Von 2008 bis 2020 arbeitet die Journalistin als feste Freie für die Redaktion von "Frontal21". Lange gilt die Redaktion als das Flaggschiff des investigativen Journalismus im ZDF. Gemeinsam mit den vielen männlichen Kollegen in der Redaktion ist Birte Meier verantwortlich für mehrere preisgekrönte Recherchen, die deutschlandweit für Aufsehen sorgen. 2011 hat sie das erste Mal den Verdacht, dass sie dabei weniger verdient als acht Männer in der Redaktion. Das ZDF führt damals einen neuen Tarifvertrag für feste freie Mitarbeiter:innen ein. Birte Meier wird als einzige aus der Runde in eine schlechtere Vergütungsgruppe einsortiert, trotz gleicher Funktion. Von Seiten des ZDF hieß es anfangs, dass sie schließlich noch nicht so lange dabei sei wie die männlichen Kollegen. Auf einer Weihnachtsfeier erfährt sie aber von einem Kollegen, der nach ihr angefangen hat, dass er mehr Geld bekommt – mehrere hundert Euro brutto im Monat. Sie ist außer sich. Wieder versucht sie diplomatisch über den internen Weg zu erfahren, wieso sie weniger kriegt, wieder scheitert sie. Nachdem ihr das ZDF keinen triftigen Grund nennen kann, nimmt sie sich einen Anwalt.
Von der Redaktionsleitung heißt es, dass sie mit einer Klage einen "Krieg" vom Zaun breche, von einem ehemaligen Redaktionsleiter ist bekannt, dass seiner Ansicht nach Frauen ohnehin nichts im politischen Journalismus zu suchen hätten. Birte Meier bleibt trotz dieses Klimas Teil der Redaktion. "Ich habe lange gehofft, dass sich das lösen lässt", erinnert sich die Journalistin. "Und ich sehe es auch eigentlich nicht ein, dass es eine Frau den Job kostet, wenn sie sich auf ihr Grundrecht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit beruft." Eigentlich gilt in Deutschland das Recht, dass Männer und Frauen gleichbehandelt werden müssen. Dennoch sind Lohnunterschiede wie bei Birte Meier keine Einzelfälle, sondern Ausdruck eines strukturellen Problems. Bekannt ist diese Ungerechtigkeit unter dem "Gender-Pay-Gap". Um auf diese Gehaltslücke aufmerksam zu machen, organisieren Aktivistinnen und Gewerkschaften jedes Jahr den "Equal Pay Day". Der Tag markiert symbolisch wie viele Tage seit Jahresbeginn Frauen im Vergleich zu Männern umsonst arbeiten. Dieses Jahr fällt der Tag auf den siebten März.
Strukturell schlechtere Chancen für Frauen
In Deutschland errechnet das Statistische Bundesamt den Gap aus der Differenz zwischen den durchschnittlichen Bruttostundenlöhnen von Männern und Frauen. Dabei wird nochmal zwischen unbereinigtem und bereinigtem Gender-Pay-Gap unterschieden. Bei der unbereinigten Einkommenslücke werden die Bruttostundenlöhne aller Männer mit denen aller Frauen vergleichen. Strukturelle Unterschiede wie Arbeitszeiten, Berufsgruppe, Ausbildung und die Dauer der Betriebszugehörigkeit werden dabei nicht berücksichtigt.
Aktuell liegt der unbereinigte Gender-Pay-Gap in Deutschland bei 18 Prozent. Damit ist Deutschland eines der Schlusslichter im europäischen Vergleich. Nur in der Schweiz, Österreich, Estland und Lettland ist die Lücke größer. Wodurch diese Lohnunterschiede zustande kommen, wird immer wieder diskutiert. Für Volker Steinmaier vom Arbeitgeberverband "Unternehmen BW e.V." aus Stuttgart kommen die Unterschiede vor allem dadurch zustande, dass "Frauen häufiger in Branchen und Berufen mit niedrigerem Vergütungsniveau sowie in Teilzeit arbeiten, häufigere und längere familienbedingte Erwerbsunterbrechungen haben und damit auch seltener Führungspositionen erreichen als Männer". Sind Frauen also nur in den falschen Berufen, lernen das Falsche und priorisieren die falschen Dinge?
"Es wäre falsch, allen Frauen zu empfehlen, IT-Spezialistin oder Versicherungsmathematikerin zu werden. Die Freiheit der Berufswahl gilt selbstverständlich für beide Geschlechter. Ändern müssen sich die steuer- und arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedingungen, die Frauen strukturell benachteiligen", antwortet Maren Diebel-Ebers, stellvertretende Vorsitzende des DGB Baden-Württemberg. Dadurch, dass von Frauen dominierte Berufe niedrigere und männerdominierte höhere Löhne bieten, kommt es zu einer "horizontalen und vertikalen Segregation". Bedeutet: Frauen arbeiten nicht nur häufiger in schlechter bezahlten Berufen, sondern haben auch seltener die Chance in Unternehmen aufzusteigen. Der Staat fördert zudem durch das Ehegatt:innen-Splitting, dass Frauen als Zuverdienerinnen nur in Teilzeit arbeiten. Das belegen auch die Statistiken des Statistischen Bundesamts: 47 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen arbeiten in Teilzeit, knapp 62 Prozent aller sogenannten Minijobs werden von Frauen ausgeübt. Dazu kommt: Kinderbetreuung, Altenpflege – also die unbezahlte "Care-Arbeit" – fallen aufgrund von sozialisierten, patriarchalen Rollenbildern nach wie vor meist Frauen zu. Laut Statistischem Bundesamt leisteten 2019 Männer pro Tag im Schnitt zwei Stunden und 46 Minuten unbezahlte Sorgearbeit, Frauen hingegen vier Stunden und 13 Minuten.
Um zu vergleichen, wie unterschiedlich Männer und Frauen mit den gleichen Qualifikationen, Aufgaben und Arbeitszeiten verdienen, veröffentlicht das Bundesamt zusätzlich den bereinigten Gender-Pay-Gap. Dieser liegt in Deutschland aktuell bei sieben Prozent. Der wird besonders in tarifungebundenen Berufen von Arbeitgeber:innen damit begründet, dass Frauen schlechter um ihre Gehälter verhandeln als Männer. Dabei wissen Frauen häufig überhaupt nicht, wie viel ihre männlichen Kollegen verdienen, um sich in Gehaltsverhandlungen nicht unter Wert zu verkaufen. Denn in Deutschland müssen Unternehmen zu dem Zeitpunkt keine Auskunft über die Gehälter der Angestellten machen.
Zahnloser Tiger: Entgelttransparenzgesetz
Auch Birte Meier weiß nicht genau, wie viel mehr ihre Kollegen bei "Frontal21" verdienen. Sie klagt 2015 vor dem Arbeitsgericht Berlin gegen das ZDF wegen Entgeltdiskriminierung und fordert Auskunft über Gehälter in der Redaktion. Es ist der Beginn einer zähen Odyssee. Immer wieder wird ihre Klage abgewiesen, weil sie nicht nachweisen könne, dass sie weniger Geld verdiene, weil sie eine Frau sei.
Eine Chance sieht Meier, seit die Bundesregierung 2017 das "Entgelttransparenzgesetz" verabschiedet hat. Dieses sieht vor, dass Unternehmen ab Größe von 200 Beschäftigten auf Verlangen Auskunft geben müssen, wie viel vergleichbare Kolleg:innen verdienen. Auch Birte Meier stützt sich ab 2017 auf das Gesetz. Viel bewegt das jedoch nicht. Maren Diebels-Ebers vom DGB kritisiert, dass sich das Gesetz als "unwirksam erwiesen" habe, da "kleine und mittlere Unternehmen ausgeschlossen sind" und es keine "Verbandsklagen ermöglicht, damit von Lohndiskriminierung Betroffene ihre Rechte nicht mühevoll individuell geltend machen müssen". Auch Birte Meier hilft das Gesetz wenig. 2019 entscheidet das Arbeitsgericht Berlin, dass das Gesetz für feste Freie wie Meier in "arbeitnehmerähnlichen Verhältnissen" nicht gelte. Ihre Klage wird abgelehnt.
Für die Journalistin sind die Entscheidungen nicht nachvollziehbar, sie beruft sich auf EU-Recht. Nach diesem müssen Unternehmen, sollten sie im Verdacht stehen, diskriminierende Lohnpolitik zu betreiben, beweisen, dass dies nicht der Fall ist – und nicht die sich benachteiligt fühlenden Frauen. "Die unteren Arbeitsgerichte hatten klar europarechtswidrig geurteilt", sagt die Journalistin. Sie klagt weiter, bis zum Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt.
Schlechtes Verhandeln ist kein Argument mehr
Dort wird sie zum ersten Mal gehört. In einem wegweisenden Grundsatzurteil kippt das BAG die Abweisung vom Arbeitsgericht Berlin, dass sich Meier als feste Freie nicht auf das Entgelttransparenzgesetz berufen könne. Am 25. Juni 2020 erwirkt die Redakteurin, dass auch sie ein Recht auf Einsicht in die Entgelttabellen hat und erfährt, dass sie zwischen 800 und 1.500 Euro pro Monat weniger verdient als ihre Kollegen. Überrascht ist sie zu dem Zeitpunkt nicht mehr. Sie geht bis zum Bundesverfassungsgericht, um rückwirkend ihr Gehalt zu erstreiten. Dort wird sie wieder ans Arbeitsgericht Berlin verwiesen. Zurück auf Anfang also.
In der Zwischenzeit haben auch andere benachteiligte Frauen von dem Recht Gebrauch gemacht. Am 16. Februar 2023 erwirkt eine 44-jährige Dresdnerin, dass das Arbeitgeber-Argument, "die Frau hat schlechter um ihren Lohn verhandelt", kein Argument sei für eine schlechtere Bezahlung. Ihr Arbeitgeber musste daraufhin rückwirkend entsprechend nachzahlen, plus Schadensersatz.
Gut für Birte Meier. Denn "ab sofort gilt nicht mehr, was mir damals vor Gericht noch gesagt wurde: dass ich als Frau nachweisen muss, dass ich wegen meines Geschlechts schlechter bezahlt werde – sondern nun muss der Arbeitgeber gute Gründe für die Schlechterbezahlung vorlegen", betont die Investigativjournalistin. Ob ihr nach knapp acht Jahren rückwirkend das ihr zustehende Gehalt zugesprochen wird, wird nun weiter verhandelt. Ihre Erfolgschancen haben sich durch das BAG-Urteil deutlich verbessert. Und damit für alle Frauen, die sich bisher allein durch alle Instanzen klagen.
Meier hat unterdessen Konsequenzen gezogen. Im Juni 2022 gab sie bekannt, sie baue nun gemeinsam mit zwei ehemaligen "Frontal21"-Kolleg:innen für RTL TV ein neues Investigativ-Team auf. Mit gleichen Löhnen für gleiche Arbeit.
2 Kommentare verfügbar
Maxim Flößer |Autor
am 10.03.2023vielen Dank für Ihr Kommentar und Ihre kritischen Anmerkungen.
Tatsächlich zeigt die Recherche, dass Frau Meier immer wieder intern versucht hat, eine Erklärung für ihr Problem zu finden. Dabei wendete sie sich auch an die dafür entsprechenden Stellen beim ZDF. Hier…