Sylvia Fischer ist noch vor keinem der zahlreichen NSU-Ausschüsse als Zeugin aufgetreten. Nach Stuttgart mitgebracht hat sie einen einschlägig bekannten Rechtsanwalt. Noch vor Beginn der Vernehmung wird der streng, weil die Zeugin ihr Recht verletzt sieht, nicht fotografiert zu werden. In der Folge müht sich der Vorsitzende des Gremiums, Wolfgang Drexler (SPD), mehr als eine Stunde lang mit immer neuen Fragen und Nachfragen, Konkretes zu erfahren. Gefühlt mindestens fünfzig Mal beteuert die Zeugin, sie könne sich nicht erinnern. Schnell wird offenkundig: Sie will nichts sagen – und sagt doch einiges. Etwa über ihr beeindruckendes Engagement in der Unterstützung von Gefangenen. Gesinnungsgenossen hat sie so immens viele Briefe geschrieben – "Hunderte" an die nationalen Genossen –, dass ihr der Überblick verlorengegangen ist. Ein Sachverständiger, Ulrich Bringewatt vom Bundesamt für Verfassungsschutz, ordnet dies ein. "Allgemeinkriminelle" hätten keine Chance bekommen auf Briefe, Besuche oder moralische Unterstützung. Bei Rechtsextremisten war das anders – nicht zuletzt dank der HNG, die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.". Im September 2011 hat CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich die 1979 gegründete Organisation endlich verboten.
Es sei der HNG nie "um Resozialisierung gegangen, sondern darum, Gesinnungsgenossen in der Szene zu halten", so Bringewatt weiter. Auch die Liste der Adressaten hat es in sich. Fischer ("Ich war immer gegen Gewalt") will sich die Straftäter ausgesucht haben, mit denen sie Kontakt aufnahm. Auf mehrere Vorhalte des Grünen Alexander Salomon verstrickt sie sich aber in Widersprüche. Jedenfalls ist unstrittig, dass die HNG sich inhaftierter Alt-Nazis wie der früheren SS-Männer Erich Priebke oder Josef Schwammberger angenommen hat, genauso wie Rechtsterroristen der Nachkriegszeit. Darunter waren auch der gebürtige Stuttgarter Stefan Michael Bar oder der österreichische Holocaust-Leugner Gottfried Küssel.
Nicht politisch, nur weiß?
In öffentlicher Sitzung will Bringewatt keine weiteren Details nennen. Dem Ausschuss ist aber bekannt, dass Fischer immerhin stellvertretende Vorsitzende der HNG war und Vorsitzende werden sollte, was nicht zustande kam. Zumindest einer ihrer zahllosen Briefe ging an Uwe Mundlos. Sie unterschrieb mit "weißem Gruß", was sie damals und heute nicht für rassistisch hält: "Ich bin doch weiß." Wie die vielen anderen Zeuginnen aus dem rechtsextremen Spektrum will sie ohnehin nicht politisch gewesen sein. Wieder ist eine Botschaft zwischen den Zeilen versteckt: Denn ihrer Ende der Neunziger geborenen Tochter wollte sie diese Zuwendung an die ganz besondere Gruppe nicht zumuten. Da habe sie sich losgesagt, erklärt sie an einer Stelle und an einer anderen: "Ich bin nirgends ausgestiegen, ich kann denken, was ich möchte." Natürlich kann sie sich nicht erinnern, ob sie Mundlos im Knast besucht hat, natürlich weiß sie "definitiv", mit Beate Zschäpe nie etwas zu tun gehabt zu haben.
Von Insidern wird die HNG als über Jahrzehnte besonders erfolgreich im rechtsextremen Spektrum eingeschätzt, weil sie Schnittmenge aller, auch verbotener, rechtsradikaler Organisationen war und damit als Austauschplattform fungierte. Von großer Bedeutung sind für die Behörden bis heute die "Nachrichten der HNG", die monatlich in einer Auflage von mehreren Hundert Exemplaren erschienen. Fischer, die vorübergehend auch im Kreis Biberach lebte, publizierte ebenfalls, Einzelheiten sind ihr entfallen.
Die damalige rot-grüne Bundesregierung schreibt 2001 im Bemühen, ein Verbotsverfahren zu unterfüttern, dass in der Zeitschrift der Eindruck vermittelt wird, "insbesondere Delikte wie das Verbreiten von Propagandamitteln für verfassungswidrige Organisationen, das Verwenden von deren Kennzeichen oder die Volksverhetzung mit rechtsextremistischem Hintergrund seien nicht strafwürdig" und "entsprechende Verurteilungen (...) Ausdruck nicht zu rechtfertigender staatlicher Unterdrückung". Die Publikation habe dem Unrechtsbewusstsein potenzieller Straftäter entgegenwirken wollen, "was im Einzelfall die Hemmschwelle für die Begehung rechtsextremistischer Straftaten durchaus mindern kann".
Die schwarz-gelbe Bundesregierung begründete das Verbot vom Herbst 2011 damit, "dass es nicht länger hinnehmbar ist, dass inhaftierte Rechtsextremisten durch die HNG in ihrer aggressiven Haltung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bestärkt werden". Aus "Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates sowie der Verherrlichung des Nationalsozialismus versuchte die HNG, rechtsextreme Straftäter in der Szene zu halten", so CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich. Ein Urteil, das vor Gericht bestand.
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Rolf Steiner
am 19.07.2017