Gestützt auf historische Selbstzeugnisse von Rückkehrern aus dem Ersten Weltkrieg analysiert der Freiburger Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit in "Männerphantasien" den zerstörerischen Charakter männlicher Gewalt – und deren Ursachen. Sein zweiteiliges Werk erschien erstmals 1977/78 und ist mittlerweile ein Klassiker der Gender-Forschung. Jetzt wird es in einer Gesamtausgabe neu aufgelegt – plus aktuellem Nachwort. Theweleits Thesen sind offenbar von zeitloser Brisanz, denn sie bieten Erklärungen dafür, warum Männer rechtsextrem sind oder werden.
Herr Theweleit, Sie sind 1942 geboren, waren also 35 Jahre alt, als der erste Band der "Männerphantasien" 1977 herauskam. Nach über vier Jahrzehnten erscheint jetzt eine Neuauflage. Überrascht Sie die anhaltende Wirkung Ihrer Recherchen?
Nein. Das Verfahren des "Tötens aus Lust", das ich in dem Buch am Beispiel als spezifisch männliches beschreibe, hat ja nicht nachgelassen. Es nimmt eher zu in der heutigen Welt, jeden Tag gibt es frische Belege.
"Männerphantasien, das sind Vorstellungen von dem, was Männer nicht wissen durften: Körperwünsche, Energien und Sehnsüchte wurden unterdrückt und abgetötet, um wieder geboren zu werden im Kampf für Größe und Vaterland", heißt es im Buch. Was war Ihr Forschungsansatz?
Es gab eine Menge Arbeiten zum deutschen Faschismus, die ideologiekritisch ausgerichtet waren. Sie wollten den Nationalsozialisten und ihren Vorläufern in erster Linie so etwas wie fundamentale Dummheit beweisen. "Blut und Boden"-Zeugs lächerlich zu machen, ist allerdings sehr einfach. Es führt jedoch keineswegs zu irgendwelchen Einsichten dazu, wie diese "blöden Nazis mit ihrem Oberdummkopf Hitler" es denn geschafft hatten, so viel Macht und Attraktion zu entwickeln, dass sie beinahe ganz Europa militärisch-terroristisch in die Tasche steckten. Ich wollte dagegen ein Buch schreiben, in dem man über tatsächliche Nazis tatsächlich etwas erfährt. Das geht nur, indem man erstmal zur Kenntnis nimmt, was sie überhaupt sagten beziehungsweise sagen. Das Verfahren, das ich dabei anwandte, wurde später unter dem Terminus "Close Reading" bekannt: genau hinsehen, genau hineinhören ins "Material", genau recherchieren und nicht zu allem sofort eine Meinung haben. Mit Meinungen entdeckt man nichts.
Sie haben mit dem Thema promoviert, Spiegel-Chef Rudolf Augstein lobte Ihr Buch damals in einer seitenlangen Besprechung. Sie galten aber auch als eigenwilliger Geist, mit Strahlkraft vor allem in die Kulturwissenschaften. Eine Hochschulkarriere ergab sich aus der Doktorarbeit zunächst nicht. Die Universität Freiburg wollte Sie wegen Ihrer "ungezügelten Intelligenz" nicht mal ein Proseminar abhalten lassen. Warum gab es diese Widerstände? Wegen des "lässigen" und "unakademischen" Stils, wie Sie in dem aktuellen Nachwort schreiben?
"Ungezügelte Intelligenz", da steckt ja auch eine Art Bewunderung darin. "Man" (und es waren in der Tat Professoren-Männer) wollte mich am Deutschen Seminar der Uni Freiburg nicht, weil diese mich zu gut kannten und fürchteten: als Aktivisten des Freiburger SDS, der sie oft genug in ihren Lehrveranstaltungen attackiert und auch bloßgestellt hatte. Und der sollte nun unter die Kollegenschaft? Bewahre! Ich habe das sogar verstanden.
1998 wurden sie dann schließlich doch noch Professor, an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Was hatte sich geändert?
3 Kommentare verfügbar
Lowandorder
am 15.11.2019Weiter Masel tov.
&
Was macht die Musik?