Bahnvertreter argumentierten auf Informationsveranstaltungen zu diesem Abschnitt gegenüber Kritikern auch mit Simulationen, die angeblich eine gute Betriebsqualität und Fahrbarkeit der Strecke nachweisen sollten. Die stimmten nun offenbar doch nicht so ganz, und die Kritiker haben Recht behalten. Gutes Futter für Gedankenspiele, wie sich dereinst dieses Szenario in der zu klein dimensionierten Tiefhaltestelle im Stuttgarter Talkessel wiederholen wird.
Die Verzögerungen im Filderabschnitt haben noch einen unangenehmen Nebeneffekt: Auf unbestimmte Zeit wäre damit die Gäubahn vom Stuttgarter Hauptbahnhof abgekoppelt, denn die bestehende Strecke über die Panoramabahn in die Innenstadt soll in der aktuellen Planung ein halbes Jahr vor der Eröffnung von Stuttgart 21 – also frühestens im Sommer 2025 – gekappt werden. Während die übrige, "alte" Bahninfrastruktur rund um den Stuttgarter Kopfbahnhof auch nach Fertigstellung von S 21 eine Zeit lang für die Testphase des Tiefbahnhofs bestehen bleiben soll, ist dies hier nicht der Fall. Denn die Gleise der Strecke sind der im Zuge von S 21 leicht geänderten S-Bahn-Führung über die neue Haltestelle Mittnachtstraße im Weg. Eine Rampe, über die die Gäubahnzüge jetzt in den Hauptbahnhof kommen, soll deshalb abgerissen werden.
Wer will schon ins Gäu?
Dies hat im vergangenen Jahr schon bei mehreren Bürgermeistern und Landräten aus Anrainergemeinden, und auch in der Schweiz für Unmut gesorgt (Kontext berichtete). Sie fordern, dass die Gäubahn wenigstens interimsweise weiter auf der bestehenden Strecke bis zum Hauptbahnhof geführt werden soll. Verbände wie BUND, VCD und Pro Bahn sind ebenfalls dafür, und auch das Landesverkehrsministerium unter Winfried Hermann (Grüne) hätte nichts dagegen. Machbar wäre das, sagt Florian Bitzer von der S-21-Projektgesellschaft (PSU) – "für einen einstelligen Millionenbetrag".
Nur die Stadt Stuttgart sperrt sich. Für sie hat ihr Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) wiederholt betont, dass sie nach der Eröffnung von Stuttgart 21 keine oberirdischen Gleise mehr dulden wird, weil sie die Flächen, die ihr seit 2001 gehören, sofort bebauen will. Weswegen Hermann – der immer wieder die Meinungsverschiedenheiten mit der Stadt betont, aber auch, dass er deren Position respektiere – im vergangenen Jahr mit seiner Idee für einen Tief-Ergänzungskopfbahnhof ums Eck kam (Kontext berichtete).
Eine Konstellation, die sich auch am vergangenen Montag bei einer Informationsveranstaltung zur Gäubahnunterbrechung wiederholte, zu der das Landesverkehrsministerium als Video- und Telefonkonferenz geladen hatte. Hermann, Vertreter von Bahn, Verband Region Stuttgart, Stuttgarter Straßenbahnen AG und vom Verkehrswissenschaftlichen Institut der Uni Stuttgart erläuterten, wie die Planungen für einen ausgebauten Regionalhalt in Stuttgart-Vaihingen und einen Nordhalt in der Nähe des jetzigen Nordbahnhofs aussehen, an denen die Gäubahn während der Unterbrechungszeit enden könnten. Die Experten bemühten sich, die Anschlussverbindungen zu S- und Stadtbahn attraktiv aussehen zu lassen. Die Vertreter der Anrainergemeinden, des VCD und der Nürtinger Grünen-Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel betonten dennoch, dass sie eine Interimsführung bis zum Hauptbahnhof eindeutig vorziehen würden. Denn ohne diesen direkten Anschluss sei die Strecke weit weniger attraktiv – und ohne ihn könnte auch S-Bahn-Störungen auf der Stammstrecke nicht gut begegnet werden, denn für diese Fälle dient die Gäubahn an etwa 100 Tagen im Jahr als Ausweichstrecke (Kontext berichtete). Angesichts von mehreren Hunderttausend S-Bahnnutzern pro Tag im Grunde ein K.O.-Kriterium.
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Jue.So Jürgen Sojka
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