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Das Ländle als Blaupause?

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Baden-Württemberg geht bei der Grundsteuerreform einen eigenen Weg, der Mieter entlastet und der Spekulation mit ungenutzten Immobilien entgegenwirkt. Dirk Löhr, Wirtschaftsprofessor in Trier, hat die Landesregierung dabei beraten. Ein Gespräch über Bodenwert.

Herr Löhr, Sie haben am baden-württembergischen Entwurf zur Neuregelung der Grundsteuer beratend mitgewirkt. Wie kam es dazu?

Ich setze mich seit vielen Jahren dafür ein, Arbeit, produktive Investitionen und Verbrauch steuerlich zu entlasten und stattdessen die Nutzung von Land stärker zu besteuern. Da Kapitalien vermehrt in diesem Bereich investiert wurden, sind hier in den letzten Jahren gewaltige Vermögen entstanden. Die Landesregierung Baden-Württemberg möchte tatsächlich in einem eigenen Landesgrundsteuergesetz einen ersten Schritt in diese Richtung gehen. Ende Januar fand eine Expertenanhörung statt, zu der auch ich eingeladen war.

Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass sich die Länder nun für eigene Regelungen entscheiden können?

Ende letzten Jahres wurde ja das Grundsteuergesetz reformiert und dabei auch das Grundgesetz geändert. Nunmehr ist es den Ländern gestattet, vom neuen "Standardmodell" des Bundes durch eigene Landesgesetze abzuweichen. Die meisten Abweichler tun dies allerdings zugunsten von Modellen, welche die Immobilienlobby in Verzückung versetzen. Baden-Württemberg will hier einen anderen Weg gehen.

Die Notwendigkeit einer Grundsteuerreform kam ja dadurch zustande, dass das Bundesverfassungsgericht das bisherige Verfahren gekippt hat. Ist das Vorgehen, das der Bund beschlossen hat, denn nun verfassungskonform?

Schon in der öffentlichen Anhörung im Finanzausschuss des Bundestags 2019 kritisierte ich, dass auch das neue Bundesmodell nicht verfassungsfest ist. Die bekannte Rechtswissenschaftlerin Johanna Hey tutete ins selbe Horn, und im Nachgang schlossen sich auch die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages dieser Kritik an. Zur Berechnung der Steuerbasis für Wohngrundstücke sollen künftig gemeindetypische Durchschnittsmieten herangezogen werden. Das heißt, dass für die steuerliche Bewertung einer Immobilie in der besten Lage derselbe Mietansatz verwendet wird wie für eine Immobilie in einem sozialen Brennpunkt. Gute Lagen zahlen zu wenig, schlechte Lagen zu viel. Das entspricht nicht dem allgemeinen Gleichheitssatz, wonach wirtschaftlich Gleiches gleich und wirtschaftlich Ungleiches ungleich zu behandeln ist.

Sie haben das Hauptwerk des Ökonomen Henry George, "Fortschritt und Armut", neu herausgegeben. Was war Georges Ansatz?

Größte Armut in der reichsten Stadt

In den 1870er-Jahren stellte der Ökonom Henry George fest, dass in der reichsten Stadt des Landes, New York, auch die Armut am größten war. Den Grund entdeckte er in den hohen Bodenpreisen. Er schrieb darüber sein Buch "Fortschritt und Armut", das alle Bodenreformer gelesen haben und das heute so aktuell ist wie nie. Dirk Löhr hat es 2017 neu herausgegeben.  (red)

Wenn der Boden höher besteuert wird, kann man Arbeit, Investitionen und Verbrauch steuerlich entlasten. Das stimuliert die Wirtschaft und schafft neben Wohnraum auch Arbeitsplätze. Henry George ging so weit, alle anderen Steuern abschaffen zu wollen. Das klingt zunächst verrückt, aber Singapur deckt beispielsweise seine öffentlichen Finanzen maßgeblich aus Bodenerträgen; es konnte damit seine ehemalige Kolonialmacht Großbritannien innerhalb weniger Jahrzehnte wirtschaftlich überholen.

Ist es das, was die von Ihnen mitbegründete Initiative "Grundsteuer: Zeitgemäß" vorschlägt?

Unsere Initiative will nur den allerersten Schritt: die Umstellung der Grundsteuer auf eine Bodenwertsteuer, ohne dass sich das Grundsteueraufkommen insgesamt verändert. Die Grundsteuer ist immerhin die zweitwichtigste Kommunalsteuer, obwohl ihr Potenzial noch lange nicht ausgereizt ist.

Inwieweit entspricht das, was die baden-württembergische Landesregierung nun vorhat, Ihren Vorstellungen?

Hinsichtlich der Grundsteuer B, also Siedlungsflächen, entspricht das Modell der Landesregierung in weiten Teilen unseren Vorstellungen. Es wird nur der Boden nach seinem Wert besteuert, nicht das darauf stehende Gebäude. Das Landesgrundsteuergesetz wird dennoch relativ kompliziert geraten: Gewerbe soll höher besteuert werden als Wohnen. Die Besteuerung von Mischnutzungen ist zu regeln. Komplex wird es aber vor allem wegen der Besteuerung der land- und forstwirtschaftlichen Flächen, also der Grundsteuer A. Mit ca. 2,5 Prozent der Grundsteuereinnahmen ist das in Baden-Württemberg eigentlich eine Bagatellsteuer. Dass nun das sehr komplizierte Bundesmodell übernommen werden soll, ist dennoch verständlich. An der Grundsteuer A hängt nämlich ein ganzer Rattenschwanz auch außersteuerlicher Regelungen, wie zum Beispiel die Beiträge zur landwirtschaftlichen Krankenversicherung.

Was machen andere Bundesländer?

Bayern möchte auch nicht das Bundesmodell übernehmen. Es möchte nur auf Basis der Boden- und Gebäudefläche besteuern, ohne Rücksicht auf Lage und Wert – zur Freude der Immobilienwirtschaft. Bei gleicher Fläche zahlt man für eine Immobilie in einer Spitzenlage dasselbe wie für eine Immobilie in einer Randlage. Niedersachsen, Hamburg und Hessen möchten in dieses Flächenmodell wenigstens noch eine grobe Lagegewichtung einbringen. Allerdings lastet auch hier der größte Teil der Steuer auf dem Gebäude und nicht auf dem Boden. Es steht dahin, ob solche Modelle, die Wert und Fläche mischen, überhaupt verfassungsrechtlich zulässig sind. Im Übrigen: Jeder, der dies schon einmal gemacht hat, weiß, dass die Flächenermittlung bei Gebäuden keineswegs einfach ist.

Was sind die wesentlichen Vorzüge einer reinen Bodenwertsteuer?

Ein unter- oder ungenutztes Grundstück wird im Bodenwertmodell genauso besteuert wie ein optimal genutztes. Das unterstützt die ökologische Zielsetzung kompakten Siedelns und des Ziels der Innen- vor Außenentwicklung. Bei Mehrfamilienhäusern verteilt sich der Bodenwert auf eine Mehrzahl von Wohnungen. Sie werden also durch die Bodenwertsteuer entlastet. Auch begünstigt die Bodenwertsteuer die Schaffung von Wohnraum. Schließlich ist das Bodenwertmodell einfach. Die Bodenrichtwerte stehen flächendeckend zur Verfügung. Die Grundstücksgröße ist bekannt. Beides miteinander multipliziert, Steuersatz drauf, fertig. Das kann automatisch geschehen, durch vorausgefüllte Steuererklärungen. Teure, komplizierte und streitanfällige Gebäudeausmessungen und Gebäudebewertungen können entfallen.

Eigentlich zahlen die Grundsteuer aber nicht die Hausbesitzer, sondern die Mieter.

Unter Wirtschaftswissenschaftlern ist allgemein anerkannt, dass die Bodenwertsteuer schwieriger auf die Mieter umzulegen ist als jede andere Grundsteuervariante. Zudem argumentieren namhafte Juristen, dass sie auch rechtlich nicht mehr auf die Mieter überwälzt werden dürfe.

Wenn es so viel einfacher ist, warum hat dann die Bundesregierung einen anderen Weg gewählt?

Einerseits spielte bei der politischen Linken die Idee der Grundsteuer als einer Art Sondervermögensteuer eine große Rolle. Die Vermögensteuer wurde vor allem deswegen ausgesetzt, weil Bewertungsprobleme bei Immobilien zu sehr ungleichen Belastungen verschiedener Vermögenswerte führten. Viele hofften auch, über eine nunmehr realitätsnähere Grundsteuerbewertung der Gebäudeanteile die Vermögensteuer wiederzubeleben. Tatsächlich sind Immobilien hierzulande der wichtigste Vermögenswert. Die Bodenwertsteuer belastet aber die Vermögenderen im Verhältnis zum Gesamtwert der Immobilie deutlich höher als eine Steuer, die auch das Gebäude mit einbezieht. Außerdem setzt sie am Bodenwert an: Dieser wurde nämlich nicht von den Immobilieneigentümern geschaffen. Vielmehr entsteht er auf Grundlage öffentlicher Vorleistungen, vor allem in die Infrastruktur. Auf dieser Grundlage können Städte überhaupt erst entstehen und funktionieren. Diese Argumente haben aber nicht in das ideologische Raster gepasst.

Und die bürgerlichen Parteien?

Konservative wie Liberale befürchteten, dass mit der Grundsteuerreform die Vermögensteuer durch die Hintertür Einzug halten würde. Eine Bodenwertsteuer wollten sie jedoch größtenteils auch nicht, aufgrund des Widerstands der Immobilienwirtschaft. Politisch wurde daher ein Kompromiss verhandelt, der einerseits das Gebäude einbezieht, andererseits aber eine vollkommen verquere Bewertung vorsieht.

Wer wird nun nach dem baden-württembergische Modell höher belastet und in welchem Maß?

Die Gewinner wären eindeutig die Bewohner von Mehrfamilienhäusern, insbesondere in Großstädten. Für Ein- und Zweifamilienhäuser, auch auf dem Land, werden sich allenfalls nur geringe Höherbelastungen ergeben. Der kleine Eigenheimbesitzer hat nichts zu befürchten. Weil Gewerbe erhöht belastet werden soll, wird die Steuerzahllast von Wohnnutzungen weg verschoben. Je nach Lage dürften jedoch auch viele Gewerbetreibende vom Bodenwertmodell profitieren. Die großen Verlierer sind eindeutig die Eigentümer nicht genutzter oder untergenutzter Grundstücke – aber das ist auch so gewollt.

Kann eine reine Bodenwertsteuer die Immobilienspekulation stoppen?

Um Immobilienspekulation zu stoppen, muss zunächst der Steuersatz ausreichend hoch sein. Erst dann kann die Bodenwertsteuer überhaupt wirken und den Bodenwert dämpfen. Eine höhere Besteuerung des Bodens wird man den Bürgern aber nur zumuten können, wenn an anderer Stelle die Steuern gesenkt werden. Das Steuersystem ist nicht rational, sondern historisch gewachsen. Da ist noch ein dickes Brett zu bohren.

Bräuchte es nicht auch ein stärkeres Engagement der öffentlichen Hand, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, etwa eine kommunale Bodenvorratspolitik?

Die Bodenwertsteuer ist zwar das Fundament einer guten Bodenpolitik, aber kein Allheilmittel. Die Kommunen müssen versuchen, die Steuerungsfähigkeit über den Bodenmarkt wieder zurückzuerlangen. Dabei spielt die kommunale Bodenvorratspolitik tatsächlich eine Schlüsselrolle. Allerdings müssen die Kommunen finanziell und rechtlich erst einmal in die Lage versetzt werden, Boden in verstärktem Maße zurückzukaufen. Kommunale Haushaltsregelungen, Beschränkungen der kommunalen Vorkaufsrechte et cetera stehen dem heutzutage noch entgegen.

An welchem Punkt ist das Verfahren in Baden-Württemberg? Welche Hürden müssen noch genommen werden?

Baden-Württemberg befindet sich noch in der rechtlichen Prüfung der Höherbelastung von Gewerbe. Dass die Bodenwertsteuer grundsätzlich verfassungskonform ist, wurde schon in der Expertenanhörung Ende Januar bestätigt. Die Bodenwertsteuer ist allerdings innerhalb der Landesregierung nicht unumstritten. Vor allem die CDU, die ja auch als Anwalt der Grundeigentümer auftritt, hat hiermit Probleme. Und die Grundeigentümer-Lobby versucht immer noch medienwirksam, Druck auf die Landesregierung auszuüben, um das Bodenwertmodell zu verhindern. Es steht zu hoffen, dass sich die Landesregierung nicht noch in letzter Minute von ihrem Kurs abbringen lässt. Das "Ländle" könnte sich als Blaupause für andere Bundesländer erweisen, die sich nicht mit dem Grundsteuer-Bundesmodell anfreunden können.


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4 Kommentare verfügbar

  • Gerald Wissler
    am 04.05.2020
    Antworten
    Der Herr Professor gibt zwar viel Richtiges von sich, aber einen wichtigen Faktor übersieht er, zumindest äußert er sich im Interview nicht dazu.
    Damit ist er aber in "guter" Gesellschaft, denn in den meisten Berichten über die Grundsteuerreform wird ein wichtiger Punkt außer acht gelassen. Deshalb…
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