Schon immer hatte ich die kindsköpfige Flause, mit einem Laptop am Neckarufer zu sitzen und zu tippen. Nicht meine Einkaufsliste schreiben, die zum Horror-Genre zählt, seit Butter und Kaffee bei uns teurer geworden sind als Heroin. Ich wollte am Fluss eine kleine Geschichte tippen, irgendwas, das mir beim Blick auf die Wellen einfällt und in ihnen untergeht. Etwas anderes als das Zeugs, das ich zu Hause mache, während ich den Bildschirm meines Rechners und die Wand anstarre.
Es ist Sommer geworden, die ersten tödlichen heißen Tage des späten Frühjahrs sind vorbei, und in den Straßen der Stadt stinkt es noch immer nach Weltuntergang. Weit vom Schuss sitze ich auf einem Steinblock im Schatten eines Baums am Fluss. With my banjo on my knee.
Das Banjo ist in Wahrheit ein brandneuer Laptop, der am Wasser getauft werden muss. Wenn ich mit den Fingerspitzen seine Tasten berühre, fühle ich mich wie ein Musikant, spezialisiert auf minimalistischen Sound. In jahrzehntelanger Zeitungsarbeit habe ich es nicht geschafft, beim Tippen über die Technik des Sägewerkarbeiters hinauszukommen. Ich bin der Zwei-Finger-Mann. Eine Keyboard-Krücke.
Auf diese Weise habe ich einst auf einer geliehenen Reiseschreibmaschine angefangen. Dieses Gehacke war anstrengender als später das Computergeklimper, auch weil statt der Löschtaste nur Tipp-Ex-Streifen zur Verfügung standen. Tipp-Ex gab einem die Illusion, der Text ließe sich verbessern. Meist aber wäre es sinnvoller gewesen, ihn zu vernichten. Mithilfe eines Feuerzeugs, das sowieso immer neben der Schreibmaschine lag, weil ich fest daran glaubte, eine Zigarette pro Zeile würde mein Geschreibsel ins Gedächtnis der Weltliteratur einbrennen. Dies galt selbstverständlich auch für poetische Stoffe wie die Jahreshauptversammlung der Freiwilligen Feuerwehr oder einen Verkehrsunfall mit der Überschrift "Omnibus rammt Frau".
Vor meinen Augen tuckert gerade der Lastkahn "Ascona" vorbei. Seine Wellen erinnern mich daran, dass in der Jahrhunderthitze vor ein paar Tagen ein Mann in den Neckar gesprungen und nicht mehr aufgetaucht ist. Auch Froschmänner konnten ihn nicht retten.
Der Neckar verfügt über ungeahnte Kräfte. Von seiner Quelle bis zur Mündung in den Rhein überwindet er einen Höhenunterschied von 161 Metern. So hoch ist der Turm des Ulmer Münsters. Würde man eine Kugel flussabwärts über die Wasserdecke des Neckars rollen, käme sie zurück wie der Stein des Sisyphus. Wenn die Schleusen mitspielen.
Ich wäre gern ein Schiffer. Dann hieße meine Kolumne "Auf der Wasserstraße". Als ich neulich ein Plakat mit der Ankündigung las, in Stuttgart finde im Juni "Europas größte Dampfermesse" statt, war ich bereit, anzuheuern und mit meinem Banjo zu verschwinden. Bei näherem Hinsehen jedoch stellte sich die Dampferschau als Show für E-Shishas heraus. Noch die größte Pfeife raucht heute elektrisch.
Vor mir ist inzwischen die MS "Experimenta" aufgetaucht, frisch gestrichen. Ein Schriftzug mit dem Versprechen "Ein ganzes Schiff voller DU" versaut die Bordwand, Werbung für die Ausstellung "Experimenta – Das Science Center". Was für eine Drohung: ein ganzes Schiff voller Dus. Auch der beste Lastkahn würde absaufen unter dieser Last.
Im Fall der Experimenta geht es übrigens um "Erleben und Wissen". Ich weiß das, mein Banjo hat Internet. "Du entdeckst Neues bei dieser Veranstaltung", lese ich – "egal, ob du drei oder 103 Jahre alt bist". Baut mich auf. Wenigstens bei diesem Event zähle ich noch zur Zielgruppe. Wie lange noch, kann ich nicht sagen. Giftige Insekten wandern über meinen Bildschirm. Als guter Mensch darf ich sie nicht zerquetschen. Und ich habe Angst vor der Zecken-Guerilla, jederzeit kann sie über mich herfallen und mich töten.
Glücklicherweise lenkt mich jetzt ein weiteres Schiff ab, voll beladen nicht mit dir, sondern mit Metallschrott. Sein Name ist "New York City". Diesen Kahn habe ich schon öfter auf dem Neckar gesehen und mir vorgenommen, ihn irgendwann auf einer Brücke abzupassen und zu entern. Zwar schwimmt er nicht direkt nach New York City, aber immerhin nach Brügge, und das wäre ein Anfang. Ich muss raus aus meiner gottverdammten Gegend. Nichts los hier, die trägen Wellen des Neckars schimmern grün-bräunlich in der Junisonne. Keine Spur von der "bläulichen Silberwelle", die Hölderlin in seiner Ode an den Fluss besingt.
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