Tatsächlich ebbte das Interesse an der parlamentarischen Aufklärungsarbeit ab, nachdem Innenminister Thomas Strobl die beiden stundenlangen Vernehmungen im vergangenen Spätherbst leidlich überstanden hatte. Die Affäre um den an einen StN-Journalisten weitergereichten Brief des Anwalts von IdP Andreas Renner, der Umstand, dass der Minister die Justiz wochenlang nach einem Leck suchen ließ, das er selbst war, reichte noch nicht für bundesweite Schlagzeilen, für Klicks und Quote. Das änderte sich allerdings auf einen Schlag mit Beginn des Strafprozesses gegen den IdP: "Spiegel" und "Bild" stiegen ein.
Der Polizeiinspekteur als Opfer?
Ersterer trägt viele Indizien zusammen, zitiert aus der Anklageschrift: "In den wenigen Minuten vor der Kneipe soll Renner XXXXXXXX XXX XXX XXXX XXX XXXXXXXXX XXX XXXXX XXXXX XXXXXXXX XXXXX XXXXXX XXXXX (…) die junge Beamtin habe sich 'hintergangen und missbraucht' gefühlt, sagt sie und spricht von 'Ekel'." Die Zeitung mit den großen Buchstaben führt den Begriff "XXXXXXXX" ein, über den sich der Schorndorfer CDU-Landtagsabgeordnete Christian Gehring, früher mal selbst Personenschützer, derart ereiferte, dass er ihn gleich auch noch in der Landtagsdebatte zitierte mit dem schrägen Appell: "Wir alle haben hier eine Verantwortung, mit diesem Fall so umzugehen, dass weitere Viktimisierungen unterbleiben."
Viktimisierung ist ein spannender Begriff in diesem Zusammenhang, weil sich die Frage stellt, wer hier wen zum Opfer zu machen versucht. Gehring sitzt für seine Fraktion im parlamentarischen Untersuchungsausschuss und ist regelmäßig bemüht, die Spitzen in Innenministerium und Polizei durch relativierende Nachfrage in besseres Licht zu rücken. Etwa, wenn er im Zusammenhang mit dem ganz ungewöhnlich schnellen Aufstieg des IdP Renner wissen will, ob Beamte aus Leistungsgründen oder wegen ihres Parteibuchs Karriere machen. Natürlich gibt der Staatssekretär Wilfried Klenk (CDU) aus dem Innenministerium die zu erwartende Antwort.
Nicht nur hinter vorgehaltener Hand, sondern im Strafprozess ganz offiziell viktimisiert ist die Kriminalhauptkommissarin, die die Causa ins Rollen gebracht hat. Sie hat ihren heimlichen Mitschnitt eines Skype-Gesprächs mit dem IdP dem Gericht übergeben, und das ließ den Mitschnitt als Beweis zu. Im Publikum raunen nicht nur Männer, die Frau hätte sich doch nicht hergeben müssen für das stundenlange Zusammensein mit dem Vorgesetzten. Die Verteidigung stellt die Nebenklägerin ohnehin als Lügnerin dar, die vorsätzlich die "Me too"-Bewegung für sich instrumentalisiert habe.
Ein Danke an die Polizistin
Im Landtag wird ein ganz anderes Bild von der 34-Jährigen entworfen. Nicht nur von SPD und Liberalen, sondern bemerkenswerterweise ebenso von Petra Häffner, der Polizeiexpertin der Grünen: "Stellen wir uns einen Moment lang vor, der Vorgang wäre nicht zur Anzeige gebracht worden: kein Skandal, kein Untersuchungsausschuss, kein Medienrummel, die feuchtfröhlichen Freitagnachmittagsstunden wären lediglich polizeiinterner Gesprächsstoff und es gäbe halt noch ein paar junge Polizistinnen, die den sexuellen Avancen ihres Inspekteurs ausgesetzt wären." Sie danke der Polizistin, "die den Mut hatte, diese Lawine loszutreten".
Und die rollt. So sehr, dass sich Innenminister Thomas Strobl (CDU) höchstpersönlich zu einem Befreiungsschlag aufgerufen fühlt, von dem man aber nicht weiß, wohin er noch führen mag. "Unabhängig vom Strafverfahren und dessen Ausgang liegen Sachverhalte auf dem Tisch" – so hat Strobl als oberster Dienstherr und Disziplinarvorgesetzer dem IdP den Stuhl vor die Tür gestellt und natürlich belastende gemeint. Er könne sich eine Rückkehr Renners ins Amt "persönlich nur schwer" vorstellen. Prozessbeobachter:innen wiederum können sich nur schwer vorstellen, dass der Angeklagte Renner, früher vom Minister ausgesprochen herzhaft gefördert, freigesprochen wird. Wenn doch, hätte sich der Innenminister – wieder einmal – in eine höchst unbequeme Situation manövriert, betont er doch regelmäßig, dass der Ausgang des Straf- im Disziplinarverfahren von Bedeutung sein werde. Die Landespolizeipräsidentin wiederum erwartet ein faireres Verfahren – "in beide Richtungen".
Ex-Chefs fanden Renner nicht geeignet
Aus den Schlagzeilen kommen die Führung der Polizei und das dortige Fußvolk noch lange nicht. Weitere fünf Gerichtstermine sind schon angesetzt. Im Untersuchungsausschuss warten noch rund 40 Zeug:innen darauf, gehört zu werden. In Bälde wird der frühere Präsident des Landeskriminalamts Ralf Michelfelder befragt werden – unter anderem dazu, warum er den späteren IdP schon 2019 für ungeeignet gehalten habe, sein Stellvertreter zu werden. Eine Station übrigens, die für den Blitzaufstieg zum ranghöchsten uniformtragenden Polizeibeamten in ganz Baden-Württemberg dringend notwendig war. Ein zweiter Ruheständler, der frühere Landespolizeipräsident Gerhard Klotter, saß schon auf dem für so manchen heißen Stuhl im Plenarsaal und machte deutlich, dass er gern jemand anderen auf der IdP-Position gesehen hätte. Und in seiner Amtszeit habe es im Hause sicherlich keine Sektrunden gegeben.
Klotter war im Amt von 2013 bis 2020, also schon in der Ära des Strobl-Vorgängers Reinhold Gall (SPD). Die CDU will entgegen ihrer anfänglichen Absicht, den Ausschuss rasch hinter sich zu bringen, inzwischen dessen Tätigkeit zeitlich ausdehnen – und zwar nach hinten: Die fünf Jahre, in denen das Ressort sozialdemokratisch geführt wurde, sollen mit ins schlechte Licht gerückt werden. Gehring schießt in der Landtagsdebatte neben seinem Verweis auf die "Bild"-Schlagzeile noch einen zweiten Vogel ab, indem er allgemeine Zurückhaltung anmahnt und einen Bogen konstruiert von den Vorwürfen gegen Strobl, Hinz und den IdP zu Ex-Bundeskanzler Gerhard Schöder: "Ich würde nie auf die Idee kommen, den geschätzten Kolleginnen und Kollegen der SPD-Landtagsfraktion hier Vorwürfe zu machen, weil ihr Parteikollege Gerhard Schröder mit der AfD in der Russischen Botschaft Party gemacht hat." Sehr lauter Zwischenruf des sonst eher nobel zurückhaltenden Hechinger FDP-Abgeordneten Rudi Fischer: "Nebelkerzen!"
Es wird über Bauernopfer spekuliert
Insgesamt könnte die Opposition eine Strategie gefunden haben, um für die Union lästige Details zum Gegenstand des Ausschusses werden zu lassen. Zum Beispiel den Verzicht der Landespolizeipräsidentin auf die Beschlagnahmung von Renners privatem Handy, obwohl bekannt war, dass der damit einen großen Teil seiner Kommunikation abwickelte. Auch dass dessen Bestellung auf Strobls alleinigen Wunsch zurückgegangen war, wird die Abgeordneten noch öfters beschäftigen. Während der Debatte über die Führungs- und Fehlerkultur war es über weite Strecken so still wie selten im Plenarsaal. Selbst Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ließ sich, vielleicht sogar zum ersten Mal überhaupt, konfrontieren mit den vielen schrägen Einzelheiten des komplexen Falls. Unterdessen hockte sein angezählter Vize Strobl mit hochrotem Kopf neben ihm und starrte angestrengt Löcher in die Luft.
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Jue.So Jürgen Sojka
am 21.06.202313. Sept. 2021 „Systematische Missachtung des Freiheitsgrundrechts
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