Die Comicbranche ist männlich dominiert, was Zeichner angeht, Protagonisten und nicht zuletzt Leser. Das war auf jeden Fall mal so, hat sich aber in den vergangenen Jahren – oder besser Jahrzehnten – nach und nach etwas gewandelt. Ohne dass heute Parität erreicht ist. Aber der Reihe nach.
Superheldinnen tauchten in Comics erstmals in den 1940ern auf, ohne dass sie, bei all ihren Superkräften, gleich die Geschlechterrollen auf den Kopf stellten – schließlich zeichneten weiterhin vor allem Männer für ein männliches Publikum. Bewegung kam erst im Zuge der 68er-Bewegung in die Comicszene, als mit dem Interesse für neue Gesellschaftsentwürfe auch neue Themen und Darstellungsformen in alle Bereiche der Kultur und damit auch der Popkultur drangen. Schon Mitte der 1960er begannen etwa Comiczeichner wie Gilbert Shelton oder Robert Crumb, später als Protagonisten der "Underground Comix"-Bewegung bekannt, sich satirisch und kritisch mit den Werten der amerikanischen Gesellschaft zu befassen und unabhängig von den großen Verlagen ihre Werke selbst oder in kleinen neugegründeten Independent-Verlagen herauszugeben.
"Um 1970 war die Frauenbewegung stark genug, um von den Massenmedien wahrgenommen und als berichtenswertes Thema gesehen, wenn auch nicht zwangsweise verstanden zu werden", schreibt die US-amerikanische Comic-Zeichnerin und -Forscherin Trina Robbins. Aber "traurigerweise verstanden die meisten männlichen Underground-Cartoonisten genauso wenig von der neuen Frauenbewegung wie die Zeitungen, und sie reagierten auf das von ihnen als Bedrohung wahrgenommene Phänomen, indem sie Comics zeichneten voller graphischer Gewalt, die sich größtenteils gegen Frauen richtete". Vor allem das Werk des als Legende gefeierten Robert Crumb ist in dieser Hinsicht oft verstörend explizit. Kritik daran sei in der Underground-Comic-Szene, die laut Robbins nur die "Alternativ-Version des alten Boys' Clubs" gewesen sei, nicht sehr willkommen gewesen.
Also hilft nur Unabhängigkeit
Der einzige Ausweg: Sich komplett von den Männern unabhängig machen. Die Zeichnerinnen Robbins und Barbara "Willy" Mendes taten das und gaben 1970 mit "It Ain't Me, Babe Comix" den allerersten Comic-Sammelband heraus, der ausschließlich von Frauen gezeichnete Geschichten enthielt und von Frauen produziert wurde. Das blieb unter diesem Namen zwar eine einmalige Sache, aber viele der Beteiligten gehörten später zum Künstlerinnen-Kreis des einflussreichen Frauen-Comic-Magazins "Wimmen's Comix", das von 1972 bis 1992 bestand.
In Europa war die Entwicklung diffuser, die interessantesten Impulse gingen von der Comic-Nation Frankreich aus. Um, was Talent und Einfluss angeht, einen Namen herauszugreifen: Claire Bretècher (1940 bis 2020), die zu Beginn ihrer Karriere vor rund 60 Jahren als Frau noch eine absolute Ausnahmeerscheinung war. Nachdem sie in den 1960ern für Comicmagazine wie "Tintin" oder "Pilote" gezeichnet hatte, gelang ihr der Durchbruch 1973 mit ihrer Serie "La Page des Frustrés" für die Zeitung "Le Nouvel Observateur," – in Deutschland ab 1978 als "Die Frustrierten" erschienen. Völlig neu waren zum einen ihr so minimalistischer wie dynamisch skizzenhafter Stil, zum anderen ihre Beschäftigung nicht etwa mit Fantasiefiguren und -welten, sondern mit der sie umgebenden Gesellschaft, mit Feminismus, überkommenen Rollenmustern und jämmerlichen Männerfiguren.
Fünf Jahre nach den französischen Studentenprotesten im Mai 1968 dokumentierte Bretécher, was aus den linken Revoluzzern von einst geworden war: Bornierte, sich selbst bejammernde Spießer. Die großen Ziele sind verfehlt, die Ideale bröseln, aber es wird geredet und geredet – und dabei immer wieder deutlich, wie stark die so vehement bekämpfte reaktionäre Ordnung in vielen Köpfen noch ist, nicht nur bei den Männern. Bretéchers Milieu-Studien sind schärfste Satire, dabei so schonungslos und präzise, dass der Linguist Roland Barthes sie einmal die "beste französische Soziologin" nannte.
Nachdem Bretéchers "Frustrierte" in deutscher Übersetzung lange nur noch antiquarisch zu haben waren, hat sie dankenswerterweise der Carlsen-Verlag im vergangen Jahr neu herausgebracht – alle Geschichten von 1973 bis 1981 in einem gut 300-seitigen Sammelband.
Bretécher beeinflusste in den 1970ern stilistisch wie humoristisch auch viele deutsche Zeichnerinnen und Zeichner – die Emma-Karikaturistin Franziska Becker ebenso wie Schwulen-Comic-Ikone Ralf König. Und auch junge französische Zeichnerinnen wie Catherine Meurisse ("Die Leichtigkeit") oder Pénélope Bagieu ("Unerschrocken") beziehen sich immer wieder auf Bretécher.
Immer noch: Schlüsselpositionen meist in Männerhand
Dass Frauen in der Comicszene nicht nur solche Einzelfiguren wie Bretécher oder überschaubare Gruppen wie die um "Wimmen's Comix" sind, änderte sich erst in den letzten beiden Jahrzehnten in größerem Umfang. Wenn die Entwicklung auch eine stotternde ist, besonders hierzulande. Unter dem Titel "Ein Schritt vor, zwei zurück" widmete sich 2021 Birte Förster im Berliner "Tagesspiegel" der Frage, "warum sich die Comicszene mit der Gleichberechtigung so schwer tut". Zwar gebe es allmählich ein Gleichgewicht zwischen Leserinnen und Lesern, Zeichnerinnen und Zeichnern, aber dieses Gleichgewicht gehe noch nicht mit einer Gleichstellung einher. Eine der Ursachen sei, so Förster, "dass zahlreiche Positionen, in denen es um Entscheidungen, Einflussnahme und letztlich auch Macht geht, noch überwiegend von Männern besetzt sind". In Verlagen, aber auch in Comicredaktionen und -Magazinen – und hier gelte oft wie woanders auch: "Männer fördern Männer".
1 Kommentar verfügbar
gerhard manthey
am 09.03.2023wieso wird sie in diesem Artikel vergessen? Da staunt Mann! Unverzichtbar für die Emanzipation.
Liegt Heidelberg so weit und sind alle comics von ihr vergriffen?
Bitte einen Nachtrag in der nächsten Ausgabe.
Danke.