2011 dann der Schock: Mit dem Bekanntwerden des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) bestätigten sich unsere schlimmsten Befürchtungen. Wehrsport, Waffen, Terrorgruppen. Die Namen von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt waren für all diejenigen keine Unbekannten, die sich mit der auffällig militanten rechten Szene in Thüringen seit den 1990er-Jahren beschäftigt hatten.
Aber staatliche Stellen bremsten jegliche Enthüllungen über rechten Terror als Alarmismus aus. Als die ersten Menschen dem NSU bereits zum Opfer gefallen waren, lautete die Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz in dem internen Papier "Gefahr eines bewaffneten Kampfes deutscher Rechtsextremisten": "Für einen planmäßigen Kampf aus der Illegalität heraus, wie ihn auf linksextremistischer Seite die ‚Rote Armee Fraktion’ (RAF) führte, fehlt es derzeit bei Rechtsextremisten nicht nur an einer Strategie zur gewaltsamen Systemüberwindung, sondern auch an geeigneten Führungspersonen, Logistik, finanziellen Mitteln sowie einer wirkungsvollen Unterstützerszene." Wer sich mit der Entstehung der Geheimdienste seit 1945 beschäftigt, weiß, auf welchem Auge die Inlandsgeheimdienste blind sind. Wenn von "Schuld" im Zusammenhang mit dem NSU gesprochen werden kann, dann trifft sie mindestens dieses Amt. Die von Erzkonservativen ersonnene Extremismustheorie, Linke den Rechten gleichzusetzen, die nicht nur der Polizei in Leib und Magen übergegangen zu sein scheint, leistete bis heute einen Bärendienst. Es kostet viel Mühe, Kraft und Engagement, gegen staatliche Verharmlosungen die Stimme zu erheben.
Die Bevölkerung ist nicht einmal empört
Spätestens seit den Enthüllungen rund um Verbrechen des NSU-Netzwerks hätten alle, die sich intensiv mit dem Verfahren gegen Beate Zschäpe in München oder mit den vielen Untersuchungsausschüssen zum NSU beschäftigen, klar sein müssen, dass unser Erschrecken, die mediale Empörung über den NSU, vom Großteil der Bevölkerung nicht geteilt wird. Warum ist das so? Waren die rund sechs Millionen Wähler überhaupt zu erreichen, die bei der letzten Bundestagswahl für die AfD votierten? Die Pegida-Massen machen heute nicht mal mehr einen Hehl aus ihrer Radikalität. Unrechtsbewusstsein und Fairness scheinen bei ihnen nicht mehr zu gelten, das haben fast alle MedienvertreterInnen vor Ort erlebt.
Schon 2008 hatten wir mit einem Buch auf die "Neonazis in Nadelstreifen" hingewiesen. Regelmäßige wissenschaftliche Studien der Universität Bielefeld und der Friedrich-Ebert-Stiftung warnten früh vor Demokratiemüdigkeit, Rassismus und Menschenfeindlichkeit. Ein paar Jahre später, der Fokus unserer Recherchen lag noch auf dem NSU, zeigten sich die ersten Anzeichen eines entstehenden rechten Bürgermobs. Zum ersten Mal erlebte ich es hautnah 2013 bei gewaltsamen Aufmärschen gegen Roma in Tschechien. Kurze Zeit später wurde das Paktieren zwischen Rechtsextremen und Mittelstand bei den harmlos klingenden "Lichtelläufen" im Erzgebirge mehr als deutlich. Wurden die Beifallklatschenden in Rostock-Lichtenhagen Anfang der 1990er-Jahre noch überwiegend in "bildungsfernen Schichten" ausgemacht, so ließ sich jetzt eine Verrohung des Bürgertums beobachten.
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Josef Tura
am 18.11.2019