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Auf der Straße

Braun geröstet

Auf der Straße: Braun geröstet
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Es ist schon dunkel in der Stuttgarter Altstadt, als ich mich auf die Suche nach der Vergangenheit mache. Ich gehe durch die Richtstraße, eine düstere Kopfsteinpflasterschleuse, die bis Anfang des 19. Jahrhunderts Scharfrichtergäßle hieß. Hier wohnte einst der Herr, der unliebsame Mitmenschen auf der benachbarten Hinrichtungsstätte, dem heutigen Wilhelmsplatz, einen Kopf kürzer machte. Die Gasse endet vor der Hauptstätter Straße, die das alte Stadtzentrum tranchiert und mit ihrem Namen ebenfalls auf die Enthauptungen hinweist. An dieser Ecke des Rotlichtviertels steht ein mitgenommener Bau, das Alte Armenhaus aus dem 16. Jahrhundert. Am Fenster klebt ein Plakat: Es soll saniert und ein "Geschichts- und Versammlungsort" werden. "Eine künftige gastronomische Nutzung ist ausgeschlossen."

Zuletzt war im Alten Armenhaus das Café Mistral, ein Milieu-Lokal. Bis 1991 hatten hier die Lichter der legendären Sissy-Bar geleuchtet. Dieses Etablissement im einst gut belebten Leonhardsviertel war Treffpunkt honoriger Herrschaften, die zwischen Drinks und Damen ihre Geschäfte abwickelten. Und Konrad Kujaus Stammlokal. Geführt wurde es von den Eltern des heute 56-jährigen Kfz-Meisters F., den ich seit vielen Jahren gut kenne. Als Jugendlicher hat er miterlebt, wie sich Kujau, oft im Gestapo-Look, das Bier in einem für ihn reservierten Krug mit aufgedrucktem SS-Totenkopf bringen ließ. Nazi-Reliquien standen damals im Luden-Milieu nicht unbedingt auf dem Index; am 20. April wurde auch gern mal auf "Adi" angestoßen.

F. erzählt, dass er sich darüber aufgeregt habe, wenn der "Hitler-Tagebücher"-Fälscher Kujau in der Öffentlichkeit hofiert und als lustiges Schlitzohr verharmlost worden sei. In der Sissy-Bar habe er oft mit anhören müssen, wie der Kerl Nazi-Verherrlichungen und rassistische Beleidigungen abgesondert habe. "Conny" habe sich gerühmt, ein Nazi zu sein. Fakt ist: Schon dank seines Militaria-Ladens mit Nazi-Devotonalien in der Schreiberstraße hatte er einschlägige Kontakte in die Fascho-Szene.

"Champagner-Conny" fiel kaum auf

Im Mai 1983 gab es keine Zweifel mehr, dass Adolfs Kladden, die das Hamburger Magazin "Stern" für mehrere Millionen Mark gekauft hatte, von Kujau geschrieben und gefertigt wurden. Jetzt, 40 Jahre später – 23 Jahre nach Kujaus Tod – hat der NDR die in alter deutscher Schreibschrift verfassten "Tagebücher" transkribiert und veröffentlicht. Diese Enthüllung beweist, dass die "Stern"-Manager im Profitwahn unter Einfluss der Droge Hitler bereit waren, Texte zu veröffentlichen, die den Diktator und seine Gräueltaten verniedlichen. Hitler erscheint als schrulliger Typ, eigentlich ein guter Mensch, der seine Partnerin Eva Braun mit seinen Blähungen nervte – und von den Massenmorden an den Juden nichts wusste. Auszug: "23. Mai 1943: Sorgen macht mir unser Judenproblem. Nach den mir vorliegenden neuesten Meldungen will sie keiner haben." Kurzum: ein Akt von Holocaustleugnung.

Die Propaganda des Hamburger Magazins, die Geschichte des "Dritten Reiches" müsse "teilweise neu geschrieben werden", ist heute ein geflügeltes Wort. Und die aktuelle Aufklärung über Kujaus Machwerk umso brisanter, als erst vor einem Jahr der ehemalige "Stern"-Herausgeber Henri Nannen, ein gefeiertes Journalisten-Vorbild, als Lügner und antisemitischer Propaganda-Hetzer der Nazis enttarnt wurde. Der "Henri-Nannen-Preis" für Journalismus wurde vor Kurzem in "Stern-Preis" umbenannt. Der NSDAP-Insider Nannen hatte die Veröffentlichung der "Hitler-Tagebücher" trotz seiner intern geäußerten Skepsis akzeptiert. Als der Bluff nach zwei Ausgaben mit dem "Führer"-Fake aufflog, trat er von "der aktiven Herausgeberschaft" zurück.

Nachdem Kujau 1985 zu vier Jahren Haft verurteilt und wegen seiner angeschlagenen Gesundheit – Kehlkopfkrebs – nach drei Jahren entlassen wurde, habe ich ihn einige Male getroffen. Einen gemachten Mann mit zwei Gesichtern: mal ausgebuffter Plauderer, mal übellauniges Lügenmaul.

Als ich jetzt von den NDR-Enthüllungen las, wollte ich mich eigentlich nicht mehr mit dem Thema beschäftigen. Die Erinnerungen wirken unangenehm. Dunkle Flashbacks. Heute wissen nicht mehr allzu viele, wie es Anfang der achtziger Jahre war, in der Stadt zwischen Wald und Reben, zwischen Hängen und Würgen, nach Mitternacht ein geöffnetes Lokal jenseits des Rotlichts zu finden. Die Altstadt war ein Zufluchtsort für Nachtgestalten aller Art. Der Stuttgarter Dörflichkeit zum Trotz hatte sich eine durchaus urbane Szene gebildet, eine Subkultur, in der Betuchte und Loser, Gangster und Juristen, Künstler und Kleindealer in denselben Kneipen und Kaschemmen saßen. Da fiel auch "Champagner-Conny" kaum auf, wenn er brandneue Hunderter als Trinkgeld spendierte.

Mit Hakenkreuzen und Dollarzeichen in den Augen

Von dieser Kulisse infiziert, nahm auch ich den begnadeten Schriftfälscher zunächst als Schlitzohr eines Schelmenstücks wahr. Als einen, der die durchgeknallten Hamburger Medienmanager mit ihren Dollarzeichen und Hakenkreuzen in den Augen aufs Kreuz gelegt hatte. Was mir seinerzeit fehlte, waren präzise Kenntnisse, wie Nazis und ihre politischen Erben auch nach der Zerschlagung der Hitler-Diktatur ihre faschistische Arbeit kontinuierlich fortsetzen konnten (und es bis heute tun). So ist der Fall Kujau ein Anlass, mir an die eigene Nase zu fassen. Es hat gedauert, bis ich begriff, dass dieses Kapitel deutscher Geschichte eine ganz andere Dimension hat als etwa in Helmut Dietls Satire, die 1992 als hochgelobte Komödie namens "Schtonk" in den Kinos lief.

Zur Stuttgarter Pressepremiere von "Schtonk" hatte ich mich mit Kujau verabredet. Feixend saß er neben mir im Kino. "So war das", krächzte er in sächsischem Dialekt, "der Götz George hat den Heidemann voll drauf." Gerd Heidemann war der "Stern"-Reporter, der sich die ehemalige Jacht des Kriegsverbrechers Hermann Göring gekauft hatte und die Kladden-Deals mit dem Fälscher in Stuttgart abwickelte. Kujau erzählte mir, wie er Heidemann mal "Asche von Hitler und Eva Braun" für etliche Tausender angedreht habe. Gierig habe der Reporter, Spitzname "Spürhund", das Zeug aus einer Urne mit einem Löffel in sein Zigarettenetui geschaufelt: in Wahrheit verkohlter Plunder aus Kujaus Militaria-Laden.

Die Geschäfte gingen aber nicht nur im Schmuddel-Milieu über die Bühne. "Stern"-Personal traf sich mit Kujau auch im feinen Parkhotel neben dem SDR (heute SWR), um den Scoop vorzubereiten. Für die Fachwelt, erzählte mir Kujau, habe er Papier aus der DDR im Backofen geröstet – so lange, bis es nicht nur den "Stern"-Deutern braun genug erschien. Auch renommierte Historiker wie der Stuttgarter Eberhard Jäckel und sein berühmter britischer Kollege Hugh Trevor-Roper fielen auf den Stuttgarter Blender herein.

Wie politisch verantwortungslos bei uns, den Weltmeistern der Vergangenheitsaufarbeitung, mit dem Skandal umgegangen wurde, zeigt dieses Beispiel: 1992 überließ die Stadt Stuttgart ihre Galerie unterm Turm Kujau, damit er dort seine eher dilettantisch gefälschten Bilder von Malern wie van Gogh und Picasso, Dalí und Warhol ausstellen konnte. Zur Vernissage kam auch Oberbürgermeister Manfred Rommel als Laudator: Stuttgarts "lieber Herr Kujau" habe schließlich eine Menge für die Stadt getan, also "weltweit Wirkung" erzielt. Zu den Menschen, die gegen die Schau protestierten, wenn auch nur aus Sicht der Kunstbranche, sagte er: "Die Kunst soll sich nicht so haben." Er habe immer Bedenken, wenn es "moralisch" werde. Es gehe "um ein gewisses Maß an Humor".

Fideles Stuttgart: In der Galerie im Tagblattturm war einige Jahre zuvor die dokumentarische Schau "Stuttgart im Dritten Reich" zu sehen gewesen. Das Geschichtsprojekt wurde eingestellt, die städtische Subvention gestrichen. Heute, 30 Jahre später, wird am Ende eines StZ-Artikels Marc-Oliver Boger, der Leiter des Kleinmuseums Kujau-Kabinett in Bietigheim-Bissingen, zitiert: Kujau sei ein Einzeltäter gewesen – und "doch eher unpolitisch".

Alles gesunder deutscher Humor.


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1 Kommentar verfügbar

  • Claudia Heruday
    am 08.03.2023
    Antworten
    Danke für guten und ehrlichen Rückblick - und gründlicher Blick auf heute tut not, mehr denn je!
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