdem lieferte die 15. Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses neue Einsichten. Vor allem dazu, was alles hätte anders laufen müssen.

Oliver Hilburger hört sich gerne reden. Auch in seiner mehrstündigen Vernehmung im Landtag bleibt unklar, ob die verquaste Ausdruckweise Absicht ist oder schlechte Gewohnheit. Jedenfalls formuliert der Maschinenschlosser, der beim Daimler arbeitete, reichlich unpräzise. "Ich finde es für mich eine Unverschämtheit, dass es Zeitgenossen gibt, die faktenfern einen Zusammenhang konstruieren zu den Morden von drei Personen und einer Videosequenz, die ich nie gesehen habe", ereifert er sich. Dabei hatte der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) nur erfahren wollen, ob er sich mal gefragt hat, wieso der NSU sein berüchtigtes Bekennervideo mit Teilen aus "Noie Werte"-Liedern unterlegt hat.

Der 48-Jährige war in der rechten Kultband jahrelang Bassgitarrist, wollte – wie alle Musiker, die der Ausschuss bisher gehört hat – natürlich nur Musik machen. Keine Distanz von seiner Vergangenheit, jedenfalls nicht von der rechten. "Zu keinem Zeitpunkt in meinem Wirken und Leben", so die gespreizte Erklärung, "habe ich die drei Personen gekannt, noch habe ich jemals in meiner ganzen Wirkungszeit so etwas gutgeheißen." Mit "so etwas" umschreibt er zehn Morde, 15 Raubüberfälle und drei Sprengstoffanschläge. Aber Worte sind eben nicht seins, er will nicht einmal die Liedtexte richtig gehört haben, die "Noie Werte" über Jahre gesungen hat. Als die Band-Mitgliedschaft 2007 bekannt wurde, trat Hilburger als Betriebsrat zurück – vorübergehend. Inzwischen ist er wiedergewählt und freigestellt: "Ich hab' überlegt, und ich hab' reflektiert." Und "eine weiße Weste" hat er auch noch, was aber "von der Öffentlichkeit" aber nicht honoriert worden sei. Das gehe "bis zur Rufschädigung".

Die eigenen Texte nicht verstanden: Rechte geben sich ahnungslos

Irgendwann in dem mehrstündigen Hin und Her fällt dann doch ein Schüsselsatz: "Wir sind nie belangt worden." Stimmt, weil gewisse Lieder wie "Geheuchelte Humanität" über den bis zu seinem Selbstmord in Spandau einsitzenden Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess nur in Italien oder im Elsass gesungen wurden, wo es nicht verboten ist, den rechten Arm schräg nach oben zu strecken. Was Hilburger ebenso wie der nach ihm auftretende frühere Lead-Gitarrist Andreas Graupner übrigens nie gesehen haben will. "Sie waren geblendet von Scheinwerfern und haben Kopfhörer aufgehabt", fasst der Ausschussvorsitzende zunehmend gereizt zusammen, als die Musiker immer wieder beteuern, mit den Texten wenig bis nichts zu tun gehabt zu haben. Was höchstwahrscheinlich nicht stimmt, auf Grund der "Zeugenamnesie" (Drexler) aber kaum zu widerlegen ist.

Vor allem aber wird wieder einmal klar, wie haarscharf Texte und Cover der CDs an der Verfolgungsschwelle vorbei konzipiert und wie sie im Zuge der ständigen juristischen Begleitung geändert wurden. Zu mehr als einer Indizierung des Albums "Kraft für Deutschland" 1992 durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften reichte es demnach nicht. Der Inhalt wurde damals beschrieben als "zu Gewalttätigkeit und Rassenhass reizend", transportiert werde "immanent nationalsozialistisches Ideengut". Konsequenzen hatte das aber über Jahre hinweg nicht. Später wird CDU-Obmann Arnulf von Eyb einen 42-jährigen Einzelhändler aus Chemnitz, der jahrelang einschlägige Musik und Kleidung verkauft hat, nach einem Verfahren wegen Volksverhetzung Mitte der Neunziger Jahr fragen. Auch da setzt die Erinnerung aus und von Eyb nach: "Wie, Sie erinnern sich daran nicht". Der Zeuge: "Das war damals nichts Besonderes, alle hatten Verfahren wegen Volksverhetzung am Hals."

Schlimm genug. Noch schlimmer ist, dass sich 1998, als Sozialdemokraten und Grüne die Ära Helmut Kohl beendeten, nichts Wesentliches änderte. Dabei hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder höchstpersönlich zum "Aufstand der Anständigen" aufgerufen, nachdem die Düsseldorfer Synagoge gebrannt und BILD mit der Schlagzeile "Neonazis ertränkten Kind" Furore gemacht hatte. Die Geschichte war falsch, zog aber ihre Kreise – "Die ganze Gruppe lachte und guckte zu" (FAZ) oder "Badeunfall erweist sich als rassistischer Mord" (taz) – und wurde Beleg für die aufgeheizte Stimmung.

Schröder appellierte an Länder und Kommunen, an NGOs und Bürgerinitiativen, mitzuhelfen an der sozialen Integration, ein neues Klima in der Republik zu erzeugen, das Thema Rassismus einzubetten in die gesamtgesellschaftliche Situation: "Dazu gehört die Einsicht, dass demokratische Kultur, Arbeitsmarktpolitik und Jugendpolitik Beziehungsgeflechte darstellen, die ursächlich für Fehlentwicklungen wie den Rechtsextremismus sein können und deshalb neu bedacht und gestaltet werden müssen."

Zugleich wurden einschlägige Programme mit "degressiver Finanzierung", wie es so schön hieß, also immer weniger Geld, fortgesetzt. Keine Rede von zusätzlichen Geldern, keine Rede von grundlegend veränderten Gesetzen. Außerdem "schrieb keines der Programme vor, dass man unmittelbar gegen faktischen Rechtsextremismus tätig werden muss", wie die Bundeszentrale für politische Bildung später feststellt. Schon 2003 legt die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) eine Evaluation mit dem Tenor "Gut gemeint, aber nicht gut gemacht" vor. Da arbeiteten die, denen eigentlich entgegengewirkt werden sollte, gerade das Programm "Schulhof-CD" aus, um – ab 2004 – kostenlose Tonträger an Kinder und Jugendliche zu verteilen. Der indizierte Noie-Werte-Song "Kraft für Deutschland" fand keine Verwendung, "Am Puls der Zeit" sehr wohl: "Mit Spezialeinheiten gegen deutsche Jugend/volle Kraft voraus!/Verfolgung und Hass als gerechte Tugend/machen dir den Garaus/ (...)Wir sind am Puls der Zeit/Kein Weg führt an uns vorbei/Wir sind am Puls der Zeit/Der Widerstand ist bereit!"

Die FES hatte auch die Länderprogramme unter die Lupe genommen und "einige Schwachstellen" benannt, etwa die Dominanz "befristeter Aktionsprogramme, die dem Anliegen der zivilgesellschaftlichen Organisationen wenig förderlich sein können". Baden-Württemberg findet Erwähnung mit seinem "Schwerpunkt bei Präventionsprogrammen, besonders der Streitschlichtung". Grundsätzlich beschreiben die Autoren die Unterschiede zwischen Ost und West und die im Osten "weiterhin positiveren Gelegenheitsstrukturen für die Entfaltung rechtsextremer und fremdenfeindlicher Gesinnungsgemeinschaften".

Noie-Werte-Gitarrist: Beate Zschäpe "mal getroffen"

Entfaltung und Export: Graupner, der Leadgitarrist, kam aus Chemnitz in den Westen. Schon aus einer seiner ersten Antworten im Ausschuss geht die Taktik hervor. Drexler will wissen, ob der Zeuge die Wolgograder Allee kennt, immerhin habe er doch in der Friedrich-Viertel-Straße 85 gewohnt, in jenem Haus, in dem eins der NSU-Verstecke lag. In der Wolgograder Allee gab's ein weiteres, eine Wohnung in einem Haus, das Uwe Mundlos' Mutter gemietet hatte. Graupner will die Allee gar nicht kennen, wiewohl das Einbahnstraßensystem aus der Friedrich-Viertel-Straße ohne Ausweg darauf endet. "Kenn' ich nicht", "weiß ich nicht", "kann mich nicht erinnern", "sagt mir nichts" sind die Antworten auf Dutzende Fragen. Und wenn es doch einmal enger wird angesichts der Aktenlage oder früherer Aussagen, wird der dreifache Vater gleich pampig. Als es um die Ziffernkombination 88 geht: "Heutzutage werden da Sachen hineininterpretiert! Das soll ein verbotener Grußcode sein – ich persönlich finde das etwas lächerlich." Zu seinen Kontakten zum NSU: Er habe Beate Zschäpe "mal getroffen". Sehr wundert er sich über Aussagen Dritter, wonach er selbst berichtet habe, dem untergetauchten Trio gehe es gut: "Das wird mir seit Jahren unterstellt." Und es sei "relativ empörend, wie diese Kamelle immer wieder hervorgeholt wird". Oder zu seinem Kontakten mit anderen Radikalen: "Ich würde gerne die Geschichte hier abbrechen. Was hat das mit dem ganzen Scheiß zu tun?"

Abgebrochen wird die Vernehmung nicht. Wirklich ergiebig wäre sie allerdings nur als weiterer Mosaikstein im Bestreben endlich Grundlegendes zu ändern im Kampf gegen rechts, Gesetzesänderungen inklusive. Ein Beispiel liefert das ebenfalls von Rechtpopulisten heimgesuchte Österreich, in dem in mehreren entscheidenden Punkten aber klare Grenzen gelten. Den rechten Arm nach oben zu recken oder "Heil Hitler"-Rufe kommen sofort vor den Kadi, ebenso wie der Handel mit einschlägigen Symbolen. Als der Holocaust-Leugner David Irving 2006 in Österreich einreiste, wurde sofort ein Haftbefehl vollstreckt; das Wiener Straflandesgericht verurteilte ihn später zu drei Jahren Haft. Ohne Bewährung.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • David Sohn
    am 08.11.2017
    Antworten
    Manchmal frag ich mich, mit was für Mist sich ein UA ungestraft beschäftigen darf. Hallo, die Uwes wurden ermordet. Und mit den nachträglich untergeschobenen „Beweisen“ bricht der ganze NSU zusammen. Und da befassen sich erwachsene Menschen mit rechten Bands. Unfassbar!
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!