Ralf "Manole" Marschner, ein V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz, soll nach Zeugenberichten sogar Uwe Mundlos nach dessen Untertauchen auf Baustellen beschäftigt haben. Ein anderer V-Mann des Bundesamtes, Thomas "Corelli" Richter, hat das Internet in großem Stile für die rechtsextremistische Szene erschlossen – er stand auf einer Telefonliste von Uwe Mundlos. Das Neonazi-Netzwerk Blood and Honour, aus dem heraus der NSU unterstützt wurde, war mit V-Leuten durchsetzt – zuletzt ist Stephan "Pinocchio" Lange als BfV-Spitzel enttarnt worden, der die Organisation vor ihrem Verbot in Deutschland führte.
Im Vergleich dazu wirkt folgende Erkenntnis wie eine Randnotiz: Die Neonazi-Kultband "Landser", die schließlich als kriminelle Vereinigung verurteilt wurde, hätte ihre berüchtigte CD "Ran an den Feind" womöglich gar nicht produzieren können – wenn nicht ein V-Mann des Bundesamtes die Pressung organisiert und nicht ein V-Mann der brandenburgischen Verfassungsschutzbehörde die Booklets hätte drucken lassen.
Islamistischer Terrorismus ohne Verfassungsschutz?
Im Vergleich dazu wirkt der Verfassungsschutz bezüglich des islamistischen Attentäters Anis Amri, der vor einem Jahr in Berlin mit einem Lastwagen in den Weihnachtsmarkt gerast ist, fast schon positiv unbeteiligt. Allerdings so unbeteiligt, dass die Behörden nach bisherigem Informationsstand von fast nichts wussten. So schreibt ein Sonderbeauftragter des Berliner Senats, Bruno Jost, in seinem Abschlussbericht vom 10. Oktober 2017: "Soweit aus den hier vorliegenden Akten ersichtlich, spielten die deutschen Nachrichtendienste (hier Bundesamt für Verfassungsschutz, Landesamt für Verfassungsschutz Berlin und Bundesnachrichtendienst) sowohl im Vorfeld des Anschlags vom 19.12.2016 als auch bei der Aufklärung und Aufarbeitung des Verbrechens eine bemerkenswert bedeutungslose Rolle."
Welche Rolle spielen dann die Nachrichtendienste mit der irreführenden Bezeichnung "Verfassungsschutz" in der heutigen Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland?
Zehn Jahre nachdem Deutschland – im Kosovo – erstmals wieder Krieg führte, hat der Bundestag mittels BKA-Gesetz eine Geheimpolizei geschaffen. Zur "Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus" darf das BKA seither mit allen nachrichtendienstlichen Mitteln tätig werden. Es darf Wohnungen mit Mikrofonen und Kameras überwachen, Telefone abhören, Computer mit Spionage-Programmen durchsuchen, Personen observieren und ihren Standort mittels Handydaten lokalisieren. Von Personen, die wohlgemerkt nicht die Kriterien eines Tatverdächtigen erfüllen. Es geht um die Gefahrenabwehr.
"Das BKA ist eine Geheimpolizei"
Selbst einem ehemaligen Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes ging das Gesetzesvorhaben zu weit. So wurde Hans-Jörg Geiger beispielsweise in der "Zeit" mit den Worten zitiert: "Der Einzelne gerät zunehmend in Gefahr, Objekt staatlicher Ausforschung zu werden." Der Bayreuther Rechtswissenschaftler Heinrich Amadeus Wolff, der im ersten NSU-Untersuchungsausschuss Baden-Württembergs als Sachverständiger auftrat, sagte am 9. September 2016 vor dem brandenburgischen NSU-Ausschuss: "Das BKA ist eine Geheimpolizei." Die Unterschiede zwischen Polizei und Verfassungsschutz seien "minimal".
Da es im BKA-Gesetz um die Gefahrenabwehr bezüglich des internationalen Terrorismus geht, betrifft das auf den ersten Blick mehr das Handlungsspektrum des Bundesnachrichtendienstes als der Verfassungsschutzbehörden. Flankiert wurde die politische Terrorabwehr jedoch mit Änderungen des Strafgesetzbuchs: Indem die Strafbarkeit bei etlichen Staatsschutzdelikten weit ins Vorfeld der eigentlichen Tat verlegt wurde, ist inzwischen die Polizei als Strafverfolger tätig, wo ursprünglich nur der Verfassungsschutz als Beobachter aktiv werden durfte.
Vorsicht beim Schießen im Schützenverein
Als da wäre der Paragraf 89a, in dem es um die "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" geht – also nicht um die Gewalttat, sondern um deren Vorbereitung. Demnach kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren bestraft werden, wer im Sinne einer solchen Vorbereitung jemanden mit Schusswaffen vertraut macht oder sich selbst das Schießen beibringen lässt. Es findet also in jedem Schützenverein statt, was – ein entsprechendes Ziel unterstellt – ein Ermittlungsverfahren auslösen kann, in dem die Polizei mit sämtlichen nachrichtendienstlichen Mitteln operieren kann und soll.
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David Sohn
am 08.11.2017