"Stakeholder" ist einer der Lieblingsbegriffe von Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut. Der Anglizismus steht sinnbildlich für die Sackgasse, in der der Wohnungsbau derzeit steckt, im "Dead End", wie manche Allianz-Mitglieder sagen. Die Bizerba-Gesellschafterin hat jedenfalls kurz nach ihrem Amtsantritt im Ministerium als erste Tat, wie sie selber sagt, "alle Stakeholder", sprich: Interessengruppen, zusammengetrommelt, rund 50 an der Zahl. Sie lockte mit der großen Vision, "für ausreichenden und bezahlbaren Wohnraum" zu sorgen zwischen Main und Bodensee. Nach nur einem halben Jahr und dem ersten Spitzengespräch versprach sie, "rasch die richtigen Schlüsse" aus den erarbeiteten Empfehlungen zu ziehen.
Es folgte ein weiteres Spitzengespräch und noch eines. Nach dem dritten stellte die Balinger Gemeinde- und Kreisrätin, die 2016 direkt an die Spitze eines neugeschnittenen Ressorts rotierte, in Aussicht, "die Genehmigungsverfahren im Wohnungsbau zu beschleunigen". Nach dem sechsten warnte sie davor, den "Mieterschutz in einer Weise zu überhöhen, dass private Investorinnen und Investoren in den Mietwohnungsbau abgeschreckt werden". Das siebente fand vor einer Woche in Zürich statt, ihm folgte – wieder einmal – eine Ankündigung, es würden Veränderungen in der Baurechtsordnung, "so schnell wie möglich in Kraft treten".
Für so viel Leerlauf sind aber nicht allein die landespolitische Quereinsteigerin und ihr Stab verantwortlich, sondern auch die Stakeholder. So befasst sich die Arbeitsgruppe "Miet- und Wohnungsrecht" in ihren aktuellen Empfehlungen mit dem Mietrechtsanpassungsgesetz und will verschiedene Aspekte dieses komplizierten Themas demnächst "in die bundespolitische Diskussion einfließen lassen". Dabei ist das Gesetz längst in Kraft. Vor allem steckt der Teufel nicht allein im Detail, sondern im großen Ganzen, weil eine Kardinalfrage ungeklärt ist: Wie viel Markt und wie viel Staat, nicht sollen oder können, sondern müssen sein im Wohnungsbau?
Nicht alle in der Wohnallianz wollen günstigen Baugrund
Die Ministerin selber war kürzlich in Wien. Viel Nachahmenswertes fiel ihr danach nicht ein. Beeindruckt hätten sie neben der Technologieoffenheit der Stadt die "hybriden Bauweisen", sagt sie nachher der "Badischen Zeitung". Dass buchstäblich alle maßgeblichen StadtpolitikerInnen in Wien finden, zentrale Teile des Wohnungsbaus müssten Marktmechanismen entzogen werden, blieb offenbar ohne größeren Eindruck. Sie arbeite "auf Hochtouren" an jenem im vergangenen Sommer vorgeschlagenen Kommunalfond, damit Städte und Gemeinden "selbst bauen". Das sei ein Ansatz, in dem "wir ein großes Potenzial sehen". Wien investiert Jahr für Jahr mindestens 300 Millionen Euro, manchmal sind es auch 400 oder noch mehr. Wäre das die Messlatte, müsste Hoffmeister-Kraut, pro Kopf gerechnet, für Baden-Württemberg mindestens eine Milliarde Euro in die Hand nehmen.
Vom Nachholbedarf ganz zu schweigen: Für CDU/FDP-Landesregierungen war Wohnungsbau, noch dazu leistbar, viel zu lange kein Thema. Der Markt zeigte auch kaum Interesse. 2010 wurden 20 000 Einheiten fertiggestellt. Inzwischen stehen dank der Bundesmittel alljährlich 250 Millionen Euro bereit, die aber mangels Flächen und baureifen Projekten nicht zur Gänze abgerufen werden. Auch deshalb sollen Teile in dem neuen Fond landen.
Eine weitere Erkenntnis aus dem Wien-Trip: Die Stadt kauft schon seit Jahrzehnten so lange Grundstücke auf, bis zusammenhängende Flächen entstehen. Erst dann werden sie als Bauland ausgewiesen. Dieses Vorgehen – i<link https: www.kontextwochenzeitung.de ueberm-kesselrand ulm-baut-selbst-4750.html _blank external-link>n Ulm gibt es eine ähnliche Praxis – hält die Preise niedrig. Ein Dorn im Auge mancher in der Wohnraum-Allianz. Erst am Wochenende bei der Mitgliederversammlung von <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik die-maer-von-den-mietnomaden-5200.html _blank external-link>Haus und Grund beklagte der Vorsitzende und frühere Stuttgarter Bürgermeister Klaus Lang (CDU), "wie der Sozialismus fröhliche Urständ' feiert".
Viele Exkursionen, falsche Schlüsse
Und noch eine Idee, die gerade in Wien zu besichtigen wäre, – vielleicht sogar von der CDU-Landtagsfraktion, die gerade auf Bildungsreise an der Donau ist – wird hierzulande verbissen bekämpft: Bis Ende Mai können sich Interessenten, auch private Hauseigentürmer in einem besonders eng bebauten Teil des 10. Bezirks online registrieren lassen, um von der Stadt kostenlose Tröge zur Fassadenbegrünung zu bekommen. Im Zielgebiet wird erprobt, wie innerstädtische Temperaturen unkompliziert um über zehn Grad zu senken sind. Schon im nächsten Jahr steht die Ausdehnung des Angebots auf alle Bezirke an. In Baden-Württemberg wird dagegen weiterhin polemisiert gegen die von Grün-Rot eingeführten Begrünungsvorschriften dort, wo andere Grünflächen fehlen.
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