Die Ungleichheit wächst. Es gibt Millionen Niedrigverdiener und Hartz IV-Empfänger. Mit ihren Angehörigen sind es in Deutschland immerhin acht Millionen Menschen. Die soziale Frage steht also auch bei uns im Mittelpunkt und nicht am Rande. Sie sagen dagegen, viele von uns pflegten einen materiell ausschweifenden Lebensstil, es gehe um Verzicht, um Reduktion. Wie passt das zusammen?
Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert betrifft zuvorderst die Frage: Wie viele materielle Freiheiten darf sich ein Individuum noch leisten, ohne ökologisch und damit gleichsam sozial über seine Verhältnisse zu leben. Jedem Menschen steht nur ein bestimmtes Budget an ökologischer Beanspruchung zu, sonst ist globale Gerechtigkeit nicht möglich. Die Güterausstattung eines Individuums kann nur gerecht sein, wenn die damit verursachte durchschnittliche ökologische Belastung mit etwa 7,3 Milliarden Menschen multipliziert werden kann, ohne dass im Resultat die Lebensgrundlagen geschädigt werden. Deshalb wirkt die Gerechtigkeits- und Armutsdiskussion in Deutschland widersprüchlich.
Und welchen Platz hat in Ihrer Perspektive die erwähnte soziale Frage auf der nationalen Ebene?
Es ist politische Praxis geworden, vermeintliche Armut dynamisch nach oben anzupassen. Heute gelten in Europa Menschen als einkommensbedingt benachteiligt, deren materieller Lebensstandard vor 40 Jahren bestenfalls von den reichsten Personen hätte finanziert werden können. Die hohe Einkommens- und Vermögensspreizung, die auch ich für nicht akzeptabel halte, sagt nichts über die absoluten Verbrauchsmengen der ins Hintertreffen geratenen Menschen aus. Wenn Menschen in Deutschland unterhalb des globalisierungsfähigen Levels an materieller Beanspruchung leben, sollten sie das Recht haben, mehr zu fordern. Ansonsten bedeutet Gerechtigkeit in Deutschland, den überbordenden Reichtum abzubauen – aber nicht, um ihn vermeintlich Armen zugänglich zu machen, sondern ersatzlos zu tilgen.
Aber es ist doch legitim, in einer Gesellschaft soziale Unterschiede zu definieren und sie gegebenenfalls auch ändern zu wollen.
Selbstverständlich. Nur: Angesichts der ökologischen Belastung und des überbordenden Wohlstandes in Deutschland geht es nicht mehr um die altertümliche Vorstellung, die Armen an die Reichen heranzuführen, sondern die Reichen auf ein plünderungsfreies Lebensniveau zurückzuführen. Eine Politik, die ökologisch gerechte Verhältnisse schaffen will, sorgt zwangsläufig für eine soziale Angleichung der Vermögen und Einkommen.
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Reinhard Muth
am 21.06.2017