Manchmal scheint es, als habe sich Torschlusspanik breit gemacht. Schnell noch abreißen, bevor sich diejenigen durchsetzen, die die dafür höhere Hürden fordern – und solange man noch davon profitiert, dass Förderpolitik noch immer den Bestand gegenüber dem Neubau benachteiligt und im Neubau das gefördert wird, was ohnehin Stand der Technik ist. Zukünftig solle jeder Abriss genehmigt werden müssen, fordern etwa die Architects for Future. Denn: "Abriss ist bis dato in den meisten Fällen genehmigungsfrei. Es findet keine Prüfung statt, ob wertvolle – sanierungsfähige – Bausubstanz abgerissen wird. Unter Betrachtung des Energieaufwands und der Emissionen über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes (Herstellung, Betrieb, Rückbau) sind Sanierungen im Vergleich zu Abriss und Neubau fast ausnahmslos zu bevorzugen."
Stattdessen sind wir fast täglich mit Meldungen konfrontiert, die den diskutierten, drohenden oder tatsächlichen Abriss von wertvollen Bauten zum Inhalt haben. Das Studentenheim an der Billwiese in Hamburg, Baujahr 1965, unter Denkmalschutz, von Heinz Graaf und Peter P. Schweger. Die Stadthalle Braunschweig, 1965, unter Denkmalschutz, von Heido Stumpf und Peter Voigtländer. Stuttgart macht da keine Ausnahme. Sei es die Schmitthennervilla, die trotz Protesten namhafter Persönlichkeiten gerade abgerissen wurde, oder die Gebäude an der denkmalgeschützten Calwerpassage von Kammerer und Belz, 1976, die einem mit Grün garnierten Neubau weichen musste.
Ein Umdenken ist nicht in Sicht: Kürzlich wurde der Abriss der denkmalgeschützten Universitätsbibliothek von 1961 (Architekt Hans Volkart) ins Spiel gebracht. Und bevor Ideen auf dem Tisch liegen, die zumindest zeigen könnten, dass das Züblinparkhaus nicht abgerissen werden muss und umgenutzt werden könnte, wie man das in Hamburg anstrebt, legt sich die grüne Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle fest und unterstützt den Abriss. Zwar gibt es auch gelegentliche Erfolgsmeldungen, etwa der verhinderte Abriss der ehemaligen Gestapozentrale Hotel Silber. Aber es ist grotesk, dass selbst dies nur das Verdienst einer Reihe von Menschen war, die viel Energie darauf verwenden mussten. Ohne dafür honoriert zu werden. Ehrenamtlich.
Kreislaufwirtschaft heißt: Stehen lassen
Und dabei ist noch nicht darüber gesprochen, was sonst so abgerissen wird: jenseits von Denkmalschutz, jenseits des Verteidigens von Raum für Nutzungen, die nicht die maximalen Gewinne und Renditen versprechen. In den Jahren 2015 bis 2019 wurden, so ermittelten es die Architects for Future, "im Jahr durchschnittlich rund 1,9 Mio. Quadratmeter Wohnfläche und 7,5 Mio. Quadratmeter Nutzfläche abgerissen – ohne Prüfung, ob das Vorhandene als Gebäude insgesamt oder zumindest einzelne seiner Bauteile weiter genutzt werden können. Vorhandene Potenziale für ein Weiterbauen und Weiternutzen werden nicht ausgeschöpft."
Es mag Hoffnung geben, dass inzwischen die ersten Neubauten unter der Flagge des kreislauffähigen Bauens segeln. Allerdings sind sie bestenfalls ein kleiner Teil einer möglichen Lösung, weil sie die Frage unberücksichtigt lassen, wie mit dem Bestand umzugehen ist: 85 Prozent der Gebäude von heute werden 2050 noch stehen. Der Glanz neuer kreislauffähiger Bauten stärkt den Glauben, es könnte genügen, irgendwann anfangen, anders zu bauen, aber neu – in diesem Fall eben zur Abwechslung kreislauffähig.
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Wolfgang Jaworek
am 25.03.2022