KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

100. Todestag von Albert Leo Schlageter

"Märtyrer" der extremen Rechten

100. Todestag von Albert Leo Schlageter: "Märtyrer" der extremen Rechten
|

Datum:

Albert Leo Schlageter war ein ehemaliger Freikorpskämpfer und Rechtsterrorist in der Weimarer Republik. In rechtsextremen Kreisen wird er bis heute als Märtyrer verehrt. Auch in Baden-Württemberg.

Die Neonazi-Kleinstpartei "Der Dritte Weg" feierte über Pfingsten bundesweit das "Aktionswochenende zum 100. Todestag von Albert Leo Schlageter". Mit Fackeln, Selbstgedichtetem und Wanderungen. Auch in Schönau, Schlageters Geburtsort im Schwarzwald, wurde gewandert. In Göppingen, Baden-Württemberg, stellten Rechtsextreme ein Schlageter-Portrait und zwei Grabkerzen mit Parteilogo an einem ehemaligen Denkmal auf. "Ich gab mein Leben für Deutschland und was gibst du?", heißt es auf dem Bild. Aber nicht nur der Dritte Weg feiert derzeit den Rechtsterroristen der Weimarer Republik. Albert Leo Schlageter, am 7. April 1923 in Essen verhaftet und am 9. Mai von einem französische Militärgericht in Düsseldorf "wegen Spionage und Sabotage" zum Tod verurteilt, wird in Neonazi-Kreisen bis heute als Märtyrer verehrt.

Von Militärgericht zum Tod verurteilt

Im Todesjahr Schlageters, 1923, drohte der Weimarer Staat zu zerbrechen. Ohnmächtig sank die junge deutsche Republik in Richtung Abgrund. In den Morgenstunden des 11. Januar 1923 marschierte Frankreichs Armee in das Ruhrgebiet ein, um die vom Versailler Friedensvertrag festgeschriebenen Reparationsleistungen zu sichern.

Frankreich besetzte die entmilitarisierte Industrieregion zweieinhalb Jahre lang und transportierte Hunderttausende Tonnen Kohle und Holz ab, weil Deutschland nicht pünktlich an Frankreich geliefert hatte, das Land, das die deutsche Armee im Ersten Weltkrieg zu weiten Teilen verwüstet hatte.

Die Besetzung war der Beginn der Ruhrkrise und in der Folge auch der Beginn der Hyperinflation. Dem nationalistischen Aufschrei nach dem Einmarsch folgte die Aufrüstung der extremen Rechten mit Hilfe der Reichswehr, toleriert von der Reichsregierung. Die Finanzierung des passiven Widerstandes in Deutschland, dem sich postwendend der aktive Widerstand anschloss, beschleunigte die wirtschaftliche Krise bis zum Kollaps.

Der aktive Widerstand gegen die Franzosen verübte im März und April 1923 Sabotageaktionen in Form eines Kleinkrieges im besetzten Gebiet. Die Beteiligten sprengten Eisenbahngleise und Brücken, um den Abtransport von Brennstoffen nach Frankreich zu unterbinden, verübten Anschläge auf Einrichtungen der Besatzungsmacht und griffen einzelne Angehörige der fremden Truppen an.

Ab Ende Februar 1923 nahm Schlageter am Ruhrkampf teil. Das Zitat "Ihr werdet erleben, wie sie unser Land verschachern, um ihre eigene erbärmliche Macht zu sichern", eine Polemik auf die Regierung der Weimarer Republik, wird ihm zugeschrieben. Das Mitglied der NSDAP-Tarnorganisation "Großdeutsche Arbeiterpartei" führte unter anderem am 15. März 1923 bei Kalkum einen Anschlag auf die Bahnlinie Düsseldorf – Duisburg durch. Anfang April wurde der ehemalige Freikorpskämpfer in Essen verhaftet und am 9. Mai von einem französische Militärgericht in Düsseldorf wegen Spionage und mehrerer Sprengstoffanschläge zum Tode verurteilt. Am 26. Mai 1923 wurde Schlageter auf der Golzheimer Heide bei Düsseldorf erschossen.

Szeneportale gedenken Schlageters

Geboren wurde Schlageter 1894 in Schönau im Schwarzwald. Im Ersten Weltkrieg war er Freiwilliger beim 5. Badischen Feldartillerie-Regiment. Er kämpfte 1919 mit dem Freikorps des Hauptmanns Walter von Medem im Baltikum, schlug in Reihen der Marine-Brigade Loewenfeld 1920 den kommunistischen Aufstand im Ruhrgebiet nieder und wütete 1921 mit dem Sturmbataillon Heinz Hauenstein im damaligen Oberschlesien. Seine Einheit war 1920 am "Kapp-Putsch" gegen die Weimarer Republik beteiligt. Schlageter soll zumindest Kontakt zu Mitgliedern der NSDAP gehabt haben.

Die Beerdigung von Schlageter "wurde zu einer riesigen Manifestation des Patriotismus", ist im "Compact"-Themenheft "1923-2023" vom Januar zu lesen. Das "Compact"-Magazin um Herausgeber und Chefredakteur Jürgen Elsässer wird vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuft. Nach seinem Tod wurde Schlageter zum "'Blutzeugen' der NSDAP" gekürt, steht in der aktuelle April-Ausgabe von "Zuerst!", dem "deutschen Nachrichtenmagazin". Schlageter "sollte jedem geschichtsbewussten Nationalisten bekannt sein", propagiert auch die neonazistische Postille "NS Heute" in ihrer aktuellen Ausgabe.

Auch Teile der kommunistischen KPD versuchten Schlageter nach dessen Tod strategisch für sich zu instrumentalisieren, um auch Bürgerliche gegen den "Siegeszug des Entente-Kapitals" zu gewinnen. "Schlageter, der mutige Soldat der Konterrevolution, verdient es, von uns Soldaten der Revolution männlich-ehrlich gewürdigt zu werden", formulierte Karl Radek wenige Monate nach Schlageters Hinrichtung in einer Rede vor der Kommunistischen Internationale. Was nach massiven innerparteilichen Zerwürfnissen allerdings nur selten zur Zusammenarbeit der KPD mit Nationalisten führte. Die "Schlageter-Linie" wurde wenige Monate später wieder aufgegeben.

Dafür erhob Hitler Schlageter in öffentlichen Reden zur Lichtgestalt. Landesweit wurden Denkmäler errichtet. Für die NSDAP, die seit Januar 1923 einen starken Zulauf verzeichnete und im November 1923 etwa 55.000 Mitglieder in ihren Reihen zählte, sowie der mit ihr verbündeten "Arbeitsgemeinschaft der Vaterländischen Kampfverbände" (ca. 30.000 Mitglieder) avancierte Schlageter zum Märtyrer und Vorbild.

Leben und Sterben des "Nationalhelden" wurden zuletzt auch beim dritten Seminar der Arbeitsgruppe "Feder&Schwert" des "Dritten Wegs" thematisiert. Darüber hinaus soll in einer Livesendung auf Telegram Schlageters Leben, Wirken und dessen Bedeutung "für uns" näher beleuchtet werden. Auch bei der NPD steht Schlageter weiterhin hoch im Kurs. In der Mai-Ausgabe der "Deutschen Stimme" wird verkündet, dass Schlageter "wie kein anderer Beteiligter (...) bis heute für den aktiven deutschen Widerstand gegen die französische Besetzung des Ruhrgebiets" stehe. Beim NPD-Materialdienst ist der "Taschenkalender des nationalen Widerstandes" zu erwerben. "Der bekannte patriotische Jahrweiser erinnert wieder an epochale historische Ereignisse und Persönlichkeiten, die Geschichte schrieben", 2023 ziert Schlageter den Titel.

"Mit der allergrößten Begeisterung"

Die Heldenverehrung von Schlageter zelebrierten Rechtsextremisten auch nach der militärischen Niederschlagung des Nationalsozialismus weiter. Im Sommer 1977 gründete der spätere Rechtsterrorist Odfried Hepp eine "Wehrsportgruppe Schlageter", die er parallel zur mittlerweile verbotenen "Wiking-Jugend" aufbaute. Im Gespräch mit "Endstation Rechts", einer Initiative gegen Rechtsextremismus, führte Hepp, der schon vor Jahrzehnten dem Neonazisein abschwor, aus: "Albert Leo Schlageter stammte wie ich aus dem Schwarzwald und war unser großes Vorbild und Nationalheld. Ich war zwölf Jahre alt, als ich 1970 das erste Mal bei der jährlichen Gedenkfeier zu seinem Todestag mit Tränen in den Augen an seinem Grabe stand. Schlageter war ja einer von vielen Freikorpskämpfern nach dem Ersten Weltkrieg, deren Erinnerungen in Buchform wir jungen Nationalisten 50 Jahre nach seinem Märtyrertod, wie wir es sahen, mit der allergrößten Begeisterung verschlangen."

2013, anlässlich des 90. Todestages von Schlageter, gedachte die neonazistische "Europäische Aktion" dem "Märtyrer" im bayerischen Landsberg am Lech. Dort befand sich ein Gedenkstein für Schlageter. Dieser erste Gedenkstein – mit Name und Todestag auf der Vorderseite und der Widmung "Den Helden von Ruhr und Rhein" auf der Rückseite – war knapp einen Monat nach der Hinrichtung von Schlageter aufgestellt worden. Dort geriet er nach und nach in Vergessenheit, bis er im November 2006 von antifaschistischen Künstlern beseitigt wurde. "Der Versuch der Systemlinge, Schlageter aus dem Gedächtnis unseres Volkes auszulöschen, muß und wird am Bekenntnis nationalbewußter Deutscher zu ihren Freiheitshelden scheitern", lamentierte daraufhin die Neonazi-Zeitschrift "Volk in Bewegung".

Zum 100. Todestag liegen an dessen Grab in Schönau Kränze. "Unserem Volkshelden Schlageter zum Ehrenden Gedenken. Im Namen deutscher Verbindungsstudenten und ihren lieben Damen." Der "Dritte Weg", so steht es auf dessen Homepage, hat Kerzen dazugestellt und "Rauchfackeln entzündet".


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • Fiedler Helmuth
    am 31.05.2023
    Antworten
    Nicht vergessen: Auch Martin Walser hatte (einst?) ein verharmlosendes Faible für Schlageter...
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!