Knapp zwei Monate nach dem Verbot der Neonazi-Gruppierung "Combat 18" hat Bundesinnenminister Horst Seehofer am 19. März erneut eine rechtsextreme Vereinigung verboten: die auch in Baden-Württemberg aktive Gruppe "Geeinte deutsche Völker und Stämme" (GdVuSt) und deren Teilorganisation "Osnabrücker Landmark". Damit wurde auf Bundesebene erstmals eine "Reichsbürgervereinigung" verboten.
Die Durchsuchungen bei 21 führenden Vereinsmitgliedern erfolgten zeitgleich in Berlin, Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Sachsen und Thüringen. Sichergestellt wurden unter anderem Schusswaffen, Baseballschläger, drei abgesägte Schrotflinten, drei Armbrüste, zwei Macheten, eine Zwille, ein japanisches Kampfschwert, Propagandamaterial sowie geringe Mengen Betäubungsmittel.
Die 2016 gegründete Gruppierung mit erheblichem Gefahrenpotenzial hat nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden 21 Mitglieder und verfügt über ein bundesweites Umfeld von über 100 Personen.
Zur Umsetzung des Verbots wurden in Baden-Württemberg zeitgleich vier Objekte in den Regierungsbezirken Karlsruhe und Freiburg durchsucht, Vereinsvermögen beschlagnahmt sowie Beweismittel sichergestellt. Sechs Funktionsträgern und Mitgliedern des GdVuSt wurde die Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums zugestellt. Insgesamt waren unter Leitung des Polizeipräsidiums Karlsruhe und Beteiligung der Polizeipräsidien Mannheim, Freiburg und Pforzheim rund 60 Beamtinnen und Beamte der Polizei im Einsatz. Das Verbot erfolgt auf Grundlage von Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 3 des Vereinsgesetzes. Die Zwecke und Tätigkeiten des GdVuSt laufen den Strafgesetzen zuwider, richten sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung.
Spinner sind nicht automatisch Pazifisten
Dem Milieu der "Reichsbürger" gehören in Baden-Württemberg rund 3.200 Personen (Stand 31.12.2019) an. Davon werden 130 Personen dem gewaltorientierten Spektrum zugerechnet. "Reichsbürger" erkennen Gesetze und Behörden nicht an und wehren sich teilweise gewaltsam gegen staatliche Maßnahmen. Bundesweit soll es nach Angaben des Verfassungsschutzes rund 19.000 Mitglieder dieser Szene geben, deren Aktivisten als extrem waffenaffin gelten. "Reichsbürger" wurden lange Zeit von den Sicherheitsbehörden als Spinner, Querulanten und Esoteriker verharmlost – bis am 19. Oktober 2016 der antisemitische "Reichsbürger" Wolfgang Plan im fränkischen Georgensgmünd einen 32-jährigen SEK-Polizisten erschoss und mehrere SEK-Beamte verletzte. Erst seit dieser Terrortat nehmen die Sicherheitsbehörden die Gefahr ernst.
Das Durchschnittsalter der "Reichsbürger" liegt zwischen 40 und 60 Jahren. Die Szene ist mit einem Anteil von ungefähr drei Vierteln männlich dominiert. Der Frauenanteil von rund 25 Prozent ist im Vergleich zur rechtsextremen Szene (20 Prozent) höher. Frauen sind im Spektrum der diversen "Reichsbürger"-Gruppierungen teilweise in wichtigen Funktionen in der Szene aktiv. So steht an der Spitze von GdVuSt die aus Melle (Landkreis Osnabrück) stammende und in Berlin lebende Heike Werding.
Die 1961 geborene Werding, "Präsidentin" der reorganisierten "Gemeinde Osnabrücker Landmark e.V." und "Generalbevollmächtigte Botschafterin" der GdVuSt, verbreitete ihre verschwörungsideologische Propaganda auf einem Blog und seit 2012 auf einem eigenen YouTube-Kanal mit 21.000 AbonnentInnen. Insgesamt wurden ihre Videos fast zwei Millionen Mal angeschaut. In einem ihrer Videos vom November 2019 thematisiert Werding das Thema "Impfzwang". Ihrer Auffassung nach gibt man Kinder nach der Geburt zum Impfen ab, damit Konzerne dann rentable Profite machen können. Warum sich Werding in der Öffentlichkeit engagiert, erklärt sie in einem anderen Video: "Mein Ziel ist es, dass die Volksseele wieder aufsteht."
Im September 2018 stand Werding dem selbsternannten "Volkslehrer" Nikolai Nerling, einem im Internet überaus umtriebigen Rechtsextremisten und notorischen Holocaust-Leugner, als Interviewpartnerin zur Verfügung. Am 21. und 22. September 2019, so eine Vortragsankündigung, referierte Werding vor Gleichgesinnten in Stuttgart zum Thema "Grundlagen der Selbstbestimmung". Rechtsextreme und antisemitische Vorstellungen gibt es auch bei den GdVuSt. Etwa dass die Menschen in Deutschland seit Ewigkeiten von Juden und ihren Helfern unterdrückt würden. Auch Angela Merkel sei jüdisch. Das 1871 gegründete Deutsche Reich sei ein Staat "von Juden für Juden" gewesen.
Fantasiepapiere statt Personalausweis
GdVuSt diskreditiert die Bundesrepublik als minderwertige "Staatsform" und "Handelskonstrukt" und will diese durch ein Staatsgebilde höherer Wertigkeit ersetzen. Staatliche Institutionen werden von der Vereinigung nicht anerkannt, sondern verächtlich gemacht. Dafür "reaktivieren" die "Reichsbürger" die aus ihrer Sicht bestehenden alten "natürlichen" Gebietskörperschaften ("die germanischen Erstbesiedlungsrechte"), um einen neuen Staat schaffen zu können. GdVuSt definiert sich als "eine Initiative, in der Menschen sich an die Werte alter Strukturen erinnern und diese wieder aufbauen, in denen wir gemeinsam frei, gesund und voller Freude leben können. Die Grundlage dazu bieten die höchsten Rechte der Lebendigen auf dieser Erde, die es aus der Macht des Handels zurück zu erwirken gilt. (...) Wir gehen über hundert Jahre zurück. Hier ruht eine Basis, welche darauf wartet, wieder belebt zu werden."
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