Er schreibe, sagt der Emeritus, "statt großen Büchern eher kleine Aufsätze". Letzteres stimmt – und, um es mit Bausinger'scher Dialektik zu sagen: Es stimmt wiederum nicht. Er hat Hunderte von Fachbeiträgen verfasst, über Fasnacht, Märchen bis zur listig-modernen Identitätserkundung "Wann ist deutsch?". Daneben aber hat er im Tübinger Verlag Klöpfer & Meyer Bücher veröffentlicht, die so typische Titel tragen wie "Der herbe Charme des Landes", "Berühmte und Obskure", "Fremde Nähe" oder "Seelsorger und Leibsorger". Viele davon in Frankreich, Italien, den USA oder Skandinavien rezipiert, vielfach übersetzt, sogar ins Japanische und Chinesische.
Seine Analysen und Skizzen und nicht zuletzt die Fülle der Vorträge, die er landauf, landab hält, bestechen durch Prägnanz und Eleganz. Bausinger verführt zum Denken, popularisiert eine fröhliche Wissenschaft, vermittelt mit leichter Hand schwierige Sachverhalte und tritt auch schon mal als Kabarettist auf. Eine Professur, hat er in der ihm eigenen Bescheidenheit erklärt, sei keine Fahrkarte zur Selbstentfaltung, sondern eine Dienstleistungsaufgabe.
Bausinger machte Kulturwissenschaft empirisch
Am 17. September 1926 in Aalen auf der Ostalb geboren, studierte Bausinger Germanistik, Anglistik, Geschichte, Volkskunde, promovierte 1952 über "Lebendiges Erzählen". Ans "Ludwig-Uhland-Institut der Universität Tübingen für Deutsche Altertumswissenschaft, Volkskunde und Mundartenforschung", wie es damals hieß, kam er eher zufällig über die Germanistik. Seine Habilitationsschrift "Volkskultur in der technischen Welt" sorgte 1959 für Furore. Schon die Einleitung, in der er, Brecht zitierend, auf Distanz zum tümelnden Begriff "Volk" und damit zur NS-kontaminierten Volkskunde ging, war ein Affront. Bausinger öffnete den engen Horizont des Faches, in dem das Volk und seine Kultur als organisch gewachsene Einheit verklärt wurden, für eine sozialwissenschaftliche Sicht auf die Kultur und Lebensweise der "kleinen Leute" in der modernen Industriegesellschaft. Unter seiner Ägide vollzog sich am Ludwig-Uhland-Institut, dessen Direktor er 1960 wurde und bis 1992 blieb, der "Abschied vom Volksleben", so der programmatische Titel eines Sammelbands von 1970. Fortan hieß das Fach "Empirische Kulturwissenschaft".
Der liberale Bausinger hielt in der Zeit der Studentenbewegung seine schützende Hand selbst über marxistische Heißsporne, die das Fach soziologisieren wollten. Zugleich steuerte er die Diskussion im Haspelturm des Tübinger Schlosses entschlossen in eine Richtung, die der "EKW", so die gängige Abkürzung, unverwechselbares Profil gab: Sie analysiert Phänomene der Alltagskultur in aktueller und historischer Perspektive, erforscht, wie Menschen arbeiten, ihr Leben organisieren, miteinander verkehren, mit ihrem natürlichen und kulturellen Erbe umgehen.
So kam es am Ludwig-Uhland-Institut, von Studierenden liebevoll "LUI" genannt, zum Paradigmen- und Perspektivenwechsel: von der Tracht zur Mode, von der Hausforschung zum Wohnumfeld, von Märchen zu Massenmedien, von Heimatvertriebenen zu Arbeitsmigranten, von der Region zur Globalisierung – unter kritischer Einbeziehung des alten Kanons, mit neuem interdisziplinärem Ansatz.
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