Die brasilianischen SESC-Zentren (Serviço Social de Comércio) – 35 sind es allein in São Paulo, etwa 500 im ganzen Land – finanzieren sich durch eine Abgabe der Handelsunternehmen und einen 1,5-Prozent-Anteil aus der Lohnsteuer. Es sind Zentren für Gesundheit, Sport, Theater und anderes mehr, im Mittelpunkt liegt ein Raum, der sich Convivência nennt: das Zusammenleben.
Was soll also dieses "Täglich" sein: Sportstätte, Kulturzentrum, Gemeinschaftswerkstatt, Club, Bibliothek? Ein wenig von allem oder besser: all das, was im Quartier noch fehlt. Eben deshalb präsentiert die Ausstellung keinen fertigen Entwurf. "Wir haben Umfragen gemacht in Bad Cannstatt", erzählt Baum: "Was würdet ihr dort machen?" Den Bewohner:innen des Stadtteils fiel eine Menge ein. Sich treffen. Einen Platz, um in Ruhe Hausaufgaben zu machen. "Wir haben Cannstatt ausgesucht", erklärt Baum, "weil es ein besonders diverser Stadtteil ist." Viele haben in ihren kleinen Wohnungen wenig Platz und könnten schon deshalb ein öffentliches Zusatzangebot sehr gut gebrauchen.
Geeignete Objekte gäbe es genug. In Cannstatt etwa das Parkhaus zwischen Bahnhof und Wilhelmsplatz, im Besitz der Stadt, mit einigen Lokalen, die seit langer Zeit leer stehen: Für ein "Täglich" "geradezu prädestiniert", meint Baum. Oder, gleich gegenüber, der leer stehende Kaufhof. Er befindet sich im Besitz der LBBW, die abreißen und neu bauen will. Die Diskussionen um die graue Energie, die bei Abriss und Neubau verloren geht, sind bei der Landesbank noch nicht angekommen.
Es gab sogar schon einmal ein solches Zentrum im Stuttgarter Osten: in den 1980er- und 1990er-Jahren, genannt "Das Werk". Es war die Keimzelle der viel gerühmten Stuttgarter Integrationspolitik.
Züblin-Parkhaus als Stuttgarts Wohnzimmer
Baum hat sich mit ihren Studierenden eine größere Zahl konkreter Gebäude in Stuttgart angesehen: von ehemaligen Tankstellen und leer stehenden Ladenflächen bis hin zum Rathaus und zum Neuen Schloss. Sie wollten wissen, wie ein solches Gebäude beschaffen sein müsste. Das Rathaus zum Beispiel ist wenig geeignet: eine große, schwere Tür, ein Vorraum mit Rezeption. Das sind Schwellen, die Besucher abhalten, das Gebäude zu betreten. Ebenso schwierig sind geschlossene Türen und empfindliche Materialien wie im Stadtpalais, wo nicht einmal ein Tesafilm an die Wand geklebt werden darf.
Viel besser geeignet wäre das Züblin-Parkhaus, wo es bereits verschiedene, niederschwellige Angebote gibt. Oder generell halb offene Räume wie an einigen neuen Schulen ohne Klassenzimmer in Dänemark: Alles ist offen und einladend, trotzdem kann man sich auch ein wenig zurückziehen. Kleine Modelle zu solchen räumlichen Situationen sind nun in der Ausstellung zu sehen.
Auch einige Masterarbeiten sind entstanden: unter anderem von Felix Haußmann, Matthias Krumbe und Sandra Schlegel zum Schoettle-Areal oder zu einigen Gebäuden in der Königstraße, darunter der früheren Kaufhalle, dann Sportarena, die heute leer steht. Der Bau gehört der Signa-Gruppe des Immobilienhais René Benko, der schon Kaufhof und Karstadt besitzt. Er wollte zuerst aufstocken und nun abreißen, das ist einfacher.
In Stuttgart gehen solche Gebäude fast immer an Investoren. Die Stadt zeigt wenig Interesse. 160.000 Euro hat der Gemeinderat dem Projekt "Täglich" im Doppelhaushalt 2020/21 bewilligt. Sie wurden nicht ausgezahlt. Selbst im Stadtpalais, das ein Palais für die ganze Stadt sein will, gehen private Interessen vor: Wenn der Pächter des Cafés den Veranstaltungsraum, in dem die Ausstellung stattfindet, für eine Hochzeit vermieten will, muss er innerhalb von 24 Stunden geräumt sein.
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WernerS
am 12.10.2022