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Züblin-Parkhaus Stuttgart

Das Monster zähmen

Züblin-Parkhaus Stuttgart: Das Monster zähmen
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 Fotos: Jens Volle 

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Das Züblin-Parkhaus in Stuttgarts Mitte ist hässlich wie die Nacht. Was aber tun damit? Die Alternativen heißen abreißen – und damit auch den drumherum entstandenen, vielfältig genutzten öffentlichen Raum planieren. Oder im Bestand sanieren – und damit vielleicht ein Leuchtturmprojekt schaffen.

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Es geht um die ältesten Teile von Stuttgart, um ein neugebautes Quartier mit bezahlbaren Wohnungen, um öffentlichen Raum und Muße für Menschen mit kleinem Budget, um den Plausch unter alteingesessen Nachbar:innen oder lachende Kinder beim Vergnügen auf der Schaukel. Es geht aber auch noch um etwas ganz anderes: Das hässliche und in die Jahre gekommene Züblin-Parkhaus könnte statt abgerissen im Bestand saniert werden. Und ein Leuchtturm-Projekt der Internationalen Bauausstellung 2027 (IBA) werden in des Talkessels neuer Mitte. Wir müssen nämlich, wie die Verantwortlichen der Internationalen Bau-Ausstellung feststellen, "in Zeiten des Klimawandels mit Bestandsressourcen sehr viel sorgfältiger umgehen als bisher".

Noch im Herbst werden im Gemeinde- und im Bezirksbeirat Weichen gestellt – Abriss oder Bestandssanierung. Immerhin eint beide Seiten, dass sie das Parkhaus als massiven Eingriff in die Leonhardvorstadt in der heutigen Form auf keinen Fall erhalten wollen.

Alle mitteleuropäischen Großstädte haben malerische Ecken aus den Zeiten von Schiller, Goethe oder Bach, selbst die im Zweiten Weltkrieg schwerst zerstörten wie Dresden oder Pforzheim. Ganz allein Stuttgart blieb es vorbehalten, mit seinen wenigen erhalten gebliebenen historischen Vierteln brutal umzugehen. Zuerst bekam gerade im Zentrum die Idee der autogerechten Stadt oberste Priorität. Dann durfte sich auch noch das Rotlicht-Milieu dort ausbreiten, wo früher Schlosser und Tischler handwerkten, wo im Club Voltaire sich Linke in berechtigter Hoffnung auf eine bessere Welt die Köpfe heiß diskutierten. Die Leonhardsvorstadt, die die IBA sehr berechtigterweise wieder zurückholen will ins kollektive Gedächtnis, entwickelte sich auseinander: das Bohnen- auf der einen und das Leonhardsviertel auf der anderen Seite. Die Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Mitte, Veronika Kienzle (Grüne) nennt das Züblin-Areal ein "städtebauliches Pflaster" und hofft mit dem Bezirksberat auf die Neubebauung.

Eines der zentralen Argumente dafür ist, vorgegeben von der Raumhöhe und der Schräge im Parkhaus, der Raumbedarf. Zwischendecken müssten raus, das Gebäude insgesamt gedehnt werden, die Schaukel, Bäume und Bänke müssten weichen, ebenso der Bolzplatz, der nach jahrelangem Kampf auf dem Gelände einer früheren Tankstelle entstand. Fragen über Fragen stellen sich für die Fans des Kulturkiosks oder für die, die schon den Ausflug aus dem nahen Sozialhotel auf eine der Bänke oder der Mauern als Entspannung empfinden.

Weniger kompliziert wäre die Abwägung, hätten IBA-Chef Andreas Hofer und sein Team nicht ebenfalls beachtenswerte Argumente aus ihrer Seite, die verpackt sind in die vielversprechende Formulierung von "der Zähmung des Monsters". Die Lebensenergiebilanz von Gebäuden betrachtet, dürften nicht nur nach Meinung der in vielen Fragen faktensicheren Fridays-for-Future-Kids überhaupt keine neuen mehr gebaut werden. "Wir wissen, dass Abbrüche und Neubauten schwere Eingriffe sind, die Orte über Jahre unwirtlich machen", heißt es in der IBA-Stellungnahme zum heiklen Thema. Mit der Botschaft "Das Bauwerk Parkhaus kann mehr" würde ein "leuchtendes Zeichen" gesetzt, weit über die Baden-Württembergs hinaus und auf diese Weise ganz im Sinne einer Internationalen Bauausstellung.

Wahr ist aber ebenfalls, dass Planer:innen in der Vergangenheit zu oft zu hoch und damit daneben gegriffen haben: vom Schwabenzentrum auf dem gegenüberliegenden B14-Ufer übers Zeppelin-Carré bis zum gigantomanischen Europaviertel und Stuttgart 21. Kleiner wäre nicht nur feiner und näher an den längst verlorenen Strukturen der Stadt, sondern auch eine Rückbesinnung der besonderen Art. Denn während jenseits des Charlottenplatzes über Jahrhunderte der Adel daheim war in seinen Schlössern, lebten in der Leonhardsvorstadt viele einfache Leut'. Ein Anfang ist ohnehin längst gemacht: mit dem früheren Armenhaus an der Richtstraße hat die Stadt eines der ältesten Gebäude bereits zurückgekauft. Jetzt soll ein Schmuckstück daraus werden, dem nach und nach andere folgen könnten, das ganze Reeperbähnle runter bis zum Nachtwächterbrunnen und darüber hinaus.


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