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Bundestagswahl und Bodenpolitik

Spekulation frisst Boden

Bundestagswahl und Bodenpolitik: Spekulation frisst Boden
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Täglich werden über 50 Hektar Land in Deutschland neu in Anspruch genommen. Will die Politik das Nahziel 30 Hektar und das Fernziel Netto Null nicht aus den Augen verlieren, muss sie jetzt handeln.

Es ist schon erstaunlich: Unter den 38 Fragen im Wahl-O-Mat gibt es eine zum Thema Wohnungsmarkt und keine zur Bodenpolitik. Die Entscheidungshilfe für diejenigen, die noch nicht wissen, wem sie bei der Bundestagswahl ihre Stimme geben, widmet hingegen je drei Fragen den Themenfeldern Mobilität und Arbeitsmarkt. Dafür mag es nachvollziehbare Gründe geben – aufschlussreich ist es dennoch: Die für sozialen Frieden, Chancengleichheit wie für den Umgang mit dem Klimawandel wesentlichen Themen bleiben am Rande der Aufmerksamkeit. Das ist umso erstaunlicher, als sie direkt miteinander zusammenhängen.

Für den Neubau von Wohnungen, in den Augen vieler das Allheilmittel gegen die Schieflage des Wohnungsmarkts, muss Boden versiegelt werden; werden Wohnungen in der Nähe des Arbeitsorts unbezahlbar, werden die Pendlerstrecken länger. Und es geht ja noch weiter: Steigen die Mieten und Angebotspreise für Wohnungen, wird der Boden eben auch dort wertvoller, wo nicht neu gebaut wird. Mit solchen Wertsteigerungen – die in vielen Fällen ohne das Zutun der EigentümerInnen als "leistungslose Gewinne" zustande kommen – kann spekuliert werden, sie können gezielt durch Verkäufe und Wiederverkäufe angeheizt werden und erschweren es in der Folge auch Kommunen, Genossenschaften oder kleinen privaten Akteuren wie Einzelpersonen oder Baugemeinschaften, Boden zu erwerben. In Stuttgart sind die Preise für Eigentumswohnungen seit 2016 um 30 Prozent gestiegen.

Die Wende auf dem Finanzmarkt, die sich nach 2007 vollzogen hat, führt aber auch dazu, dass mit den Renditen auf dem Wohnungs- und Bodenmarkt nicht nur Aktionäre beglückt werden. Auch Versicherer und Pensionskassen zählen zur stärksten Anlegergruppe von Immobilienfonds. Als Versicherte und Kunden von privaten Rentenfonds sind wir alle also auch Beteiligte – und finanzieren mit steigenden Bodenpreisen und Mieterhöhungen unsere Renten mit.

Gleichzeitig ist der Boden als nicht vermehrbare Ressource für den Umgang mit dem Klimawandel eine, wenn nicht die essenzielle Größe: Wir brauchen den Boden, um Wärme zu speichern und so die Luft zu kühlen – sowohl im lokalen Maßstab etwa des städtischen Quartiers als auch im großen globalen Maßstab. Versiegelte Flächen sind deswegen Gift für das Klima. Wir brauchen den Boden zudem für CO2-Senken, Gebiete, in denen Kohlendioxid gespeichert werden kann. Diese Flächen stehen wiederum der Landwirtschaft nicht zur Verfügung und erhöhen den Druck auf diese – weshalb schon eine ganze Zeit lang auch mit landwirtschaftlichen Flächen spekuliert wird, die als Rendite- und Anlageobjekte dienen.

Blick zurück nach vorn

Die Sache ist also komplex. Zu komplex, als dass sie mit der einfachen Ärmelhochkrempel-Haltung und der Maxime "Bauen, bauen, bauen" tatsächlich bewältigt werden kann. Und womöglich auch zu komplex, um sie auf eine Frage im Wahl-O-Mat herunterzubrechen. Die Fragen zur Boden- und Wohnungspolitik sind deswegen aber nicht weniger wichtig – und umso mehr gilt es, genauer darauf zu schauen, was die Wahl für die Zukunft bedeuten würde.

Dabei ist ein Blick in die nähere Vergangenheit auch schon ganz aufschlussreich. Denn so wie es im Moment aussieht, können die Menschen zumindest von den derzeit amtierenden PolitikerInnen kaum erwarten, dass sie sich um die kümmern, die von den Entwicklungen besonders hart getroffen werden. Ja, nicht einmal, dass diese PolitikerInnen ernsthafte Schritte unternehmen werden, die Boden- und Wohnungsmarktpolitik grundsätzlich zu ändern.

So wäre Transparenz eine wichtige Voraussetzung, um Spekulation einzudämmen oder Geldwäsche aufzudecken. Bezüglich der Eigentumsverhältnisse ist der Boden- und Immobilienmarkt allerdings wenig durchsichtig. Auf EU-Ebene hat Deutschland jahrelang mit dafür gesorgt. Und auch auf nationaler Ebene sieht es nicht besser aus. Die Einsichtnahme ins Grundbuch ist mit hohen Hürden verbunden. Und sie legt insbesondere dann, wenn es sich um Kapitalgesellschaften handelt, deren Beteiligungs- und damit die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse nicht offen. Die Grundbuchämter sind auf Bundeslandebene nicht miteinander vernetzt – was aber nötig wäre, um professionelle Geldwäsche aufzudecken.

Ende August konstatierte die Rechercheplattform Correctiv daher: "Der deutsche Immobilienmarkt gilt als Paradies für Geldwäsche. Über verschachtelte Firmenkonstrukte lassen sich illegale Finanzströme verschleiern, die in deutsche Immobilien fließen. Zudem können Gewinne von Wohnungskonzernen mit wenigen Steuertricks klein gehalten werden, sodass nur wenig beim Fiskus ankommt. Das ist möglich, weil die tatsächlichen Eigentümer einer Immobilie in Deutschland leicht anonym bleiben können."

Klientelpolitik in viele Richtungen

Ein gewaltiges Steuerloch sind so genannte Share Deals. Dabei werden Immobilien nicht direkt verkauft, sondern zuerst in eine Gesellschaft überführt, deren Anteile (Shares) dann verkauft werden. Bis zum 1. Juli 2021 galt: Erwarb ein Käufer weniger als 95 Prozent dieser Gesellschaft, dann musste er keine Grunderwerbsteuer entrichten. Nach fünf Jahren konnte der Käufer auch die restlichen Anteile der Gesellschaft kaufen, ohne dass dann die Grunderwerbsteuer bezahlt werden musste. Das ist wahrlich kein Steuersparmodell für die private Altersvorsorge, sondern eines für die großen Unternehmen, die damit in den letzten Jahren den Staat um einige Milliarden Euro Steuereinnahmen gebracht haben.

Die Änderungen, die nun verabredet wurden und ab dem 1. Juli gelten, sind zu marginal, als dass man sie als Verbesserungen bezeichnen dürfte: Anstatt bei 95 Prozent liegt die Grenze nun bei 90 Prozent und statt fünf Jahre muss nun zehn Jahre gewartet werden, bis die restlichen Anteile ohne Grunderwerbsteuer aufgekauft werden dürfen. Immerhin: Der vollständige Verkauf der Anteile zur gleichen Zeit auch an zwei oder mehr Käufer soll zukünftig nicht mehr grunderwerbsteuerfrei sein dürfen. Die CDU/CSU habe sich dabei durchgesetzt, heißt es; die SPD wollte die Grenze für die Steuerfreiheit bei 75 Prozent setzen – aber selbst das kann man kaum vermitteln: Wieso gibt es die Befreiung von der Grunderwerbsteuer überhaupt? Welche Idee von Gerechtigkeit steht dahinter? Wieso müssen die Steuer diejenigen bezahlen, die sich ein Grundstück, ein Haus, eine Wohnung kaufen, aber die großen Player auf dem Markt nicht? Nachvollziehbar wäre: Wer 50, 60, 70 Prozent Firmenanteile kauft, zahlt entsprechend auch 50, 60, 70 Prozent der Grunderwerbsteuer. Entschieden wurde freilich anders. Merkwürdiger Zufall: Kurze Zeit nach der Einigung über die Share Deals berichtete der "Spiegel”, dass fast 80 Prozent der Parteispenden an die CDU im Jahr 2020 aus der Bau- und Immobilienbranche kamen. Möge jeder seine eigenen Schlüsse daraus ziehen.

Nicht der einzige Fall übrigens, wo noch rasch klimaschädliche Klientelpolitik betrieben wurde. Im Mai hat der Deutsche Bundestag noch entschieden, den mehr als umstrittenen §13b des Baugesetzbuchs bis 2022 zu verlängern. Damit wird der Bau von Wohnungen – meist in Ein- und Zweifamilienhausgebieten – am Ortsrand auf kleinen Flächen (bis zu einem Hektar) erheblich erleichtert, was auch heißt, dass der nach wie vor viel zu hohe Flächenverbrauch in Deutschland weiter vorangetrieben wird. Eigentlich wollte die Bundesregierung 2020 bei 30 Hektar pro Tag landen, hat dieses Ziel mit 56 Hektar allerdings deutlich verfehlt.

Dass der Wunsch der Immobilienlobby, den 13b gleich bis 2032 zu verlängern, nicht erfüllt wurde, ist kaum ein Grund zu jubeln. Denn auch so heizt man nun den Flächenverbrauch erst einmal weiter an, ohne die Wohnungsnot dort zu mindern, wo sie am meisten drückt: in den Metropolen. Das Umweltbundesamt hatte zuvor schon festgestellt, dass der 13b vor allem in kleineren und ländlichen Gemeinden genutzt wird.

Enttäuscht sind aber nicht nur Naturschutzverbände, sondern beispielsweise auch die Architektenkammer Baden-Württemberg. Mit dem 13b wird nicht nur der Flächenverbrauch vor Ort weiter vorangetrieben, auch die Verkehrsflächen werden weiter wachsen: Von den 58 Hektar täglichem Landverbrauch 2018 entfielen 16 auf  Verkehrsflächen. Der durchschnittliche Arbeitsweg ist seit 2000 um über zwei Kilometer gestiegen, er liegt nun bei fast 17 Kilometern.

Und was kommt jetzt?

Eine Richtungsentscheidung in der Bodenpolitik erhofft Christian Kühn von Bündnis 90/Die Grünen. Sie wäre tatsächlich dringend nötig. Seine Partei will sich dafür einsetzen, das 30-Hektar-Ziel deutlich vor 2030 zu erreichen und erwartet, dass 2050 die Netto-Null steht. Das heißt konkret, dass dann keine Siedlungs- und Verkehrsflächen neu in Anspruch genommen werden. Falls doch, sollen sie durch Entsiegelungen kompensiert werden. Unter anderem soll der eben genannte §13b des BauGB über 2022 hinaus nicht weiter verlängert werden. Hier ist man sich mit SPD und Linke prinzipiell einig.

Diesen Parteien ist es auch wichtig, dass die öffentliche Hand keinen Grund und Boden mehr veräußert und ihn zukünftig wieder leichter erwerben kann. Dabei kommt der Erbpacht eine wesentliche Rolle zu, bei der die öffentliche Hand im Besitz des Grundstücks bleibt. Um Spekulation zu verhindern, will die SPD die Zehnjahresfrist für die Steuerfreiheit beim Verkauf nicht selbst genutzter Grundstücke abschaffen und einen Planungswertausgleich einführen, um leistungslose Bodenwertgewinne der Allgemeinheit zukommen zu lassen. Die Linke will die Bodenpreise deckeln und wie die Grünen wieder die Gemeinnützigkeit von Wohnbaugesellschaften einführen. Die war 1990 abgeschafft worden und hatte das Tor zu jener massenhaften Privatisierung öffentlicher Bestände geöffnet, die inzwischen so oft auch von denen beklagt wird, die sie mit zu verantworten haben. Gemeinnützige Träger sollten zukünftig von der Grunderwerbsteuer, Grundsteuer und den Ertragsteuern freigestellt werden. Im Gegenzug darf aber nur eine begrenzte Rendite ausgeschüttet werden, und die entsprechenden Wohnungen und Liegenschaften müssen dauerhaft sozial und günstig vermietet werden.

Die Union bleibt in vielen Fragen zur Bodenpolitik ausweichend, betont allerdings oft, wie wichtig es sei, das Eigentum zu schützen und Anreize für Private zu setzen, um auf dem Wohnungsmarkt aktiv sein zu können. Beim Erwerb von Einzeleigentum kann dem ja durchaus etwas abgewonnen werden. Auch vermietet können Immobilien eine wichtige, wenn auch keinesfalls risikofreie Komponente der Altersvorsorge sein. Auch wird der Wohnungsmarkt in Deutschland zu großen Teilen immer noch von kleinen Unternehmen, wenn nicht von Privateigentümern mitgeprägt. Dass Eigenheime freilich, insbesondere als freistehende Einfamilienhäuser, kein Beitrag zum Klimaschutz sind, zeigt das Dilemma, in das sich die Partei damit begibt. Die Idee der Anreize wird bisweilen recht grotesk, etwa wenn sie geschaffen werden sollen, damit Eigentümer die Gewinne, die sie beim Verkauf von landwirtschaftlichen Flächen machen, das in Bauland umgewidmet wurde, leichter in Mietwohnungsbau investieren können sollen. Sie würden damit zu doppelten Profiteuren.

Die FDP vertritt ähnliche Positionen. Deutlich positioniert sie sich auch bei der Frage der Grundsteuer, die sie als ein Flächenmodell vertreten will. Hier wird Boden allein nach der Fläche besteuert, unabhängig davon, wo sie sich befindet und was sie wert ist. Man muss nicht lange darüber nachdenken, wem das hilft. Interessanter beim effektiveren Umgang mit dem Boden ist hingegen der Vorschlag, ein Baulücken- und Potenzialflächenkataster einzuführen. Tatsächlich zeigt die Praxis insbesondere bei kleineren Gemeinden, dass das Wissen über verfügbare Grundstücke im bereits erschlossenen Bereich oft nur unzureichend vorhanden ist und daher umso schneller die Entscheidung fällt, ein Baugebiet neu auszuweisen.

Mit diesem schlaglichtartigen Ausblick sollte deutlich geworden sein, wie grundsätzlich unterschiedlich die Parteien mit den Fragen der Bodenpolitik und des Wohnungs- und Immobilienmarkts umgehen wollen. Ebenso, welche Vorstellung von der Rolle der öffentlichen Hand und dem Verhältnis von Gemeinwohl zu Individualinteressen sich dahinter verbirgt. Für die Frage, wie man mit den komplexen Herausforderungen umgehen will, die sich nicht mit wenigen Entscheidungen werden bewältigen lassen, ist das letztlich entscheidend.


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2 Kommentare verfügbar

  • Stefanie
    am 20.09.2021
    Antworten
    Vor dem Hintergrund der zurückliegenden Bürgermeisterwahl wurde die Frage nach weiterer Flächenversiegelung im städtischen Gebiet relativ differenziert erörtert. Mich hat besonders die Idee der Nachverdichtung überzeugt. Selbst wenn eine solche Nachverdichtung maßvoll und in bereits dichtbesiedelten…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 5 Stunden
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