Das Problem ist, dass sich zwei rechtsstaatlich sinnvolle und notwendige Erfordernisse gegenüberstehen, die einander ausschließen: Es geht ums Recht auf Vergessen und zugleich um möglicherweise künftige Ermittlungen. Immer wieder machte der Vorsitzende beider Ausschüsse, der frühere SPD-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Drexler, auf die Bedeutung dieses Themas aufmerksam. So zum Beispiel als es um die Verbindungen von Florian Heilig zu Rechtsextremen ging – es gab ein Foto, auf dem er den rechten Arm hob. Ohne Schredder-Verbot wäre das Bild vernichtet worden.
Rückkehr zu gesetzlichen Löschfristen unwahrscheinlich
Bube berichtete, wie sie in ihrem Haus darauf bestanden habe, alle einschlägigen Akten zu behalten. Zugleich musste sie sich verteidigen, weil sie die entsprechende Anordnung erst im Sommer 2012 erlassen hatte. Es habe sich eben um eine "sehr weiträumige Maßnahme" gehandelt. In reichlich wolkigen Sätzen beschrieb sie das Vorgehen in den Wochen zuvor: "Es hat keine Vernichtungen gegeben, die hier tatsächlich nur annähernd eine Relevanz haben können, und insoweit würde ich das mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor definitiv ausschließen."
Auch Andere wissen um die Problematik, vor allem im Umgang mit elektronischen Beständen. Sachsen-Anhalts Landesbeauftragter für Datenschutz Harald von Bose greift die komplexe Materie schon 2013 in seinem Tätigkeitsbericht auf. "Natürlich ist man verleitet festzustellen, dass die Aufklärung der Vorkommnisse durch den Untersuchungsausschuss Vorrang haben muss", steht da zu lesen, "die entsprechende Interpretation der bestehenden Rechtslage erscheint aber nicht zwangsläufig." Und von Bose erinnert daran, dass die personenbezogenen Daten grundsätzlich zu löschen seien, "wenn sie zum Zweck der Gewinnung von Erkenntnissen für den Bundestagsuntersuchungsausschuss oder für entsprechende konkrete Anfragen auf Landesebene nicht mehr benötigt werden". Für Sachsen hält der Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig zugleich die Rückkehr zu den gesetzlichen Löschfristen für unwahrscheinlich. In Brandenburg und gerade in Thüringen will – nach den vielen Pannen, Fehlern und Ungereimtheiten – niemand ausschließen, dass nicht ein später brisant werdender Hinweis unter ein Vernichtungsgebot fallen könnten. Deshalb werden Entscheidungen immer wieder aufgeschoben.
"Aktion Konfetti" – gezielte Vertuschungsabsicht
In ihrem Abschlussbericht verlangen die Stuttgarter Abgeordneten, die sich im ersten Durchlauf mit den Verbindungen des "Nationalsozialistischen Untergrund" nach Baden-Württemberg befasst hatten, "die Digitalisierung der 'Altakten Rechtsextremismus' beim LfV unverzüglich zu vervollständigen". Störungen dieses Prozesses sollten "soweit möglich vermieden und die digitale Durchsuchbarkeit der Aktenstücke hergestellt werden". Gerade letzteres war allerdings, wie die ExpertInnen im LfV und Landeskriminalamt (LKA) erinnern, in der Zeit vor dem Auffliegen des NSU politisch gar nicht gewünscht. Ausdrücklich gewollt, sagte einer der beteiligten Beamten aus, sei vielmehr gewesen, "dass nicht alle alles sehen".
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Ruby Tuesday
am 16.11.2019Wer im Geschichtsbuch Deutschland blättert, stößt auf Begriffe wie „Stay Behind“, eine als Menschenrechtsorganisation getarnte „Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit“ (KgU), die mit CIA-Unterstützung in der damaligen DDR ein unzugängliches Spionagenetz installierte, hunderte Sabotageakte verübte und mit finanzierenden und kooperierenden Altnazis vermutlich die Grundsteine für zahlreiche rechtsterroristische Vereinigungen legte.
Das Antifaschistische Infoblatt (AIB) schreibt dazu: „In der Frühzeit kamen in der KgU u.a. mehr als ein Dutzend Adliger zusammen, überwiegend mit baltendeutschem Hintergrund. Wir finden vormalige Freikorpskämpfer, Abwehrleute, aber auch Männer aus dem Goebbelsministerium oder dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Dieser Befund unterscheidet die KgU kaum vom Bundesnachrichtendienst (BND), dem Bundeskriminalamt (BKA) oder anderen Behörden. Eine Differenz bestand lediglich darin, dass die KgU zwar eng mit westdeutschen Ämtern kooperierte, jedoch stets ein privater und überwiegend US-finanzierter Verein blieb.“ Der Deutschlandfunk berichtete von KgU- Kontakten zu fünf Ministern, darunter Franz-Josef Strauß und zu einer ganzen Reihe vor allem von FDP-Bundestagsabgeordneten.“ https://www.antifainfoblatt.de/artikel/die-braunen-wurzeln-der-antikommunistischen-%C2%BBkampfgruppe-gegen-unmenschlichkeit%C2%AB
Gerade die Adligen, die es eigentlich gar nicht mehr gibt seit der Auflösung des Kaiserreichs, balgen sich aktuell zu Lasten der Zivilgesellschaft mit Staat, Land und Gemeinden um ein Erbe, das ihnen gar nicht zusteht, weil es aus Raubzügen stammt. Ohne alte Aktenbestände fiele es schwer, an geschehenes Unrecht zu erinnern und neues Unrecht zu verhindern.
Allein in den vergangenen 75 Jahren seit Kriegsende (2020) entwickelte sich ein fein gesponnenes, undurchdringliches Stahlnetzwerk aus klandestinen Vereinigungen mit dem einzigen Ziel die Zivilgesellschaft zu terrorisieren. Von Stay Behind, KgU, Wehrsportgruppe Hoffmann und deren Nachfolger bis weit über den NSU-Komplex hinaus.
Das umfangreiche Versagen der Sicherheitsbehörden ist Tagesgespräch. Als Frühwarnsystem hat der Verfassungsschutz versagt und eine nähere Betrachtung der Ereignisse und Fakten lässt den Schluss zu, die Kooperation mit den Sicherheitsbehörden war möglicherweise für Neonazis mehr nützlich als schädlich, betrachtet man allein die Schwärzungen und Tilgungen in Dokumenten.
Es gibt Archive demokratischer Vereinigungen die jederzeit, hauptsächlich digital, einsehbar sind. Die Fakten sammeln, Zeit- und Tatzeugen hören, Nachlässe sichern und als offene Quellen zur Verfügung stehen. Die NSU-Daten wurden aus Steuermitteln aufbereitet und es spricht nichts gegen eine Aufbewahrung. Betrachtet man das Dokumentenaufkommen in Deutschland insgesamt hat diese Sammlung ohnehin nur einen sehr geringen Umfang.