"Das alles, und noch viel mehr, würd' ich machen, wenn ich König von Deutschland wär'", sang der große Rio Reiser einst – wobei sein Maßnahmenkatalog wohl kaum den Träumen derer entsprach, die sich hierzulande insgeheim eine Monarchie wünschen. Über jene deutsche Sehnsucht sinnierte vor einem Jahr der Jura-Professor Jens Gal in der Zeitschrift "Aus Politik und Zeitgeschichte" anlässlich der Restitutionsforderungen der Hohenzollern: Der Presse-Furor gegen die einstige Herrscherdynastie sei ungewöhnlich "in einem Land, in dem manche Journalisten von Springer, Burda und Bauer Thronprätendenten noch immer als Majestät oder Hoheit anreden, sie als Prinz beziehungsweise Prinzessin Soundso aristonymisieren, vom Hause derer von Wolkenkuckucksheim quinquilieren und bei jeder Audienz buckeln und knicksen, als wäre die Republik nur eine vorübergehende Erscheinung." All dies seien, schreibt Gal, "letztlich nur die Symptome eines offenbar tiefsitzenden bürgerlichen Minderwertigkeitskomplexes, der auch 100 Jahre nach Abschaffung des Adels bourgeoise Träume nach Titel, Patent und Erhebung wachhält und die ewigen Untertanen zur Verbeugung vor dem 'Seelenadel' veranlasst."
Gal hätte bei der Eröffnung der Ausstellung über den letzten württembergischen König Wilhelm II. sein sollen, die seit vergangenen Freitag im Stuttgarter Stadtpalais besucht werden kann. Nach einem Mummenschanz-Auftakt mit historischen Uniformen und Trompetenstößen ließen es sich da die meisten der RednerInnen des Abends, darunter auch OB Frank Nopper, nicht nehmen, die anwesenden Verwandten Wilhelms mit "königliche Hoheiten" zu begrüßen – einzig die Konzertdramaturgin Claudia Jahn von der Stuttgarter Staatsoper und der digital zugeschaltete Ministerpräsident Winfried Kretschmann begrüßten nur die "sehr geehrten Damen und Herren", womit wir sie zu den RepublikanerInnen der Woche küren. Doppelt absurd ist die untertänige Anrede, da nicht nur die Privilegien und Titel des Adels 1919 abgeschafft wurden. Sondern auch, weil der einstige König Wilhelm II. selbst, nachdem er nicht mehr Monarch war, nur noch den Herzogstitel nutzte, sich von der Königskrone distanziert und privat sogar schon zuvor demonstrativ auf Adelstitel verzichtet habe, wie der Historiker Jörn Leonhard in seinem Vortrag ausführte – nachdem auch er sich zuvor an die "königlichen Hoheiten" gewandt hatte.
Aber ach, es macht halt schon was her, sich mit ein paar Royals schmücken zu können, auch wenn es keine echten mehr sind. Es ist fast so gut wie ein Riesenrad. So gesehen ist Stuttgart gerade doppelt gesegnet, denn seit vergangenen Samstag dreht auch die baden-württembergische Landeshauptstadt am Rad, will sagen, dreht sich dank OB Noppers unermüdlichem Einsatz ein großes Exemplar auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Wobei der bürgerliche Minderwertigkeitskomplex, sich auf Biegen und Brechen mit München messen zu müssen, auch bei dieser Entscheidung ein zentraler Faktor gewesen scheint, wie der oberbürgermeisterliche Größenvergleich mit der rotierenden Wiesn-Attraktion nahelegt: Das Stuttgarter Modell sei "sogar um zehn Meter höher als bei unseren bayrischen Freunden", betonte Nopper in einer Pressemitteilung.
Wenn Kontext gelegentlich jemanden in den – zumindest ideellen – Adelsstand erheben dürfte, dann wäre die Wahl diese Woche leicht: Die Journalisten des Netzwerks, das die "Pandora Papers" und damit die Geheimgeschäfte mehrerer Hundert PolitikerInnen und AmtsträgerInnen rund um den Globus enthüllt hat. Was für eine Recherche, was für eine Analyseleistung! Solche Enthüllungen zeigen, wie wichtig es ist, dass es unabhängigen Journalismus gibt.
Ein Gegenmodell zu den PolitikerInnen mit dem Faible für Briefkastenfirmen ist übrigens Elke Kahr, die aller Voraussicht nach Bürgermeisterin des österreichischen Graz wird: Die Kommunistin will nur ein Drittel ihrer Bezüge behalten, der Rest fließt in einen Sozialfond, der den Armen und Ärmsten zu Gute kommt.
Das hätte bestimmt auch Rio gefallen.
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