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Antifa-Prozess

Niemals Angriff

Antifa-Prozess: Niemals Angriff
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Es sind die letzten Prozesstage im Verfahren gegen zwei Antifas, die Mitglieder des rechten Vereins "Zentrum Automobil" verprügelt haben sollen. Ob sie's waren? Nach 20 Verhandlungstagen und viel heißer Luft von rechts bleibt zumindest eine Erkenntnis: Schweigen ist manchmal doch Gold.

Schon das Setting ist außergewöhnlich. Das Landgericht verhandelt in Stuttgart-Stammheim in der Atmosphäre früherer RAF-Prozesse. Die Sicherheitsmaßnahmen sind enorm, vor dem Gerichtsgebäude steht grundsätzlich eine Menge Polizei, innen kommt kein Gürtel unbemerkt durch die Schleuse. Sicherheitsglas trennt Prozessgeschehen und Publikum. Im Zuschauerraum herrscht immer dann angespannte Stimmung, wenn zwischen den treu anwesenden Linken ein paar Unterstützer des "Zentrum Automobil" (ZA) sitzen. Was aber nicht so oft vorkommt.

Die Pseudo-Gewerkschaft ZA ist die Hand in die Konzerne am Arm der AfD. Vor allem im Daimler-Werk Untertürkheim ist der Verein unterwegs und plustert sich mit rechtem Populismus gegen die größere IG Metall auf. Drei Mitglieder des ZA wurden letztes Jahr im Mai am Rande einer Corona-Demo in Stuttgart verprügelt und treten als Nebenkläger auf: Andreas Ziegler, Jens Dippon und Ingo Thut. Zwei Antifas, Joel P. und Diyar A., sind angeklagt, letzterer sitzt seit Monaten in Untersuchungshaft.

Mandic ist ein sehr schlechter Anwalt

Ein paar Dinge sind nach 20 Verhandlungstagen einigermaßen sicher: a) Eine Gruppe Antifas kam in der Nähe des Daimler Museums schwarz vermummt ums Eck, einige sind ausgeschert und haben die drei Männer mit Reizgas besprüht und teils mit Flaschen (ein Zeuge war sich sicher, es sei Bionade gewesen) übel verprügelt. b) Die zwei leichter verletzten Nebenkläger sind im Gegensatz zu Andreas Ziegler keine ideologisch gefestigten Neonazis. c) Der schwer Geschädigte Ziegler hatte am Tag des Überfalls mindestens einen Schlagring dabei. d) Ob es die Angeklagten waren, ist nur mittelgut bewiesen und e) Dubravko Mandic, rechtsextremer Ex-AfDler aus Freiburg und bekannt für markige Sprüche gegen die Presse ("Wir werden sie aus ihren Redaktionsstuben vertreiben"), ist ein sehr schlechter Anwalt. Mau vorbereitet auf die Prozesstage erzählt er viel wirres Zeug – von der umfassenden Verschwörung gegen seine Person speziell und generell gegen "Patrioten" in Deutschland. Irgendwann merkt der Anwalt eines Antifas an, in Mandics Tiraden würden nur noch Freimaurer und Jesuiten fehlen.

Vor drei Wochen etwa hat Mandic angefangen, sinnlose Anträge zu stellen, und weil er die, egal wie viele Seiten es sind, laut vorlesen darf, tut er das. Stundenlang. Es ist Montag und Anwalt Mandic labert. Der Richter sei politisch beeinflusst und befangen. Weil sinngemäß grünlinksversifft wie die gesamte Gesellschaft außer Mandic selbst, der AfD und dem ZA, sei er mitschuldig an den schlimmen Verletzungen seines Mandanten. Staatsanwältin Silke Busch hänge ebenfalls mit drin, sie sei vom Innenministerium beeinflusst und gehöre abgesetzt.

Und weil über jeden dieser Anträge beraten und entschieden werden muss, ist dauernd Pause. Heißt: Alle raus aus dem Zuschauerraum, durch die Sicherheitsschleuse, Zeug holen, später wieder abgeben, noch mal durchsucht werden. Die Justizbeamten sind genervt, die Zuschauer und Anwälte ebenso, auf der Richterbank massiert sich ein Schöffe abwechselnd Stirn und Nacken. Wie kann einer alleine so vielen Leute derart auf den Zeiger gehen?

Vor der großen Verschwörung ist keiner sicher

Mandic erzählt gewichtig, ihm sei aus der JVA eine Morddrohung zugetragen worden: Der Angeklagte Diyar A. habe in seiner Zelle gebrüllt, mit Mandic müsse man das Gleiche machen wie mit den Verprügelten. Außerdem habe er PKK-Parolen gerufen. Später wird sich rausstellen, dass der damals inhaftierte Michael B. der einzige ist, der überhaupt Rufe irgendeiner Art gehört haben will und der Anstaltsleitung davon berichtete. B. ist angeklagt im Gruppe-S-Prozess gegen eine rechte Terrorgruppe, vertreten wird er von: Anwalt Mandic. Das Ganze klingt einigermaßen konstruiert. Richter Steinbach lädt zur Klärung Justizvollzugsbeamte vor, letztlich die stellvertretende Leiterin der JVA Stammheim. Die berichtet, B. habe das alles eher nicht an die große Glocke hängen wollen und sich auch nicht bedroht gefühlt, der Name Mandic sei dabei in anderem Zusammenhang gefallen. Diyar A. jedenfalls sei bisher nicht negativ aufgefallen, keine Vorkommnisse. Und so wird auch die Leiterin in Mandics Welt ein Teil der großen Verschwörung. Genau wie Richter Steinbach einmal mehr, denn der, so meint der Anwalt, sei persönlich schuld, wenn seinem Gruppe-S-Mandanten irgendetwas passiere. "Soweit die Stellungnahmen", sagt Steinbach trocken.

Irgendwann beharrt Mandic plötzlich darauf, all die vielen Prozesstage lang habe ihm das Gericht Akten vorenthalten. Woraus sich folgender hübscher Dialog entspinnt:

Richter: "Aber Sie haben doch aus genau diesen Akten zitiert." Der Richter liest einen Antrag vom 11.7. vor.
Mandic: "Das kann ich mir nicht erklären."
Richter: "Also hören Sie mal, die Akten müssen Sie gehabt haben", wie habe er denn sonst daraus zitieren können?
Mandic: "Dafür gibt es auch andere Erklärungen."
Richter: "Sagen Sie mal eine."
Mandic: "Fällt mir gerade keine ein."

Der rechte Anwalt lässt sich in seinen Stuhl zurücksinken, neben seinen Mandanten, um den es ihm bisher – wenn überhaupt – nur peripher gegangen ist: Andreas Ziegler, Hauptgeschädigter mit langem grauen Haar, das an den Ohren in einen langen grauen Bart übergeht. Er lag mehrere Wochen im Koma nach einem schweren Schlag auf den Kopf, hat bleibende kognitive Schäden davongetragen und Monate der Eingliederung gebraucht, um wieder an seinen alten Arbeitsplatz zurückzukehren.

Ziegler trainiert wieder

Ziegler hat es sich zum Ritual gemacht, von seiner Seite der Scheibe aus die Presse anzustarren. Dazu steht er breitbeinig und schiebt die Hüfte vor. Oder das Kinn. Einmal schraubt er hinterrücks genüsslich den Mittelfinger in die Höhe. Vor ein paar Wochen war er beim AfD-Landesparteitag auf der Stuttgarter Messe, wo er als Parteimitglied abgestimmt hat. Auf die Frage, wie es ihm gehe, dem schwer Geschädigten, sagt er, er trainiere wieder. Er spannt die Oberarmen an, wippt auf den Hacken. Einem unliebsamen Journalisten habe er schon mal die Kamera zerquetscht. Mit einer Hand! Er macht eine Quetsch- und Drehbewegung. Meine Güte. Auch seine Freundin ist da. Sie ist auf Videos zu sehen, die die rechte "Gewerkschaft" gedreht hat und ist häufig beim Prozess dabei. Anfangs demonstriert sie regelmäßig mit der NPD und der rechtextremen Kleinpartei Dritter Weg ihre Solidarität mit ihrem Freund. Manchmal bringt sie Kuchen mit. Später hat sie einen Presseausweis. Irgendwann taucht ein Foto von ihr auf, Christiane S. im Dirndl, über dem linken Busen ein Tattoo: Andreas Ziegler im Schottenrock mit Dudelsack.

Mittendrin sitzt Reinhard Löffler, Nebenklagevertreter der beiden leichter Verletzten und Landtagsabgeordneter der CDU. Ab und zu macht es den Anschein, als wäre er froh, wenn er dieses Mandat nicht angenommen hätte. Er sagt wenig in diesem Verfahren. Einer seiner Mandanten hat Reizgas abbekommen und ein paar Schürfwunden, der andere hat eine Augenverletzung. Über dessen Blindheitsgrad wird lange diskutiert, weil es mehr Schadenersatz gibt, je blinder einer ist, und weil sich auch das Strafmaß an der verbliebenen Sehschärfe orientiert. Fazit: ein Auge ist schwer traumatisiert, der Mann ist einseitig schon ziemlich blind. In seinem Schlussplädoyer lässt Löffler durchblicken, wie ätzend er es findet, dass Mandic dieses Verfahren zur persönlichen Bühne für krude politische Ansichten missbraucht. Und dass er die fünf und sechs Jahre Haft für schwere Körperverletzung nebst schwerem Landfriedensbruch, die die Staatsanwältin kurze Zeit vorher als Strafmaß gefordert hatte, zu viel findet.

Zumal die Beweislage eher dürftig ist. Wirklich gesehen hat die beiden Angeklagten keiner beim Vorfall im Mai. Von Diyar A. wurde ein Haar in einer Tierabwehrpistole gefunden, die am Tatort lag. Auf einem Handschuh von Joel P. war DNA von Andreas Ziegler. Die, so argumentierte sein Anwalt, auch durch Spurenübertragung dorthin gekommen sein kann. Und tatsächlich ist die Polizei spurensicherungsmäßig eher suboptimal mit den Handschuhen umgegangen. Dazu kommt die Aussage einer V-Person, die irgendwoher gehört hat, dass A. am Angriff beteiligt gewesen sein soll. Um wie viele Ecken diese Info geflossen ist und in welchem Kontext, kann nicht geklärt werden. Für die Täterschaft von Diyar A. spricht wohl auch, dass einer der Überfallenen meint, er habe gehört, wie ein Angreifer Kurdisch gesprochen habe. Zunächst hatte er es als Serbisch identifiziert – dann aber einen Arbeitskollegen gebeten, mal Kurdisch zu sprechen, und das klang genauso. Kann man glauben, muss man nicht.

Der Angeklagte Diyar A., Mitte zwanzig, sitzt seit elf Monaten in Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr, ist vorbestraft, weil er ein paarmal auf kurdischen Demos Parolen gerufen und einmal eine Flagge getragen hat. Beim Überfall im Mai war er noch auf Bewährung. Er sitzt an jedem Prozesstag coronabedingt hinter Sicherheitsglas, neben ihm oft ein Justizbeamter mit hingegeltem Hitlerscheitel. Diese Frisur sollte man verbieten.

Und dann ist da Joel P.: Zierlich und blond, 20 Jahre alt, er war nur kurz in Untersuchungshaft. Ein behütet und gut situiert aufgewachsener junger Mann, erzählte die Frau von der Jugendgerichtshilfe. Nicht vorbestraft, unauffällig. P.s Mutter ist fast immer da, manchmal auch seine beiden Schwestern. Auch an diesem letzten und fast tragischen Verhandlungstag werden sie im Publikum sitzen.

Darf man Nazis verprügeln?

Über all dem hängt die große und sehr alte Frage der linken Szene: Darf man Nazis verprügeln? Die Antifa hatte anfangs vor dem Gericht ein anonymes Bekennerschreiben zu dieser Tat verteilt. Eine Tötungsabsicht habe zwar nie bestanden, aber militanter Widerstand sei Teil des antifaschistischen Kampfes und damit "alternativlos". Außerdem habe, wer auch immer da zugeschlagen hat, einen Orden verdient im Kampf gegen Rechts, anstatt verurteilt zu werden. Eine Einstellung, die in ihrer Radikalität auch in der Szene für Unmut sorgt.

Ich habe die Gewalt-Frage mit vielen Leuten diskutiert. Oft sind die Fragen und Argumente dieselben: Wann schlägt man einem Nazi die Fackel aus der Hand? Wenn er den Plan hegt, ein Asylbewerberheim anzuzünden oder wenn das Haus schon brennt? Oder die Geschichte mit dem kleinen Kaff, in dem die Bevölkerung von militanten Nazis tyrannisiert wird und alle froh sind, wenn Leute bereit sind, Hand anzulegen. Wer schützt die Demokratie vor den Rechten, wenn die Polizei in extremistische Strukturen verstrickt ist, wie massenhaft Chatverläufe und Hitlergrüße zeigen? Und wer kann Migranten Militanz verdenken, nach dem NSU und dem anschließend unfassbar schlechten Umgang mit Akten und Menschen? Und gibt es nicht viel zuviel strukturelle und indirekte Gewalt, über die nicht so aufgeregt diskutiert wird?

Das klügste zum Thema habe ich von einem alten Stuttgarter Linken gehört. Er hat die Radikalisierung der RAF erlebt und sein ganzes Leben in linken Diskursen verbracht. "Verteidigung ja", sagt er. "Aber niemals Angriff." Weil Gewalt gegen Menschen immense Schäden hinterlässt. Bei den Opfern, die nicht mehr richtig sehen und denken können. In der eigenen Szene, weil Gewalt das Potenzial hat, Bündnisse zu zerstören, die es so dringend braucht.

Am Nachmittag des letzten Verhandlungstags am vergangenen Mittwoch legen sich alle nochmal ins Zeug. Die Staatsanwältin, Mandic in seinem an allen Enden viel zu kurzen Anzug, Reinhard Löffler, die Anwälte Baier und Psaltiras, die seit April für ihre Mandanten kämpfen. Und dann fragt der Richter, ob die Angeklagten das letzte Wort haben wollen. Diyar A. ist lieber still hinter seiner Scheibe, aber Joel P. möchte gerne. Es ist das erste Mal, dass man seine Stimme hört. Minutenlang liest er ein sozialistisches Manifest vor. Über den Klassenkampf, über Nazis, "die immer mit Widerstand rechnen müssen, wenn sie auf die Straße treten", über den faschistischen Staat, der Antifaschisten verfolgt und zu politischen Gefangenen macht. Ein Martyrium zu einem Zeitpunkt, der nicht schlechter sein könnte. "Hoch die internationale Solidarität", sagt er abschließend. "Soweit also Ihr letztes Wort", sagt Richter Steinbach. Und die Schwestern von Joel fangen bitterlich an zu weinen.

Das Urteil wird am 13. Oktober verkündet.


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8 Kommentare verfügbar

  • Tom
    am 08.10.2021
    Antworten
    Wie hier schon richtig geschrieben wurde - „die Antifa“ gibt es nicht. Antifaschismus ist eine Haltung die für jeden Bürger, der im Geschichtsunterricht aufgepasst und die Werte unserer Gesellschaft verstanden hat, selbstverständlich sein sollte. Organisierten antifaschistinnen & antifaschisten ist…
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