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Polizeihochschule und "Letzte Generation"

Rechter Populismus gegen freie Lehre

Polizeihochschule und "Letzte Generation": Rechter Populismus gegen freie Lehre
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Sexuelle Belästigung, Nötigung, schwarzer Sumpf – bei der baden-württembergischen Polizei liegt einiges im Argen. Aber es gibt auch Ermutigendes: Die Polizeihochschule in Villingen-Schwenningen lud Vertreterinnen der "Letzten Generation" zum Disput mit Studierenden ein. Applaus von allen Seiten? Fehlanzeige.

Ahmad Mansour, der israelisch-palästinensische Psychologe mit deutschem Pass, war da, um über eine "solidarische Gesellschaft gegen Antisemitismus und Rassismus" zu sprechen. Und um dabei klarzumachen, dass "die Zahl der radikalisierten, extremistischen oder salafistischen Muslime in Deutschland, unabhängig von der von diesen ausgehenden Bedrohungen und Gefahren, unter den insgesamt fast fünf Millionen Muslimen prozentual gering ist". Ein früherer Göppinger Bereitschaftspolizist referierte über die 1960er Jahre und über einzelne Ausbilder, die im Zweiten Weltkrieg mitverantwortlich waren für Tausende Morde in von den Nazis besetzten Gebieten. Der Youtuber Firas Alshater, Verfolgter des mörderischen Assad-Regimes in Syrien und Buchautor ("Verstehe einer die Deutschen"), berichtete vom Leben als Flüchtling, als Asylbewerber und als "ganz normaler Berliner".

Die Polizeihochschule in Villingen-Schwenningen und gerade die Mitorganisator:innen unter den Studierenden sind stolz auf ihr "Studium Generale", zu dem auch solche Referierende gehören. Ausgewählt mit dem Anspruch, den Horizont von Schüler:innen und Auszubildenden zu erweitern, sind die regelmäßigen Veranstaltungen immer gut besucht – real oder im Netz –, immer lebhaft und anregend, wie Teilnehmende berichten, und die Themen lebensnah: vom Umgang mit Alkohol bis zur Gleichstellung. Interesse außerhalb der Hochschule weckt das Programm selten bis nie.

"Bild" heizt die Empörung an

Seit gut einer Woche ist alles anders, seit die "Bild"-Zeitung, in der Folge dann die "Welt" und viele andere Medien bis hin zu "tageschau.de" und "Neue Zürcher Zeitung" darüber berichteten, dass im Mai mehrere Klimaaktivistinnen der "Letzten Generation" vor rund 850 Zuhörer:innen auftraten. Eine übliche Zahl übrigens, weil die Reihe derart beliebt ist. In der Einladung diesmal hieß es, persönliche Beweggründe, Ziele, Maßnahmen und Aktionen sollten dargestellt werden. "Wieso wurde DAS erlaubt, die Klima-Kleber machen Werbung vor Polizei-Schülern?", ereiferte sich "Bild", "Unsere Staatsmacht scheint ihren Kompass komplett verloren zu haben."

Natürlich war von Werbung keine Rede, natürlich wurden viele kritische Nachfragen gestellt, natürlich wurde nichts erlaubt oder verboten. Und zwar weil für die Hochschule im Schwarzwald der Grundsatz der Freiheit von Forschung und Lehre gelte, wie es in einer ersten Reaktion des von CDU-Landeschef Thomas Strobl geführten baden-württembergischen Innenministeriums heißt. Auch ihren Kompass hat "unsere Staatsmacht" nicht verloren, eher schon die Junge Union Baden-Württemberg. Deren Vorsitzender Florian Hummel hält den Auftritt der Aktivistinnen für einen "handfesten Skandal". Die einzige Bühne für Kriminelle sei der Gerichtssaal, sagt er. Sogar mit Strobl legt sich der Parteinachwuchs an. "Die Reaktion des Innenministeriums ist für mich vollkommen unverständlich", so Hummel, der von der Freiheit für Forschung und Lehre offenbar nicht allzu viel hält, denn: "Das Innenministerium muss sicherstellen, dass diese Gruppe zukünftig keinen Zugang mehr zu Einrichtungen und Behörden des Landes hat."

AfD fabuliert von einer Unterwanderung der Polizei

Auslöser dieses Sturms im Wasserglas ist ein parlamentarischer Antrag der AfD-Landtagsfraktion vom 27. Juli. Darin will diese wissen, ob "die Polizeihochschule Baden-Württemberg durch die mutmaßlich kriminelle Vereinigung 'Letzte Generation' unterwandert wird" und fabuliert von einem "Netzwerk innerhalb der Polizei". Strobl teilt in seiner – vorab mutmaßlich durch die Antragsteller bekannt gemachten – Antwort mit, nicht informiert gewesen zu sein, verweist auf die Freiheit von Forschung und Lehre und erläutert sogar das didaktische Ziel der Hochschule: Das sei eine kritische Auseinandersetzung mit den Formen des Protests und der Organisation desselben durch das Bündnis gewesen. Und die Veranstalter sähen sich "durch die Vielzahl an unterschiedlichen Einwürfen und Fragen an die Angehörigen des Bündnisses darin bestätigt, dass dieses Ziel erreicht wurde". Aktivisti:innen in Pforzheim und Heilbronn seien ebenfalls zu Veranstaltungen von Hochschulen geladen worden.

Zudem erinnert Strobl daran, dass die Vereinigung nicht vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird. Das Staatsministerium hat darüber hinaus und ebenfalls auf Antrag der AfD mitgeteilt, dass sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) Anfang Juli einmal und Barbara Bosch, die Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, virtuell bereits zwei Mal mit Vertreterinnen und Vertretern der "Letzten Generation" ausgetauscht haben.

FDP will Aufklärung – und könnte es besser wissen

Der nächste Akt ist programmiert, weil nun auch die FDP-Fraktion im Landtag einen Antrag zur "umfassenden Aufklärung" der Vorgänge gestellt hat. Die Veranstaltung einigermaßen gedehnt interpretierend ist von "Kooperation der Polizei mit Aktivisten einer kriminellen Gruppierung" die Rede, und das sei "kein ganz normaler Vorgang", heißt es da. Außerdem möchte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Julia Goll Details zu den Lehrinhalten wissen. Sie hätte zum Telefon greifen können. Denn der Verantwortliche, Polizeidirektor Jürgen Renz, der in Villingen-Schwenningen Einsatz- und Führungswissenschaften lehrt, ist nicht nur Experte für Großeinsätze, sondern er wird immer wieder gefragt als Gesprächspartner in der Landeshauptstadt und darüber hinaus.

Dozent ohne Kompass

Die Aufregung war erheblich, als im vergangenen Spätwinter bekannt wurde, wie sich ein hoher früherer Polizeibeamter, der ehemalige Offenburger Polizeipräsident Reinhard Renter, an der Hochschule der Polizei in Villingen-Schwenningen benommen hat. Der dozierte und soll vor Master-Studierenden sexuelle Verhältnisse zu Kolleginnen als "nicht so schlimm" dargestellt haben. Viele Teilnehmer:innen beschwerten sich, auch weil die Aussagen als indirekte Unterstützung des – wegen des Vorwurfs der sexuelle Nötigung in erster Instanz inzwischen freigesprochen frühere – Inspekteurs der Polizei (IdP) Andreas Renner gewertet wurden. Das Innenministerium und die Hochschule prüften. Seit wenigen Tagen ist nun offiziell, dass Renter diese – ehrenamtliche – Aufgabe nicht mehr übernehmen wird. Auch Gastvorträge, hieß es, würden nicht mehr genehmigt. (jhw)

Zum Beispiel nach der sogenannten Stuttgarter Krawallnacht im Juni 2020 mit zwei Dutzend verletzten Polizist:innen und etlichen geplünderten Läden: Renz konnte genauen Einblick geben in die Dynamik von Einsätzen, wie eine Situation kippen kann oder Deeskalation durch Stärke funktioniert. Das Verhalten bei einer Schlägerei vor der Disko, einem aggressiven Ehepartner gegenüber oder der Umgang mit gewaltbereiten Fußballfans werde an der Hochschule in Rollenspielen trainiert, berichtete der frühere Stuttgarter Streifenbeamte damals. Dass ein Experte mit so langjähriger Erfahrung den Austausch mit der "Letzten Generation" beförderte, hätte die eilfertigen Kritiker:innen nachdenklich machen sollen. Und der neue, von Justizministerin Marion Gentges (CDU) hochgelobte Präsident des Oberlandesgerichts Karlsruhe Jörg Müller, der sich regelmäßig auf dem Kurznachrichtendienst Mastodon äußert, warb zudem um eine differenzierte Beurteilung der Klebeaktionen der Gruppe. Auch wenn sie nervten und manche Richter:innen sie für strafbar hielten: "Ziel dieses Protests ist der Erhalt unserer Lebensgrundlagen, nicht die Zerstörung unserer Gesellschaft." Kritische Diskussionen mit jungen Polizeibeamt:innen seien "daher ein normaler Beitrag zur Verständigung in einer Demokratie und kein Skandal", schreibt der Spitzenjurist.

Haldenwang stellt klar: "nicht extremistisch"

Der Innenexperte der Grünen-Fraktion im Landtag, der frühere Landesvorsitzende Oliver Hildenbrand, "kann die ganze aufgeregte Debatte nicht nachvollziehen. Die Stellungnahmen aus dem Innenministerium und aus der Hochschule für Polizei hätten deutlich gemacht, worum es ging: "Angehende Polizistinnen und Polizisten haben sich mit Fragen des Versammlungsrechts und mit aktuell heftig diskutierten Formen des Klimaprotests auseinandergesetzt." Mehr als sinnvoll sei, in der polizeilichen Ausbildung gesellschaftliche Debatten und Phänomene "kritisch reflektiert und praxisnah zu diskutieren".

Lohnender Gast im "Studium Generale" wäre im Nachgang zum Austausch mit den Klimaaktivistinnen und den zornigen Überreaktionen darauf der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz Thomas Haldenwang. Denn der nahm bereits im vergangenen November eine präzise Einordnung der "Letzten Generation" vor: Es handele sich zwar um eine "spezielle Gruppe", sagte er in einem SWR-Interview, die auch Straftaten begehe, aber allein das mache sie "nicht extremistisch". Extremistisch seien Gruppen immer dann, "wenn der Staat, die Gesellschaft, die freiheitlich demokratische Grundordnung infrage gestellt wird, und genau das tun die Leute ja eigentlich nicht". Die "Letzte Generation" sage im Grunde, so Haldenwang: "He, Regierung, ihr habt so lange geschlafen, ihr müsst jetzt endlich mal was tun, (…) anders kann man eigentlich gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System eigentlich respektiert, wenn man die Funktionsträger zum Handeln auffordert." Und warum eigentlich ist diese Auffassung nicht Allgemeingut unter sich für aufgeklärt haltenden Politiker:innen?


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11 Kommentare verfügbar

  • Notter
    am 31.08.2023
    Antworten
    Was hat die Polizeihochschule mit der letzten Generation gemeinsam? Beide begreifen den Irrsinn der Energiewende mit seinen ganzen verheerenden Folgen nicht ansatzweise.

    Man schaltete CO2-freie Atomkraftwerke ab und hat die einst bekämpften Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen, da man…
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