Was waren die Hochburgen der deutschen Studentenbewegung um 1968? "Tübingen kommt gleich hinter Berlin, Frankfurt und Heidelberg!", behauptete Mitte 1969 vollmundig Klaus Behnken. Der war nicht irgendwer, sondern Mitglied im Frankfurter Bundesvorstand des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), davor einer von dessen wichtigsten Sprechern in Tübingen, wo er Soziologie studierte. Eine trotzdem ziemlich überraschende Aussage, gilt die Universitätsstadt am Neckar doch bis heute nicht unbedingt als Hotspot der 68er-Bewegung. Als "friedliche Insel" im Gegensatz zu den Metropolen bezeichnete die "Stuttgarter Zeitung" etwa 2008 Tübingen in einem Rückblick auf 1968. Und auch in der aktuell laufenden 60er-Jahre-Ausstellung "... denn die Zeiten ändern sich" des Stuttgarter Hauses der Geschichte steht in Bezug auf die Studentenproteste im Südwesten Heidelberg im Mittelpunkt.
Das mag auch daran liegen, dass der Tübinger Beitrag zur 68er-Bewegung bislang nur wenig wissenschaftlich aufgearbeitet ist. Dass sich das nun ein gutes Stück gebessert hat, liegt auch an Bernd Jürgen Warneken. Der ehemalige Professor für Empirische Kulturwissenschaft an der Tübinger Uni hat nicht nur eine Ausstellung dazu im Tübinger Stadtmuseum initiiert, sondern auch ein autobiografisches, zugleich mit reichlich Quellen gesättigtes Buch dazu geschrieben: "Mein 68 begann 65". 1965, weil Warneken damals als 20-jähriger Student an einer Demonstration gegen Bundeskanzler Ludwig Erhard, der Willy Brandt und die SPD als "Volksverräter" beschimpft hatte, beteiligt war.
Warneken, 1945 in Jena geboren und in Tübingen aufgewachsen, war, wie er schreibt, "kein herausragender Protagonist" der Studentenbewegung in seiner Heimatstadt. Aber er war von Anfang an dabei, als Mitarbeiter und Chefredakteur der Studentenzeitung "Notizen", bis 1966 auch als Mitglied des Sozialdemokratischen Hochschulbundes (SHB), später mit dem SDS sympathisierend, dem er aber nie beitrat.
Die Idee zum Buch hatte er schon vor mehreren Jahren – "weil man im Alter schon ein bisschen biografisch sein darf", wie er sagt. Die seit Anfang März laufende Ausstellung mag zwar deutlich von seinen Forschungen zum Buch profitieren, sie ist jedoch alles andere als eine Kopie. Vor zweieinhalb Jahren schlug Warneken der Tübinger Kulturbürgermeisterin Christine Arbogast vor, dass man "in Tübingen etwas Besonderes machen könnte, nicht wie die meisten nur 68 in den Blick nimmt". Und so werden im Stadtmuseum nun unter dem Titel "Tübinger Revolten" die Revolution von 1848 und die Studentenproteste von 1968 in der Stadt verglichen – nicht gleichgesetzt, wie Warneken, die Bedenken vorwegnehmend, gleich betont. Dafür seien die Differenzen in Ausgangslage und Zielen dann doch zu gravierend.
Emanzipation 68: Männer diktieren, Frauen tippen
Es sind vielgestaltige Exponate, die die Kuratoren Warneken, Michael Kuckenburg, ein ehemaliger Lehrer, und Wilfried Setzler, früher Leiter des Tübinger Kulturamts, zusammengetragen haben, vom Kavalleriehelm bis zum Parka. Die 68er sind dabei leicht im Vorteil, denn vor allem die riesigen Mengen Flugblätter, teils thematisch in Ordner sortiert in einer Leseecke, und die zahlreichen von Kuckenburg gefilmten Zeitzeugeninterviews sorgen für ein breitgefächertes und lebendiges Bild der Studentenbewegung. Der Erkenntnisgewinn durch die vergleichende Präsentation ist dabei nicht immer gleich hoch; wenn etwa ein altes Gewehr oder geradegeschmiedete Sensen einer Bürgerwehr um 1848 einem beispielhaften Pflasterstein der 68er (von denen in Tübingen gar keine geworfen worden sein sollen) gegenübergestellt werden, dann lernt man daraus nicht viel mehr, als dass die Bewaffnung beider Bewegungen und die Blutigkeit ihrer Kämpfe doch recht unterschiedlich waren.
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