In Teilen Mecklenburg-Vorpommerns zum Beispiel, vor allem in Ostvorpommern. Anklam, eine 12 000 Einwohner zählende Stadt in der Nähe von Greifswald, beschreibt der "Nordkurier" als Gemeinwesen, in dem "die Verflechtungen zwischen der Partei, dem bürgerlichen Geschäftsleben und der rechtsextremen Kameradschaftsszene" besonders stark ausgeprägt seien. Auf Schulhof-CDs greifen die "Jungen Nationaldemokraten" (JN), die NPD-Nachwuchsorganisation, eher nicht mehr zurück. Vor zwei Jahren wurde publik, dass "Erstmaterial für den Geschichtsunterricht" bereits direkt in Lehrerzimmer geliefert wurde.
Allein für NRW wurden eine Viertelmillion Tonträger produziert
Hager war ab 2003 in der Führungsspitze der baden-württembergischen JN. Er hatte ein "paar nette Schriften gelesen", heimlich Veranstaltungen besucht, ein paar Aufgaben übernommen, Gefallen gefunden. "Man rutscht da nicht aus Versehen rein", erläutert er. Wer Freude an den Aufgaben finde, engagiere sich noch mehr: Nazi zu werden, sei ein "wunderbares Thema", um gegen Eltern zu rebellieren.
Er wurde Nazi, um einer zu bleiben. Hunderttausende Jugendliche in der Republik sollten 2004, als die Schulhof-Aktionen so richtig losgingen, erst einmal mit dem sogenannten Gedankengut der Rechtsextremisten bekanntgemacht werden. Allein für Nordrhein-Westfalen wurden eine Viertelmillion Tonträger produziert. Genutzt wurden Erfahrungen aus der eigenen Familie. Hager spricht vom "Reiz des Verbotenen" und vom Reiz der Musik. Wer sich die Lieder immer und immer wieder anhört, hat er herausgefunden, kommt auf den Geschmack: "Das hat funktioniert."
Auch in Baden-Württemberg. Ganz nach der von Ian Stuart, Gründer des Neonazi-Netzwerks "Blood and Honour", schon vor mehr als zwei Jahrzehnten ausgegebenen Losung: "Musik ist das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen. Besser als dies in politischen Veranstaltungen gemacht werden kann, kann damit Ideologie transportiert werden."
Die Verfassungsschützer haben die Szene seit langem im Blick und notieren fein säuberlich deren Trends. Etwa im aktuellen Jahresbericht 2016: "Bei Bands aus Baden-Württemberg bewegen sich die meisten Texte jedoch unterhalb der Schwelle zum konkreten Gewaltaufruf – wohl nicht zuletzt, weil die Verfasser um die möglichen juristischen Folgen wissen." Auch was darunter zu verstehen ist, wird festgehalten: Liedtexte seien von "einer anderer Machart, mit einer dumpfen, inhumanen Atmosphäre aus Gewaltbereitschaft und Gewaltverherrlichung, aus Bekenntnissen zu Kampf und Krieg, aus Hass, Wut, Zorn, Feindseligkeit, Rachephantasien, Verachtung sowie Mitleid- und Gnadenlosigkeit". Allerdings, solange das giftige Gebräu "ohne Aufrufe zu konkreten Gewalttaten" auskommt, wird ein Grund zum Einschreiten nicht gesehen.
Die Schulen sollen die Verteilung "in Eigenregie" unterbinden
Die Latte für konsequentes staatliches Handeln gegen die Einstiegsdroge Musik liegt seit Jahren viel zu hoch. Mit den "Erstmaterialien" aus Mecklenburg-Vorpommern und einer mitversandten Liedersammlung hat sich die Polizei befasst, ebenso die Staatsanwaltschaft und die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, die keine Anhaltspunkte einer Jugendgefährdung entdeckt. Wohlfeil ist der in solchen Fällen gern formulierte Rat, die Schulen sollten die Verteilung "in Eigenregie" unterbinden. Seit Jahren werden immer wieder Forderungen laut, die gesetzlichen Grundlagen zu verändern, weil zu viele verhetzende Liedtexte in die Rubrik "Meinungsfreiheit" fallen.
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