Die Ankündigung zum gestrigen Equal Pay Day, der in diesem Jahr dem Kulturbereich gewidmet war, spricht von einem Gender-Pay-Gap von 30 Prozent. Das bezieht sich auf 2021, als Frauen im Bereich "Kunst, Unterhaltung und Erholung" – so die Kategorie des Statistischen Bundesamts – ein knappes Drittel weniger verdienten als Männer. 2022 sollen es 20 Prozent weniger gewesen sein. Haben sich die Einkommensunterschiede also innerhalb eines Jahres so deutlich verringert? Wohl kaum. Die Vergleichbarkeit mit Vorjahren sei "aufgrund neuer Verdiensterhebung eingeschränkt", bestätigt die amtliche Pressemitteilung.
Von der Kunst zu leben, ist kaum noch möglich
"Zahlen, Zahlen, Zahlen" fordert auch Olaf Zimmermann im zuletzt 2020 erschienenen Bericht des Deutschen Kulturrats über "Frauen und Männer im Kulturmarkt". Die Situation ist außerordentlich komplex. Gabriele Schulz unterscheidet in ihrer 2016 für den Kulturrat erarbeiteten Studie über "Frauen in Kultur und Medien" zwischen einem gewinnorientierten Bereich, der von freien Künstler:innen bis zu großen Medienunternehmen reicht, einem öffentlich geförderten und einem Non-Profit-Sektor.
Für die bildende Kunst seien diese Studien wenig aussagekräftig, moniert Bergmann. Obwohl an den Hochschulen um die 60 Prozent Frauen studieren, seien Künstlerinnen in Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, in Museen und öffentlichen Sammlungen nur zu 20 Prozent vertreten. Bei der Kunst im öffentlichen Raum, den Straßennamen, in Schulbüchern ergibt sich ein ähnliches Bild. "Frauen wurden aus der Kunstgeschichte absichtlich rausgeschrieben", meint Bergmann und erinnert an die schwedische Pionierin der Abstraktion Hilma af Klint.
Mit dem Einkommensunterschied von 30 oder 20 Prozent ist der unbereinigte Gender-Pay-Gap gemeint, also der Querschnitt aller im Kulturbereich Tätigen. Die Unterschiede sind enorm. Während über 90 Prozent aller bildenden Künstler:innen von ihrer Kunst nicht leben können und, wie Bergmann hervorhebt, oft mit 40 in andere Berufe wechseln, haben die Intendanten der großen Theater und die Generalmusikdirektoren, also die Chefdirigenten der Orchester, Jahreseinkommen in sechsstelliger Höhe. Beinahe erübrigt sich hier die Erweiterung ":innen", denn bundesweit gibt es derzeit nur vier Generalmusikdirektorinnen, gegenüber 125 Männern.
In Stuttgart hat es bei den vier großen Orchestern noch nie eine Generalmusikdirektorin gegeben, und bis auf Marcia Haydée auch noch nie eine Intendantin am Staatstheater. Die Gehälter sind normalerweise Top Secret. Nur weil der Landesrechnungshof die Beträge monierte, sickerte vor zehn Jahren durch, dass der geschäftsführende Intendant Marc-Oliver Hendriks 150.000 Euro pro Jahr verdiente, der Generalmusikdirektor Manfred Honeck sogar 240.000 Euro, mehr als der Oberbürgermeister.
Am anderen Ende der Skala findet sich die Masse der künstlerischen Berufe: überwiegend Frauen. Tätigkeiten, die viel Engagement erfordern, während die Einkünfte zum Leben nicht reichen. Susanne Jakob, Leiterin des Kunstvereins Neuhausen, berichtet, sie habe sich vor Jahren einmal auf die Leitung einer Städtischen Galerie beworben – dann aber dankend verzichtet. 800 Euro im Monat, nominell eine Halbtagsstelle, die aber vollen Einsatz verlangt: Solche Verhältnisse sind keineswegs verschwunden.
Die Lohnunterschiede verschlimmern Altersarmut
Aus dem Gender-Pay-Gap ergibt sich später ein Renten-Gap und ein Vermögens-Gap, unterstreicht Bergmann: "Das betrifft die Frage, wer in einer Gesellschaft gestalten kann, etwa indem er oder sie eine Stiftung gründet." Das mit dem Renten-Gap kann Astrid S. Klein bestätigen, eine der ersten Künstlerinnen, die der Württembergische Kunstverein 1984 mit einer Einzelausstellung gewürdigt hat. "Altersarmut bei Künstler:innen, das Problem der Grundsicherung: Das betrifft mich auch, wie fast alle Künstler:innen, die ich kenne." Sie kritisiert auch, dass Stipendien oft auf das Alter bis 35 Jahre beschränkt sind.
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