War's nicht viel cooler, in den 68ern jung zu sein?
Die sogenannte APO, die studentischen Aufgewiegelten und Protestierenden, war 'ne kleine Minderheit im einstelligen Prozentbereich. Was sie geschafft haben, ist, die Meinungshoheit zu bekommen, und deshalb redet man heute so viel von den 68ern. Die haben in der Tat viel durchgesetzt. Aber nicht, weil sie so viele waren, sondern weil man damals auch leichter provozieren und Aufsehen erregen konnte. Außerdem hat die ganze Gesellschaft nach so was gelechzt. Die brauchte einen solchen innovativen Schub, um die Adenauer-Generation loszuwerden.
Winnenden, München, Erfurt, Emsdetten, Ansbach. Alle Täter waren junge Männer, kaum älter als 18 Jahre. Sind Jugendliche durchgeknallter als früher?
Im Gegenteil. Mehrheitlich sind die so angepasst wie keine Generation seit den 1950er-Jahren mehr. Jugendliche sind heute absolut brav und leistungsorientiert, wollen bloß keine Grenzen überschreiten. Höchstens beim Feiern am Wochenende. Irgendwann muss man ja auch mal ausrasten. Aber ansonsten sind Jugendliche so konform wie nie zuvor.
Momentan scheinen sich jugendliche Gewalttaten aber zu häufen.
Amokläufe gab's immer schon. Politiker wüssten das, wenn sie nicht so weltfremd wären. Angesichts der enormen Medienberichterstattung, die Selbstmordattentäter nun wieder bekommen, darf man sich nicht wundern, dass es immer mehr werden. Das sind aber keine vom IS geschickte Attentäter, das sind selbstmordgefährdete junge Männer, die jetzt die Chance sehen, mit 'nem großen, finalen Spektakel abzutreten. Das sag nicht nur ich, das ist polizeiliches Binsenwissen.
Sie meinen, es ist die Bühne, die zur Waffe greifen lässt?
Nach jedem spektakulären Anschlag, der groß in den Medien ist, haben wir in den nächsten Tagen und Wochen viele Nachfolgetaten. Zum Beispiel nach den spektakulären Neonazi-Anschlägen 1992 in Mölln und 1993 in Solingen. Diejenigen, die jetzt den letzten Kick wollen, merken, dass sie 'ne Riesenmöglichkeit haben, in die Öffentlichkeit zu kommen. So viel Aufmerksamkeit wie heute haben muslimische junge Männer noch nie bekommen. Aber ich halte es auch für möglich, dass bald ein christlicher Amokläufer irgendwo in 'ne Moschee reingeht oder in 'ne Stadt, wo viele türkische oder arabische Menschen leben.
Also weniger Medienberichterstattung über Amokläufer?
Schauen Sie sich die Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen an. Das ist so zynisch! Dieselben Nichts-null-Meldungen wiederholen sie noch mal und noch mal, heizen das Klima auf und versetzen sämtliche Menschen in Panik. Da passiert ja nichts, außer, dass ein Außenreporter möglichst authentisch vor irgendwelchen Türen steht, aber nix weiß. Das war so peinlich in ARD und ZDF. Der einzige Effekt der jüngsten Berichte: Menschen in Angst versetzen. Und: Sie generieren damit auch noch Nachfolgetäter! Jedes Unglück gibt spektakuläre Sondersendungen, besonders wenn Deutsche dabei sind. Dass in Kabul aber am Samstag 80 Menschen getötet wurden, war in der "Tageschau" nur die kleine, unwichtige Meldung. Es geht nur ums Panikschüren. Natürlich sind die Medien nicht die Ursache, die Täter sind schon da.
Die Polizei hat mächtig an Ansehen gewonnen. Das merkt man auf Twitter und Facebook. Ist die Polizei jetzt "in"?
Wenn bei mir eingebrochen wird, ruf ich auch nicht den nächsten Hippie an, sondern die Polizei. Wenn sich alle bedroht fühlen, und das signalisiert die Berichterstattung, dann ist die Polizei plötzlich relevant.
Ist doch ätzend, in einer Welt groß zu werden, in der es jedes Wochenende zu knallen scheint.
Ich glaube, dass es nicht mehr knallt als früher. Die Berichterstattung ist eine andere geworden. Jede Gewalttat wird spektakulär aufgezogen, und das beeinflusst eben die subjektive Wahrnehmung. Wir kriegen heute viel mehr Katastrophen ins Wohnzimmer geliefert, von denen wir vor 30, 40 Jahren gar nichts erfahren hätten, weil nicht überall auf der Welt gleich Kameras dabei waren.
In Ihrer Jugend war's ruhiger.
Na ja, als dieses "Die-Welt-geht-unter-Ding" in den 70er- und 80er-Jahren mit dem "Club of Rome" oder den "Grenzen des Wachstums" begann, wurde jedes Jahr neu verkündet, warum die Welt demnächst untergeht: Überbevölkerung, Klimawandel, Krieg und so weiter. Daran kann man sich gewöhnen.
In den "sozialen Medien" treffen sich Menschen, die zu Hunderttausenden ihren Weltuntergangs-Wahnsinn teilen.
Der Grund, warum auch Verschwörungstheorien in der jungen Generation angesagt sind, hängt damit zusammen, dass die Welt eben nicht mehr naiv und einfach zu begreifen ist. Wir da unten, die da oben. Wer entscheidet? Wer ist verantwortlich? Politik bedeutet nicht mehr nationales, sondern vielmehr internationales Denken. Wir wissen nicht mehr, wer verantwortlich ist. Wer ist zum Beispiel für die Bankenkrise verantwortlich? Die Frage kann doch heute kein halbwegs gebildeter Mensch mehr beantworten. Klar, "die Banken", aber wie und warum? Wie wird politisch entschieden? Das wissen wir alles nicht mehr. Früher hat man halt 'nen Bürgermeister gehabt, und der war für alles Üble oder Positive verantwortlich. Heute sagt selbst der Bürgermeister im letzten Dorf noch: "Da hab ich keinen Einfluss drauf, das entscheiden 'die' in Brüssel." Die Machtlosigkeit und Unsicherheit gegenüber Politik verunsichert.
Das könnte ein Grund für schlechte Laune sein.
Das ist immer 'ne Frage der Einstellung: Ist das Glas halb leer oder halb voll? Ich bin eher optimistisch und sehe das Glas halb voll. Einer unserer <link http: www.jugendkulturen-verlag.de tag hirnkost _blank external-link>Hirnkost-Verlag-Autoren, der Bernhard Heinzlmaier, ist bekennender Kulturpessimist. Der würde sagen, "das Glas ist schon wieder halb leer". Für beide Argumente findet man ja immer Fakten. Die Armut sinkt partiell, gleichzeitig geht die Schere aber wieder weltweit auseinander. Die Leute reagieren unterschiedlich darauf. Der Stress ist auch größer geworden. Auch im persönlichen Bereich. Als ich Abitur gemacht hab, war klar, dass ich immer 'nen Job kriege. Heute kämpfen ja auch Leute mit Uniabschluss. Der Neoliberalismus hat sich durch die ganze Gesellschaft gezogen. Konkurrenzkampf ohne Ende. Jeder ist auf sich selbst zurückgeworfen und "Individualist". Das heißt aber auch, dass es keine Verantwortlichkeiten mehr gibt. Ich bin quasi selbst schuld, wenn es mir scheiße geht. Das verunsichert die Jungen auch.
Was also tun? Das "What the fuck"-Gefühl ist ja trotzdem da.
Die Attitüde "Alles ist schlecht" führt zu nichts. Mit so einer Einstellung kriegt man den Arsch nicht hoch. Etwas dagegen zu tun wäre eine Strategie. Nicht unbedingt gegen das Gefühl, weil es ja nichts Schlimmes ist, festzustellen, dass man in 'ner beschissenen Welt lebt. Die Frage ist eher, was man in seinem eigenen Leben damit anfängt. Das muss jeder persönlich entscheiden. Es gibt ja den Spruch: Die Optimisten sind die, die keiner braucht, weil die zufrieden mit der Welt sind. Man braucht eigentlich Pessimisten, weil die, frei nach Rio Reiser,"alles dafür geben, dass es anders wird".
2 Kommentare verfügbar
jörg Krauß
am 30.07.2016