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Gerhard Mayer-Vorfelder zum 90sten

Der Reaktionär hat's nicht schwer

Gerhard Mayer-Vorfelder zum 90sten: Der Reaktionär hat's nicht schwer
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Der frühere Minister und Fußballfunktionär Gerhard Mayer-Vorfelder wäre kürzlich 90 Jahre alt geworden, was dem VfB Stuttgart einen Gedenkabend wert war. An dem kamen einige Facetten des geselligen Rechtsaußen zu kurz. Diese seien hier ergänzt.

Den CDU-Politiker Gerhard Mayer-Vorfelder (1933 bis 2015) ausgerechnet zum Frauentag hervorzuheben, mag auf den ersten Blick verblüffen, ist aber höchst konsequent. Nicht nur, weil der oft nur MV genannte Kurpfälzer fast am Frauentag Geburtstag hat – gut, fünf Tage davor, am 3. März. Sondern auch, weil sich der mit Vorliebe Roth-Händle rauchende Reserve-Hauptmann ungemein differenziert zum Thema äußern konnte. Auch weit über seinen Zuständigkeitsbereich hinaus.

Dass im November 1986 die Grün-Alternative Liste Hamburg mit einer reinen Frauenliste zur Bürgerschaftswahl antrat (und 10,4 Prozent der Stimmen holte), kommentierte MV so: "Ich habe nichts gegen Frauen, wenn sie einigermaßen aussehen. Aber die waren ja nicht mehr anzusehen." Die Emanzipation der Geschlechter und berufstätige Frauen sah er ohnehin skeptisch. "Eine Frau, die vier Kinder erzieht, leistet mehr für die Gesellschaft als eine Sekretärin", gab er Mitte der 1980er zu Protokoll. Und vergaß nicht zu erwähnen, dass Mayer-Vorfelders mit gutem Beispiel vorangingen: "Ich habe mit meiner Frau vier Kinder, wenn alle Lehrer Ähnliches täten, gäbe es viel mehr Schüler und weniger arbeitslose Lehrer."

Damit bei so viel Fortpflanzungsdruck das Schamgefühl der Schüler nicht auf der Strecke blieb, sorgte er als baden-württembergischer Minister für Kultus und Sport (1980 bis 1991) mit dafür, unzüchtige Fotos aus Schulbüchern zu verbannen. Zeigte etwa das Lehrbuch zur Humanbiologie des Cornelsen-Verlags von 1974 noch das Frontal-Foto einer vierköpfigen nackten Familie, war in der Neuauflage von 1987 an entsprechender Stelle der Kupferstich "Adam und Eva" von Albrecht Dürer (1504) zu sehen, die Geschlechtsorgane schamhaft mit Feigenblättern verhüllt. Auf Anfrage der Lehrergewerkschaft GEW bestritt das Kultusministerium damals zwar, Einfluss auf die Auswahl der Abbildungen genommen zu haben, betonte aber zugleich, es lehne "Fotografien unbekleideter Menschen in Schulbüchern ab".

Lob von NPD-Landeschef Schützinger

Derlei Details und Bonmots sucht man vergebens in einem Artikel der "Stuttgarter Zeitung", in dem MV anlässlich seines 90. Geburtstags als "Macher mit Kanten" bezeichnet wird, als Mensch "aus einer anderen  Zeit, als  es noch echte Typen gab, nicht nur weichgespülte Gernegroße". Gut, der Autor folgte vermutlich der Devise "De mortuis nil nisi bene" – "Über Tote soll man nicht schlecht sprechen". Und da er über eine Gedenkfeier des Fußballclubs VfB Stuttgart schrieb, dessen Präsident Mayer-Vorfelder ja auch lange war (1975 bis 2000), mögen Anekdoten aus seiner kultusministeriellen Zeit, in der er sich den Hass von Schüler:innen wie Lehrpersonal redlich verdiente, zweitrangig sein.

Und doch bleibt das Bild so etwas eindimensional. Zumal manche der im Artikel zitierten Feiergäste ja prächtige Brücken bauen. Günther Oettinger etwa, früher mal baden-württembergischer CDU-Ministerpräsident. Dem sei in Bezug auf MV wichtig: "Er war kein Rechtsradikaler, sondern ein Konservativer." Nun ist Oettingers Bewertungskompetenz historischer Figuren das eine (seinen Vor-Vor-Vorgänger im Amt Hans Filbinger hatte er ja mal zum "Gegner des Nationalsozialismus" umgedeutet), die Wertungen einschlägiger Zeitgenossen das andere. 1986 jedenfalls dankte der damalige Landesvorsitzende der rechtsextremen bis neonazistischen NPD Jürgen Schützinger Mayer-Vorfelder für dessen Initiative, schon Grundschüler:innen alle drei Strophen des Deutschlandlieds auswendig lernen zu lassen, inklusive "über alles" und Etsch und Belt.

Wie im Juli 1986 im baden-württembergischen Landtag über die kontroverse Hymnen-Causa debattiert wurde, hatte damals sogar der "Spiegel" dokumentiert, und auch das, was darauf folgte, als MV "übers Deutschlandlied schwadronieren" durfte: "'Unruhe' und 'anhaltende Unruhe' verzeichnete das Stuttgarter Parlamentsprotokoll im Gefolge der 'dummen und skandalösen' Äußerung (Frankreichs Politologe Alfred Grosser). 'Man muß sich schämen', 'Diese Idioten', 'Sind Sie überhaupt noch nüchtern?'". Sechs Jahre später, nach der Landtagswahl 1992, in der die CDU die absolute Mehrheit verlor, war der inzwischen zum Finanzminister gewordene Mayer-Vorfelder in der Ministerriege der Union der Einzige, der sich statt einer Koalition mit der SPD auch eine mit den rechtsradikalen Republikanern vorstellen konnte.

In der Bundesliga waren ihm zu wenige "Germanen"

Beschwerden gegen seinen Deutschlandlied-Vorstoß nannte Mayer-Vorfelder 1986 "mies und unerträglich", und ähnlich dürfte er 15 Jahre später über die Ausstellung "Tatort Stadion. Rassismus und Diskriminierung im Fußball" des Bündnisses Aktiver Fußballfans geurteilt haben. Die präsentierte ihn ab 2001 mit Zitaten wie diesen: "Was wird aus der Bundesliga, wenn die Blonden über die Alpen ziehen und stattdessen die Polen, diese Lesniaks und Furtoks, spielen?" Oder dass etwas nicht stimme, wenn bei einem Spiel "nur zwei Germanen in der Anfangsformation stehen". Der DFB, dessen Präsident MV damals war, entzog der Ausstellung im Januar 2002 die Unterstützung.

Es ließen sich noch einige Kessel Buntes mehr herantragen. Etwa Mayer-Vorfelders Meinung zu Atomenergie-Gegnern ("Du musst ein akademisches Studium haben, um so blöd wie die daherzureden") oder erneuerbare Energien ("Damit kannst du dich doch nicht einmal trocken rasieren"). Oder sein außerordentliches Beharrungsvermögen als Finanzminister (1991 bis 1999), als ihn trotz immer neuer Skandale und sogar eines Untersuchungsausschusses offenbar nichts von seinem Sessel wegzubringen vermochte. Das kann man sehen als Merkmale eines Menschen "aus einer anderen Zeit, als es noch echte Typen gab" (StZ). Oder sich einfach freuen, dass Typen wie er heute allmählich seltener werden in der Politik. Wobei – im Grunde sind sie nur in anderen Parteien.


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