Anwendung fanden in Stuttgart zudem Strategien der "Gewaltfreien Aktion" aus der Bürgerrechtsbewegung. Der dem ZA verbundene IB-Vordenker Martin Sellner geht davon aus, dass man öffentliche Sympathien gewinnt, wenn man den Gegner – also militante Antifa-Gruppen – zu Gewalttaten verleite und diese so ungewollt zum Werkzeug der Rechten mache. Gewaltakte der militanten Antifa wirkten spaltend in der antifaschistischen Bewegung und solidarisierend in der Rechten, schreibt Sellner in Kubitscheks neurechtem Magazin "Sezession".
Dass diese Rechnung aufging, zeigt sich an der gruppenübergreifenden Kampagne für den verprügelten Rechts-Betriebsrat Andreas Ziegler. Initiiert wurde sie von Oliver Hilburger, einem ehemaligen Mitglied der Rechtsrock-Band Noie Werte, mit deren Musik die Rechtsterroristen des NSU ein Bekennervideo unterlegten. Die Kampagne brachte nun von der AfD über Republikaner, 3. Weg, NPD und Kameradschaften die ganze rechte Szene zusammen.
Gegen die Verführung zur Gewalt
Mit der Beteiligung rechter Akteure an den Hygiene-Demos in Stuttgart eskalierte die Gewalt. So wurden am 16. Mai drei Lkw angezündet, die die Veranstaltungstechnik für die Großdemo auf dem Wasen transportierten, und Teilnehmer angegangen – am gravierendsten war der Angriff auf Ziegler.
In den rechten Medien wird die Darstellung "einiger Antifas" auf der linken Plattform Indymedia, auf der jeder anonym Beiträge publizieren kann, als Bekennerschreiben zitiert. Auch wenn sie in den Einzelheiten erheblich von den Darstellungen der Beteiligten vom ZA abweicht, bekunden die "Antifas" unverblümt, dass die drei Rechten "angegriffen" wurden, als diese zur Hygiene-Demo am 16. Mai unterwegs waren. Ziegler sollte zwar nicht umgebracht, aber doch verletzt werden; das Risiko einer Tötung sei eingegangen worden. Die Kopfverletzung habe "er sich" zugezogen, nachdem er sich "mit zwei Schlagringen bewaffnete". "Das öffentliche Auftreten der Faschisten" solle unterbunden werden, sie müssten mit "Schmerzen, Stress und Sachschaden rechnen und dadurch möglichst isoliert, gehemmt, desorganisiert und abgeschreckt werden".
Dass "politische Gewalt in dieser Form aktuell auch für Teile der Bevölkerung, die wir erreichen und einbeziehen wollen als unvermeidlicher Teil des politischen Kampfes gegen die Faschisten verständlich" anerkannt wird, wie die "Antifas" schreiben, ist allerdings sehr zu bezweifeln. Die "Angst vor zunehmender Feindlichkeit zwischen Menschen mit unterschiedlichen Meinungen" ebenso wie die Angst vor Gewalt und Terror sind, wie die jüngste Shell-Studie belegt, gerade bei jungen Menschen, auch aus dem linken Spektrum, besonders hoch.
Der linke Philosoph Michael Brie warnt vor der "Verführung zur Gewalt": "Linke Politik braucht den Widerstand und braucht Militanz. Aber gerade deshalb müssen wir uns gegen die Verführung zur Gewalt wehren, müssen über die Folgen von Gewalt von links aufklären, müssen zeigen, dass es einer der sichersten Wege ist, jede wirkliche Veränderung, auch jede wirkliche Energiewende zu verhindern, in ihrem Namen zu Gewalt, zum Terror zu greifen."
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Ingrid Bohsung
am 15.06.2020