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Metropol-Kino in Stuttgart

"Wirkliche Kunst- und Kulturstätte"

Metropol-Kino in Stuttgart: "Wirkliche Kunst- und Kulturstätte"
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Seit bald zwei Jahren steht ein besonderer Ort der Stuttgarter Stadtgeschichte leer: das Metropol-Kino. Für drei Tage hat der Architekt:innenverband BDA das Gebäude nun wieder zugänglich gemacht.

Seit einigen Jahren eröffnet der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) Baden-Württemberg seine landesweiten Veranstaltungen des Monats November mit einer Auftaktveranstaltung in einem akut leer stehenden Gebäude. Ziel ist, auf drohende Abrisse, ungenutzte Potentiale und Konflikte hinzuweisen, die sich mit der "Ressource Raum" – so der Titel einer Diskussionsrunde zum diesjährigen Auftakt – verbinden.

Historische Rückblende mit O-Tönen

1922. "Die große Halle des alten Bahnhofes", urteilt ein Preisgericht zum Verkehrskonzept im Vorfeld des neuen Bonatzbaus, der am 23. Oktober des Jahres in Betrieb gegangen ist, "setzt sich im Bewußtsein der Zeitgenossen immer mehr als eine ganz bedeutende baukünstlerische Leistung durch, die auf Schutz und dauernde Erhaltung berechtigten Anspruch hat." Vergebens: Die Bahnhofshalle wurde abgerissen. Nur drei der fünf Bögen der Fassade von 1864 erinnern noch an die Bahnhofs-Geschichte.

1926. "Aus der schönen Eingangshalle und den hohen Fenstern des Treppenaufgangs flutet festlich das weiße Licht", schwärmt die konservative "Schwäbische Chronik" anlässlich der Eröffnung der Ufa-Lichtspiele, damals mit 1300 Plätzen das größte Kino Süddeutschlands. Die sozialdemokratische "Schwäbische Tagwacht" findet, es handle sich um eine "wirkliche Kunst- und Kulturstätte".

1990. "Der Fortbestand des traditionsreichen Lichtspielhauses an der Bolzstraße, vor dem Kriege als UFA-, nach dem Kriege als Metropol-Palast bekannt, ist gefährdet", schreibt Judith Breuer im Nachrichtenblatt der Denkmalpflege. Der Eigentümer, die Technischen Werke der Stadt Stuttgart (TWS), wollen einen Bürobau anstelle des Kinos errichten, das Breuer als "eines der letzten deutschen Lichtspieltheater von großstädtischem Format" bezeichnet.

Das Metropol-Kino, in den 1920er-Jahren erbaut an der Stelle des früheren Bahnhofs, zuletzt unter anderem Hauptspielstätte des Trickfilmfestivals, wurde  Ende 2020 geschlossen. Der heutige Besitzer, die Fondsgesellschaft Union Investment, wollte eine Boulderhalle einbauen (Kontext berichtete).

Aller Protest blieb erfolglos, ebenso dass Oberbürgermeister Frank Nopper die Metropol-Frage zur Chefsache erklärte. Doch aus dem Klettern wird nichts. Das Denkmalamt hat Einspruch erhoben. Da die Stadt mit der Entscheidung ohnehin nicht glücklich war, hier eine Boulderhalle einzurichten, fanden die Denkmalschützer diesmal Gehör. Damit ist nun der Kinobetreiber Heinz Lochmann, der schon früh seinen Hut in den Ring geworfen hat, Kandidat Nummer eins. Die Verhandlungen laufen und solange sie laufen, herrscht Stillschweigen.

Doch nun hat das Metropol auf Initiative des BDA zum ersten Mal seit dem Auszug des letzten Kinobetreibers für drei Tage wieder seine Pforten geöffnet: Der Verband hat die Situation genutzt, um sich selbst eine Bühne zu geben und eine Reihe von Fragen in die Debatte zu werfen. Die drei Diskussionsrunden zum Auftakt des Architekturnovembers – zum Umgang mit Abriss, mit den vorhandenen Räumen und zum Kino – hatten alle auch mit dem Ort der Veranstaltung zu tun, führten zugleich jedoch weit darüber hinaus in grundsätzliche Fragen der Architektur, der Stadtplanung und des gesellschaftlichen Zusammenhalts, die hier nur angerissen werden können.

Handeln im Sinne der einen Welt

Das Thema Abriss ist dem Metropol eingeschrieben, insofern die Fassade des Vorgängerbaus wie ein Triumphbogen auch das Gesicht des Kinos bestimmt. Städtebau-Professorin Martina Baum hatte Alexander Stumm, den Initiator des Abrissmoratoriums, eingeladen, das Bundesbauministerin Klara Geywitz auffordert, Abrisse genehmigungspflichtig zu machen. Mit ihm diskutieren die BDA-Landesvorsitzende Liza Heilmeyer, der Karlsruher Baubürgermeister Daniel Fluhrer und der Architekturstudent Leon Bischoff, der mit anderen die Architekturfakultät der Uni dazu gebracht hat, das Thema "Bauen ohne Beton" im letzten Winter zum Semesterthema zu machen.

In der Diskussion ging es um graue Energie, den 40-Prozent-Anteil des Bausektors an den globalen CO2-Emissionen und überfüllte Deponien. Die bestehende Gesetzgebung begünstige Abriss und Neubau. Wer auf Erhalt setze, stehe dagegen vor hohen Kosten und schier unlösbaren Genehmigungsfragen, konnte Fluhrer aus der Praxis in Karlsruhe berichten. Ganz zuletzt fragte Heilmeyer auch nach der kulturellen Bedeutung des Bestands: ob also Gebäude wie das Metropol nicht auch "Geschichte erzählen".

Christian Holl, der aus Anlass des vierzigjährigen Bestehens der Architekturgalerie am Weißenhof die nächste Runde moderierte, wollte allerdings nicht so sehr zurück, als vielmehr nach vorn schauen. Dabei ging es ihm letztlich um eine Neubesinnung in Bezug auf die Rolle der Architekt:innen. Sie sollten, so Stefan Kurath aus Zürich, nicht als Einzelgänger schöne Gebäude herstellen, sondern Allianzen bilden und politisch handeln im Sinne der "einen Welt". Ganz ähnlich will auch Christian von Wissel aus Bremen Architektur anders denken: nicht als Objekt, sondern als Praxis.

Die Frage lautet: Wem gehört der Raum?

Ein anschauliches Beispiel lieferte die kurzfristig eingesprungene Aya Tarik, die im Stadtteil Schwarzer Berg im Norden Braunschweigs, ausgehend von ihrer Architektur-Masterarbeit, ein Quartierszentrum eingerichtet hat. Sie sprach über leer stehende Ladenlokale, konsumfreie Orte und Möglichkeitsräume; es gehe darum, Barrieren abzubauen, bauliche wie sprachliche, um "lokales Wissen", das sie in "Quartier Talks" abfragt, um "kollektive Intelligenz", aber auch um Regeln. Die Grundfragen, so Tarik, lauten: Wem gehört der Raum? Und: Wer finanziert das Projekt? Die Architekt:innen müssten, mit einem Wort, "raus aus der Bubble".

In der dritten Gesprächsrunde stellte Nathalie Bredella ihre Forschungen zur frühen Entwicklung des Kinos in den USA vor: vom Nickel Odeon, das lokal orientiert war und in dem Frauen auf vielfache Weise eine Rolle spielten, zu den großen Traumpalästen der 1920er-Jahre,  die auch beim Metropol Pate standen. Britta Nagel vom Atelier Brückner zeigte ihre schönen Pläne für das künftige Haus für Film und Medien an der Stelle des heutigen Breuninger-Parkhauses: ein transparentes Gebäude für alle – das freilich Ulrich Wegenast zu der Frage veranlasste, wo denn bei all dem das Kino bleibe.

24 Kultureinrichtungen haben das Programm erarbeitet, unterstrich Wegenast, bis vor Kurzem Leiter des Stuttgarter Trickfilmfestivals und jetzt Dekan des Fachbereichs Design an der Peter-Behrens-Hochschule in Düsseldorf. Er sprach anschließend über die Zukunft des Kinos. Die Hälfte aller Kinos habe in den letzten zwanzig Jahren geschlossen, resümierte er, auch große Multiplex-Kinos, Investment-Projekte – nach den Corona-Schließungen. Die Zukunft sieht er eher in kleinen Dorfkinos. Als "soziales Experiment und kollektives Sehen" werde Kino auf jeden Fall weiter eine Rolle spielen.

In der anschließenden Diskussion monierte Stefan Kurath zu Recht, es sei gar nicht über das Metropol-Kino gesprochen worden: "Ein toller Ort", schwärmte der Leiter des Instituts Urban Landscape an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). An den folgenden Tagen bot sich noch Gelegenheit, den Bau näher kennenzulernen. Denn im Anschluss an seine eigene Veranstaltung hatte der BDA die Freie Tanz- und Theaterszene (FTTS) eingeladen, das Gebäude zwei Tage lang zu bespielen.

Architekt und Künstler

Was nicht im Architekturführer steht: Der Ufa-Palast, wie das Metropol ursprünglich hieß, war der erste Entwurf des Architekten Hans Paul Schmohl, der später den Hindenburgbau, das Schlossgartenhotel und das Stuttgarter Nachkriegs-Rathaus erbaute. Vom Bildhauer Jakob Wilhelm Fehrle stammen ein Mandolinespieler und eine Tänzerin mit Maske in der Hand im zweiten Obergeschoss. Beide waren auf ihrem Gebiet führend. Die zackigen Formen an der Seitenfassade des Baus und in Details der Figurengruppe erinnern an die Formen der Bauausstellung, die 1924 zwischen altem und neuem Bahnhof stattfand. (dh)

In Tanz, Musiktheater, Film, Fotografie, Musik und Kunst nahmen die Beteiligten immer wieder auch Bezug auf das Kino – wenn auch nur ausnahmsweise konkret auf das Metropol. Ein Film über eine Frau, die Treppen hinabsteigt, verkürzte das Warten auf den geführten Rundgang und lenkte den Blick auf die großartigen Treppenhäuser, die nicht zuletzt die Bezeichnung "Palast" rechtfertigen.

Ein zweiter Film – beide beigesteuert vom Stuttgarter Filmwinter – bestand aus einer Montage von Szenen aus alten Filmen, die Schauspieler als Kino- und Opernbesucher zeigen: raumfüllend, urkomisc, und ganz wortwörtlich eine Reflexion auf das Kino. Als sich in einem Film plötzlich alle Zuschauer in Panik erheben, möchte man am liebsten so schnell wie möglich den Saal verlassen.

Manche Längen gab es auch, was damit zusammenhing, dass man sich nicht frei bewegen konnte. Nur geführte Rundgänge wollte Union Investment zulassen, fotografieren verboten. Kunst ist immer willkommen, wenn sie den Wert einer Immobilie steigert. Nur wollte der Investor wohl nicht dafür werben, dass das Gebäude auch anders als kommerziell genutzt werden könnte. Was der BDA mit der Einladung an die freie Szene wohl hatte zeigen wollen.


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1 Kommentar verfügbar

  • Schmid
    am 02.11.2022
    Antworten
    Ebenfalls nicht im Architekturführer HP Schmohls Kapelle auf dem Kornwestheimer Friedhof.
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