Die Analyse erinnert an die Flugblätter der Umweltbewegung nach der Ölkrise in den 1970er-Jahren. "Der Traum vom ewigen Wachstum ist geplatzt. Reduktion ist keine modische Attitüde, sondern Überlebensnotwendigkeit." Tatsächlich stammt diese Forderung nach radikaler Veränderung vom altehrwürdigen Bund deutscher Architektinnen und Architekten (BDA). 2020 entwickelte der BDA Ansprüche an eine klimagerechte Architektur und appellierte an Politik und die eigene Zunft, der Verantwortung gerecht zu werden. "Wir müssen mehr tun" für ein ökologisches Umsteuern. Die Sicherung der Lebensgrundlagen dürfe nicht dem "freien Spiel der Märkte" überlassen werden.
Tatsächlich ist der Bausektor häufig unterbelichtet, wenn es um die Bewältigung der Klimakrise geht. Dabei ist sein Einfluss gewaltig. Nach Angaben der UN ist der Bau- und Gebäudesektor für 37 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Die Herstellung von Beton, gebrannten Fliesen oder Ziegeln sowie das Bauen mit schweren Baumaschinen und LKW benötigen enorme Mengen an Energie. Werden die aufwändig produzierten Baustoffe nicht mehr benötigt, landen sie in aller Regel auf dem Müll. Bauschutt aus der Errichtung und insbesondere dem Abbruch von Gebäuden und Straßen ist für 55 Prozent aller Abfälle in Deutschland verantwortlich. Während eine Person pro Jahr also etwa 250 kg Hausmüll produziert, steht sie rechnerisch für die zehnfache Menge an Baumüll.
Abriss verschwendet Energie
Doch in die Beurteilung der Nachhaltigkeit von Bauprojekten fließt der Großteil dieser Energie und Emissionen nicht ein. Der Energieaufwand für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung der Baumaterialien, die sogenannte graue Energie, wird meist nicht berücksichtigt. Ebenso wenig in die Klimabilanz einbezogen wird die Energie, die in den Bestandsgebäuden selbst steckt. Der Professor für Bauingenieurwesen an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mosbach, Markus Koschlik, fordert daher eine deutliche Umkehr der Bautätigkeit: "Weniger Neubau, mehr Bestandsentwicklungen." In allen Gebäuden stecke so viel graue Energie, "die Energie sollte grundsätzlich nicht durch Abriss verschwendet werden".
Dies ist auch eine Hauptforderung der Umweltverbände und des BDA. Bauen müsse vermehrt ohne Neubau auskommen, heißt es dort. In einer "Kultur des Pflegens und Reparierens" müsse graue Energie zum Maßstab der energetischen Bewertung und Planung werden. "Bei gut gedämmten Neubauten ist die Herstellungsenergie rund viermal so hoch wie der Energieverbrauch in den ersten 50 Nutzungsjahren", sagt Ulrich Steinmeyer, Vorstandsmitglied der "Bauwende". Schon heute ist graue Energie für die Hälfte der CO2-Emissionen eines Neubaus verantwortlich. Mit einem Verzicht auf Abriss und Neubau ließen sich mit energetischen Verbesserungen dagegen selbst bei den schlecht gedämmten Häusern der 1950er-Jahre mehr als die Hälfte der grauen Energie einsparen.
Im Bündnis "Bauwende" haben sich daher mehrere Verbände und Initiativen für ein zukunftsfähiges und klimaschützendes Bauen zusammengeschlossen. Würden weiter aufwändig neue Siedlungen mit Stahl und Zement gebaut, sorgten allein die Bauemissionen dafür, dass das 1,5 Grad-Ziel von Paris schon 2050 verfehlt würde, sagt Steinmeyer.
Nachhaltigkeit ist beim Bauen selten ein Kriterium
In den baden-württembergischen Großstädten sind sich die Verwaltungen zwar mittlerweile bewusst, wie wichtig graue Energie für die Nachhaltigkeit ist. In die Entscheidung über neue Bauaufträge wird sie aber kaum als hartes Kriterium einbezogen. "Bei Bauausschreibungen spielt Nachhaltigkeit in Form von Zuschlagskriterien bisher selten eine Rolle", heißt es aus Mannheim. Eine Ausnahme seien neue Ampelanlagen, bei denen in der Vergabe auch auf den Energieverbrauch geachtet werde. Grundsätzlich habe die Sanierung des Bestandes stets Vorrang vor einem Abriss, sagt die Stadtverwaltung. Allerdings müsse dies jedes Mal im Einzelfall entschieden werden.
3 Kommentare verfügbar
Peter Kurtenacker
am 21.08.2022Wir waren auch gemeinsam bei vielen Demonstrationen der IG BAU. Ich weis aber auch das seine Richtung sich, seit den…