Nicole Razavi (CDU) hatte sich in der Hochzeit der Auseinandersetzung um Stuttgart 21 ihren Ruf als selbstbewusste und manchmal hoch aggressive Landtagsabgeordnete hart erarbeitet. Als baden-württembergische Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen muss die frühere Geschäftsführerin der Fraktion auch anders können. "Wir wollen den Motor im Wohnungsbau nicht ausgehen lassen", erklärt sie schriftlich in der letzten Plenarsitzung vor der Sommerpause ungewohnt kleinmütig. Und versucht die Tatsache schönzureden, dass 2023 gar kein Geld für einschlägige Wohnraumförderung mehr da ist. Der Grund: Die veranschlagten 463 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau sind schon überbucht. Das sei doch "erfreulich", behauptet Razavi, zeige sich doch, "dass bei der Ausgestaltung des Programms die richtigen Entscheidungen getroffen wurden".
Aus Sicht der vielen, die auf der Suche nach bezahlbaren vier Wänden sind, stellt sich die Lage ganz anders dar: All die vollmundigen Versprechungen bleiben uneingelöst. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) den Problemversteher gab. "Ich will, dass gerade auch die Menschen, die unsere Gesellschaft so dringend braucht – Krankenpfleger, Erzieherinnen, Polizisten –, sich eine Wohnung in der Nähe ihres Arbeitsplatzes leisten können", sagte er 2019. Es bereite ihm "große Sorgen", wie etwas so grundlegend ins Rutschen gerate, dass sich immer mehr Menschen richtig schwertun, eine leistbare Wohnung zu finden. Selbst wer ordentlich verdiene, lege "manchmal locker die Hälfte vom Lohn hin". Goldene Worte folgen: Die Landesregierung habe eine Offensive an den Start gebracht, da "es der Markt alleine sicher nicht richten wird".
Vier Jahre später steht Baden-Württemberg nicht besser da, sondern deutlich schlechter – trotz des eigens gegründeten Ministeriums für Wohnen und Landesentwicklungsplanung und trotz des neuen Strategiedialogs "Bezahlbares Wohnen und Innovatives Bauen". Unter anderem Kretschmanns einflussreicher Amtschef im Staatsministerium Florian Stegmann hat Mitte Juli im Kabinett über den Stand der Dinge berichtet und angekündigt, jetzt stehe "die Schärfung der Aufgaben und Fragestellungen für die kommenden Monate im Mittelpunkt". Ganz so, als lägen die nicht wie ein offenes Buch vor allen Verantwortlichen, und das seit vielen Jahrzehnten.
Jahrzehntelang nichts gelernt
"Die schwierige Lage auf dem Mietwohnungsmarkt ist besorgniserregend", räumte beispielsweise der zuständige Minister 1990 ein. Der hieß Dietmar Schlee (CDU) und drängte anhaltend auf mehr Geld vom Bund, insbesondere zwecks Unterstützung der Ballungsräume. Union und FDP in der Bundesregierung hatten die Wohnungsgemeinnützigkeit gerade abgeschafft. Damit verloren alle rund 1.800 (!) gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen ihre Steuerprivilegien. Eines der Argumente gegen die Gemeinnützigkeit von Wohnungsbau: Die Wohnungsnot der Nachkriegszeit sei überwunden. Für Ballungsräume wollten die Länderbauminister damals zumindest eine Begrenzung von Mieterhöhungen ernsthaft diskutiert wissen.
2 Kommentare verfügbar
J. Distel
am 01.09.2023Weitere wesentliche Punkte, die im Immobilienmarkt eine Rolle…