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Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre

"Struktureller Machtmissbrauch"

Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre: "Struktureller Machtmissbrauch"
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Inzwischen findet sogar Oliver Hildenbrand von den mitregierenden Landesgrünen drastische Worte für die Beförderungspraxis bei Baden-Württembergs Polizei. Thomas Strobl, dessen Innenministerium verantwortlich ist, äußert sich nicht inhaltlich.

Vergangenen Februar lehnte sich Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) weit aus dem Fenster und verglich einen Untersuchungsausschuss im Landtag mit einem Soufflé: Das Gremium, das gerade die Beförderungspraxis in der Landespolizei auf den Prüfstand stellt, brachte der stellvertretende Ministerpräsident mit dem aufgeblasenen französischen Dessert in Verbindung, um ihm so die Daseinsberechtigung abzusprechen. Inzwischen hat sich der Wind gedreht. Reihenweise Erkenntnisse über zweifelhafte Karrieresprünge liegen vor. Und Strobl sagte am vergangenen Dienstag, er sehe keinen unmittelbaren Handlungsbedarf für sein für die Polizei verantwortliches Ministerium – er wolle den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses nämlich nicht vorgreifen, das gebiete der Respekt. Jetzt auf einmal.

In der Kabinettsitzung vom 11. Juli 2023 vertritt der Innenminister nicht nur den erkrankten Winfried Kretschmann. Er kopiert den grünen Ministerpräsidenten sogar, indem er sich wie dieser seit Wochen hinter einer sogenannten "Linie" verschanzt: Die Arbeit der Parlamentarier:innen soll demnach erst bewertet werden, wenn der Abschlussbericht des Ausschusses vorliegt. Also irgendwann im Jahr 2024 oder sogar noch später.

Auf diese Weise verweigert die grün-schwarze Regierungsspitze im Schulterschluss die Realität. Längst berichten nicht nur Gewerkschafter:innen vom anschwellenden Unmut in den Reihen der Polizei. Manche Beamt:innen, heißt es, müssten sich sogar auf Familienfeiern oder im Urlaub verteidigen für die bekanntgewordenen Informationen zu den seltsamen Vorgängen an der Spitze der Landespolizei: von Sex-Affären bis zu Beförderungspraktiken, die an Klischees aus bösartigen Filmen erinnern. Dafür können die vielen Unbeteiligten nichts, auf den Ruf der gesamten Truppe färbt es trotzdem ab.

Immer neue Missstände treten zutage

Währenddessen werden immer mehr Missstände öffentlich. So wurde die jüngste Ausschusssitzung am vergangenen Montag, die inzwischen 15., mit Spannung erwartet. Insbesondere weil Christian Gehring als Zeuge gehört wurde. Der frühere Personenschützer und Schorndorfer CDU-Abgeordnete ist selber Ausschussmitglied, bestens vernetzt in der Polizei und vom früheren Präsidenten des Landeskriminalamts, Ralf Michelfelder, beschuldigt worden, ihn durch die Verbreitung haltloser Unterstellungen angeschwärzt zu haben, um Michelfelders Glaubwürdigkeit als Zeuge zu diskreditieren.

Wirklich ausräumen konnte Gehring die Vorwürfe nicht. Obwohl das Gremium wieder einmal bis kurz vor Mitternacht tagte, wird der konservative Polizeiexperte am 29. September, in der nächsten öffentlichen Sitzung, erneut antanzen müssen. Genauso wie Wilfried Klenk (CDU), der seit wenigen Tagen pensionierte Staatssekretär im Innenministerium. Klenk wurde zwar schon einmal angehört, soll jetzt aber konkret Auskunft geben zu seinen Kenntnissen über die inzwischen widerlegte Behauptung, Ex-LKA-Präsident Michelfelder habe bei seinem Abschied unter anderem sein Diensttelefon, seine Waffe und ein Tablet nicht abgegeben. Was alles nicht gestimmt hat.

Inzwischen vertieft sich auch der Keil zwischen den beiden Regierungsfraktionen im Ausschuss. Der grüne Abgeordnete Oliver Hildenbrand, Innenexperte und früherer Landesvorsitzender, sieht sich ganz offensichtlich dem Aufklärungsauftrag noch mehr verpflichtet als der Koalitionsdisziplin – und redet mittlerweile von einem "strukturellen Machtmissbrauch" im Innenministerium. Da müsste der grüne Ministerpräsident endgültig hellhörig werden.

Eigentlich wäre das längst überfällig. So muss sich mit Andreas Renner nicht nur der – zwischenzeitlich suspendierte – ranghöchste Polizist Baden-Württembergs aktuell wegen des Vorwurfs sexueller Nötigung vor Gericht verantworten. Nicht nur ist längst klar, dass Renners steile Karriere bis zum Inspekteur der Polizei (IdP) damit zusammenhängt, dass er der Wunschkandidat des Innenministeriums war. Renner hat auch noch mit seiner Entscheidung, einen Posten beim Landeskriminalamt, ohne die zwingend vorgesehene Ausschreibung neu zu besetzen, den damaligen LKA-Präsidenten Michelfelder so weit getriezt, dass dieser ankündigte, er würde den neuen Mitarbeiter nicht in seine Behörde lassen. Wenig später war Michelfelder in Pension und der umstrittene Mann im Amt.

Vor allem aber der Vizepolizeipräsident aus Karlsruhe, Hans Matheis, packt im Ausschuss aus und berichtet Details aus der eigenen Kariere, die trotz bester Noten nicht nach Plan verlief. "Schwuppdiwupp" sei ein anderer, nämlich Andreas Renner, an ihm vorbeigeschoben und LKA-Vizepräsident geworden. Inzwischen ist klar, warum: Renner hätte ohne diesen ungewöhnlich raschen Aufstieg nicht das Spitzenamt des IdP wahrnehmen können. Für Nachfragen zu diesem heiklen Thema fühlte sich Innenminister Strobl bei der Regierungspressekonferenz am Dienstag dennoch unzuständig.

Auch CDU-Fraktionschef Hagel wollte Renner als IdP

Bei einigen Komplexen könnte es sich lohnen, noch genauer hinzuschauen. Beispielsweise welche Rolle der CDU-Arbeitskreis Polizei in der Personalpolitik und bei der Beförderungspraxis spielte. Aus den Akten des Ausschusses geht hervor, dass sich Entscheider in der eigenen Partei angedient haben, um in Personalfragen behilflich zu sein. Ebenfalls spannend ist, wie genau der heutige Migrationsstaatssekretär Siegfried Lorek (CDU) mitmischte, ein enger Weggefährte Renners, dessen Name in schon so vielen Zeugenaussagen auftauchte und der irgendwann im Herbst selber vor den Ausschuss muss.

Auch die Zeitabläufe sind interessant. Renners wichtigste Karrieresprünge fanden 2019 und 2020 statt. Manuel Hagel, inzwischen CDU-Fraktionschef, war damals Generalsekretär der Partei und machte seinem Landesvorsitzenden, also Innenminister Strobl, die Beförderung des Spitzenbeamten Renner, Jahrgang 1973, schmackhaft mit dem Hinweis, dass auf viele Jahre eine Schüsselposition mit einem Vertrauten besetzt werden könnte. Gut möglich, dass Hagel insgesamt in den Fokus kommt. Kritiker:innen bemängeln, dass sich der Fraktionschef, um überhaupt nicht mit den aufzuklärenden Komplexen in Verbindung gebracht zu werden, nicht zum stellvertretenden Mitglied im Ausschuss hat berufen lassen. Das heißt aber, es dürften ihn aus nicht öffentlichen Sitzungen ganz und gar keine Infos erreichen. Insofern ist abzuwarten, welche Details ihm vom Kollegen Gehring über die Ausschussarbeit bekannt sind.

Die Opposition hirnt derweil, wie die Blockade gerade im Staatsministerium durchbrochen werden könnte. Immer und immer wieder verlangen Sascha Binder (SPD) und Julia Goll (FDP), Ministerpräsident Kretschmann müsse endlich reagieren. Jetzt erst recht, seit sogar der grüne Hildenbrand "Machtmissbrauch" ortet. "So hatten wir den Untersuchungsausschuss in der Kurzform übrigens nennen wollen", erinnert Goll, die Liberale mit der Erfahrung als Staatsanwältin. Die damals ausgelöste Aufregung war immens. "Hysterisch, provokant und aggressiv" sei dieses Vorgehen, schimpfte damals Andreas Deuschle, Fraktionsgeschäftsführer der CDU, der in dem Namensvorschlag eine Vorverurteilung erkennen wollte.

Inzwischen und angesichts der aufgedeckten Zusammenhänge kann davon nicht mehr die Rede sein. Dafür wächst die Spannung, was Winfried Kretschmann, der bisher so unverbrüchlich an der Seite von Strobl steht, unternimmt, wenn irgendwann der Abschlussbericht tatsächlich auf dem Tisch liegt. Dann muss manche Einschätzung in sich zusammenstürzen. So ähnlich wie ein nicht gelungenes Soufflé.


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6 Kommentare verfügbar

  • Frieder Kohler
    am 13.07.2023
    Antworten
    Der Aufstieg der "Renners" in der Polizei hat nichts mit Berg- oder gar Marathonläufen zu tun, auch die durchtrainierten BergsteigerInnen würden sich weigern, diese gedopten Mitläufer in eine Mannschaft aufzunehmen. Höhenerprobte Bergführer würden schon bei der Überprüfung der Ausrüstung…
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